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Sebastian Rösch: Kraft und Kräuter aus der nahen Natur

Benny Epstein – 15. Juli 2020
Der Sternekoch aus dem Mesa in Zürich ist kein Mann der ­lauten Töne. Die Freizeit verbringt er lieber auf der Wiese als auf Instagram. Das GastroJournal begleitete ihn ins Fextal.

Sebastian Rösch (32) kniet tief ins Gras. Behutsam fasst er einen Stängel an. «Das ist eine Schafgarbe», erklärt der Küchenchef des Zürcher Restaurants Mesa seinen Köchen. «Ja, genau», pflichtet ihm Kräuter-Experte Martin Frauenfelder bei. Er ist bei der Heil- und Bildungsstätte Ekkharthof in Lengwil TG angestellt. «Die Schafgarbe hat eine gewisse Bitterkeit.» Rösch pflückt die Blüte. Olivia und Thomas, die mit ihm in der Mesa-Küche arbeiten, helfen ihm, weitere Exemplare zu finden. Diese landen später in einem Kopfsalat-Gericht. Es ist kurz nach neun Uhr an diesem Sonntag. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, es grünt im Engadiner Fextal. Eigentlich hätten Rösch und seine Köche frei. Zwei erholsame Tage stünden an. Sie hätten sie nach den intensiven letzten Tagen verdient, das Gourmet-Geschäft boomt nach dem Lockdown auch bei ihnen. Doch stattdessen nehmen sie nach dem Service am Samstagabend die dreistündige Fahrt nach Graubünden auf sich. «Alles auf freiwilliger Basis», erklärt der Spitzenkoch. «Ich hätte es auch alleine getan, aber natürlich ist es toll, dass Olivia und Thomas mitkommen.» Ziel ist das Hotel Fex im gleichnamigen Tal. Schon zwei Mal stand Rösch hier als Gastkoch am Herd. «Ich war zwei Mal im Winter hier. Die Landschaft ist ein Traum und das Hotel behagt mir sehr. Es ist ein stiller Rückzugsort. Ein Luxus der anderen Art.» Das Hotel Fex passt zu Rösch. Er ist ein stiller Arbeiter, der lieber perfekte Produkte und spannende Gerichte sprechen lässt, als selbst grosse Töne zu spucken. Klassisches Handwerk und profunde Produktekenntnisse sind sein Ding. Die nahe Umgebung kennt er genau. Vieles, das da nicht wächst, pflanzt er selbst an. Rösch liebt die Natur für sich und seine Küche. Während des Lockdowns arbeitete er mehrmals auf dem Feld beim Bauern seines Vertrauens, besuchte Produzenten, zerbrach sich den Kopf über neue Konzepte und Ideen. Angenehme Überraschung im Mesa
Wer im Mesa isst, wird kulinarisch nicht herausgefordert, sondern erlebt Vertrautes – gepaart mit spannenden, angenehmen Überraschungen. So etwa das Angebot eines komplett veganen Menüs. Nie hat Rösch dieses laut beworben. Dabei hätte er allen Grund dazu. Gerichte wie die Aubergine gepaart mit Üetliberger Rose und Granatapfel oder der Slow-Grow-Kohlrabi mit Gelbem Curry, Erdnuss und Tagetes hätten die grosse Bühne verdient. Dem Guide Michelin ist die Küche ein Stern wert, der GaultMillau verleiht ihr 16 Punkte. Dass der Koch aus dem bayerischen Lebenhan nun zur warmen Jahreszeit ins Fextal fährt, hat seinen Grund: Rösch will selbst erleben, was es dort mit der reichhaltigen Natur auf sich hat, von der ihm Giorgio Biavaschi, der Küchenchef des Hotels Fex, erzählt hat. Martin Frauenfelder führt Rösch durch die Wiesen. Erzählt, erklärt, beisst in Blüten. Er kennt hier fast jeden Quadratmeter und bietet Kräutertouren an. Für Hotelgäste sind sind sie gratis. Ein besonderes Four-Hands-Dinner
Was Rösch und seine Köche sammeln? Vergissmeinnicht, weissen und roten Alpenklee, Taubnessel, Sauerampfer, Löwenzahn, Guten Heinrich, Schafgarbe, Schlangenknöterich, Vogelwicke, Storchschnabel, Klatschnelke, Fingerkraut, Wiesenschaumkraut und vieles mehr. Manche Blume wird bereits am selben Abend verwertet, andere kommen mit nach Zürich. Zurück von der Wanderung, gönnt sich das Mesa-Trio Rösti, zubereitet von Giorgio Biavaschi, ehe es nach einer kurzen Siesta selbst an die Arbeit in die Küche geht. Ein Four-Hands-Dinner der besonderen Art steht an. Während die meisten Sterneköche solche Abende nur mit ihresgleichen bestreiten, kocht Rösch mit Biavaschi. Mit dem Koch eines Dreisternehotels, der nicht mit Kaviar und Kaisergranat brilliert, sondern mit bodenständigen, regionalen Gerichten: Saibling vom Silsersee mit grünem Spargel und Kapuzinerkressebutter ist Biavaschis Vorspeise, es folgt Röschs Interpretation vom Kopfsalat mit jungem Malanser Knoblauch. Eine Dame steht vom Tisch auf, um Rösch, der vor der Küche steht, ein Kompliment auszusprechen: «Der Kopfsalat hat richtig Spass gemacht.» «Wir dürfen auch Spass haben»
Es folgen Biavaschis Cappeletti mit Ziegenfrischkäse, Gutem Heinrich und Sultaninen. Dann verwöhnt Rösch die Hotelgäste mit der Neuenburger Seeforelle mit Sauerampfer an einer Brunnenkressevelouté. Zum Hauptgang bereitet Biavaschi eine Variation vom Bio-Kaninchen mit Bergeller Polenta, Steinpilzen und Sauerklee zu. Röschs Dessert: Heumilchglacé, Heidelbeeren und Haselnuss- Meringue. Und immer wenn Rösch und seine beiden Köche kunstvoll anrichten, stehen Biavaschi und seine Köche dabei, zücken ihre Handys und knipsen Erinnerungsbilder. Rösch denkt auch an sie und die Servicemitarbeiter: «Probiert die Gerichte, wir haben genügend vorbereitet. Jetzt, wo die Gastronomie wieder lebt, dürfen wir doch auch unseren Spass haben.» Unzählige kleine Steinchen
Rösch hat an diesem Tag viel Spass. An der Natur und ihren Erzeugnissen. An seinen Köchen. An der gemeinsamen Arbeit mit einem anderen Team. An der Ruhe des Hotels. An der Freude der Gäste. Rösch hat wieder Neues gelernt und erlebt. Nichts, dass seine Küche auf den Kopf stellen wird. Aber das eine oder andere, dass sie ergänzen wird. Die schönsten Mosaike sind nicht jene mit den groben, grossen Steinen, sondern jene, die aus unzähligen kleinen Steinchen zusammengesetzt sind. Zeit und Geduld – rare Güter in einer schnelllebigen Zeit – sind gefragt. Erst recht, wenn man wie Rösch nur zu viert in der Küche arbeitet. «Vielen Dank, du bist jederzeit willkommen», sagt Biavaschi. Auch von Kräuter-Guru Frauenfelder gibt es Lob. Und Rösch verspricht: «Ich komme wieder. Privat und zum Kochen.»