Hotellerie

Vom touristischen (Über-)Leben

Christine Bachmann – 14. April 2017
Dem Tal ­einen neuen Schub geben, das möchten die Gast­geber in der Beherbergung. Ein ­Besuch in Curaglia.

Hinter Disentis endet die Welt. Nein, nicht die Welt, nur die Zugverbindung. Denn wer auf der Passstrasse Richtung Lukmanier weiterfährt, der gelangt an einen touristisch noch relativ unberührten Ort: Curaglia in der Gemeinde Medel. Ein Dorf, das im 19. Jahrhundert mit dem Hotel Lukmanier seine Blütezeit als Luftkurort erlebte – und das heute gerne wieder in diese Zeit zurück würde. Denn einiges hat sich seither verändert. Das Hotel Lukmanier ist 1966 verschwunden, und die 1910 erbaute Dependance, aus der das Hotel Scopi entstand, heisst seit 2007 Hotel Vallatscha. Neben Letzterem existieren noch zwei weitere Beherbergungsbetriebe in Curaglia: das Hotel Cuntera sowie das in diesem Januar eröffnete Medelina, das dem «Tal neue Impulse» bringen soll, wie es der Initiant des Hotelprojektes Rico Tuor mitteilt. Neue Impulse geben und gleichzeitig den «sozialen Treffpunkt» im Ort erhalten, das war vor über zehn Jahren auch die Motivation von Imelda und Peter Binz, dem ehemaligen Finanzchef von Pricewaterhouse Coopers Schweiz. Die beiden kauften das in die Jahre gekommene Hotel Scopi (heute Vallatscha), bauten es komplett um und hauchten ihm mit einem ortsansässigen Pächterpaar wieder Leben ein. Heute ist der Betrieb saniert und im Ort sowie bei Stammgästen etabliert – «insbesondere bei Tourengehern und Wanderern», wie Binz betont. Es könnte also alles so schön sein, wenn ihnen im letzten Mai das Pächterpaar nicht altersbedingt abgesprungen wäre. «Seither führen wir den Betrieb selbst, bis wir eine Nachfolgelösung gefunden haben», erzählen die beiden. Etwas, dass sie so nicht geplant hatten. «Rückblickend müssen wir wohl einräumen, dass wir hier wohl ein bisschen zu wenig weit gedacht haben», reflektieren sie. Hinzu kommt, dass die gastgewerbliche Praxis ihnen ein ganz anderes Bild vom Gastgewerbe aufgezeigt hat. «Präsenzzeiten, Einsatz und andere Dinge, die wir bis anhin aus den Augen des Gastes gesehen haben, nehmen wir nun ganz anders wahr – und das ist schon happig.» Insbesondere wenn man weiss, dass sich Peter Binz, seit er in Medel ist, auch noch als Gemeindepräsident, als Vorsitzender der Geschäftsleitung des Klosters Disentis sowie als Initiant diverser Projekte im Tal engagiert. Hat das Gastgebertum langfristig gesehen in Curaglia überhaupt aus rein marktwirtschaftlichen Überlegungen heraus eine Chance, oder ist das Ganze nur ein blauäugiger Traum? «Ich bin überzeugt, dass ein Haus wie das Vallatscha und neu auch die Medelina eine Berechtigung haben», meint Peter Binz. «Betonen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass unser Haus ohne Subventionen oder Fördermittel auskommt.» Er sei zudem der Meinung, dass Fördermittel oder zinsgünstige Kredite, die erneuernde Investitionen zulassen und die langfristig ein wirtschaftliches Weiterbestehen sichern, unterstützenswert sind – nicht aber eine reine Strukturerhaltung. «Denn, wenn Letztere nur betrieben wird, um das Überleben zu sichern, dann hat das keine Zukunft.» Etwas skeptischer sieht seine Frau die Perspektiven: «Es braucht einfach noch mehr touristische Angebote, denn von den Einheimischen alleine können wir langfristig nicht (über-)leben.» Überzeugt vom Ort und der Chance, die die eben erst eröffnete Medelina mit den 15 Zimmern und 42 Betten mit sich bringt, sind Livia Werder und Rico Tuor. Die Idee für das Hotelprojekt, das im letzten Jahr auch für den Hotel Innovations-Award nominiert war (siehe Kasten), ist im Rahmen einer Wirtschaftsförderungsmassnahme entstanden. «Die Medelina war vorher ein Alters- und Pflegeheim, für das wir eine Umnutzung suchten.» Sie hätten dann verschiedene Projekte abgeklärt und sich für eine touristische Nutzung entschieden. Finanziert wurde das Zwei-Millionen-Franken-Projekt von privaten Aktionären, Beiträgen der Berghilfe, dem Amt für Wirtschaft und Tourismus sowie der Gemeinde Medel, der SGH und der Bank. Mit der Medelina zählt Curaglia nun drei Betriebe. Zu viel für einen so kleinen Ort? «Ja und nein», meint Imelda Binz. «Zu Spitzenzeiten ist es toll, in der Nebensaison zurzeit noch harzig.» Deshalb sei es auch so wichtig, dass sie sich nun richtig positionieren, ist Rico Tuor überzeugt. «Unser USP ist das relativ unberührte Tal, in dem Kultur, Natur, Handwerk noch vorhanden sind.» Ein Ort also geradezu prädestiniert für Gäste, die weg wollen vom üblichen Tourismusgetümmel – «und wer das doch noch braucht, der ist in Kürze in Disentis». Ein wenig idealistisch, nicht? «Es steckt schon viel Idealismus dahinter, denn unser Ziel geht über den reinen Betriebsgewinn hinaus. Klar, den braucht es auch», betonen Livia Werder und Rico Tuor. «Aber wir wollen neben dem Hotelbetrieb vor allem auch das Handwerk sowie das Tal Medel erhalten und wiederbeleben.»

Hotel Innovations-Award

Für Kurzentschlossene: Gastro­Suisse und die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit suchen, fördern und prämieren die viel­versprechendsten Innovationskonzepte kleiner und mittlerer Hotels. Die besten Konzepte werden mit einer kostenlosen Unterstützung bei der Weiterentwicklung belohnt. Die Anmeldefrist läuft noch bis 15. April.

www.hotelinnovation.ch