Nicole Hinrichs, künstliche Intelligenz (KI) kommt in vielen Bereichen des Lebens bereits zum Einsatz. Wie sieht dies im Gastgewerbe aus?
Nicole Hinrichs: Leider hinkt die Branche bei der Digitalisierung nach wie vor im Durchschnitt hinterher. In den letzten 20 Jahren kam diese nur sehr schleppend voran. Das hat zur Folge, dass sie heute teilweise noch zu wenig ausgebaut ist, um überhaupt die Voraussetzung für KI zu gewährleisten.
Die Branche hat also den Startschuss verschlafen?
Jein. Es gibt - wie in jeder Branche - Vorreiter, welche die Digitalisierung stets vorangetrieben haben. Diese werden nun auch Vorreiter für den Einsatz von KI sein. Blickt man aber auf die ganze Branche, muss man leider sagen, dass viele riskieren, den Anschluss zu verpassen.
Warum ist das problematisch?
Das ist insofern problematisch, als dass die KI zunächst einen langen Entwicklungsgrad hat und sich dann exponentiell weiterentwickelt. Das heisst, dass die Schritte, welche ein Unternehmen machen muss, um den Anschluss nicht zu verlieren, immer grösser werden. Die KI wird damit quasi zum Brandbeschleuniger der fehlenden Digitalisierung. Es ist deshalb jetzt notwendig, dass die Branche auf den KI-Zug aufspringt.
Was ist mit den Betrieben, die den Zug verpassen?
Kurzfristig wird das kein Problem sein. Auch bei der Digitalisierung hat es lange gedauert, bis eine grosse Anzahl von Betrieben aufgesprungen sind. Langfristig gesehen ist es aber essenziell, dass Betriebe sich mit KI auseinandersetzen. Sonst laufen Betriebe Gefahr, den Anschluss an den Wettbewerb zu verlieren.
In welchen Bereichen der Hospitality-Branche kommt KI heute bereits zum Einsatz?
Vor allem in Bereichen, wo grosse Datenmengen oder ein hoher Grad an Standardisierung in der Verarbeitung anfallen. Das sind beispielsweise Gästedaten, Daten zur Gästeinteraktion oder Daten zum Feedback von Gästen.
Welche Vorteile bringt KI in diesen Bereichen?
Es hilft im Endeffekt, grosse Datenvolumina in kurzer Zeit effizient zu verarbeiten. Den grössten Vorteil sehe ich aber in den Bereichen, die der Gast nicht sieht. Das betrifft unter anderem das Supply Chain Management, also zum Beispiel beim Einkauf für das Hotel, oder Prozessoptimierungen. Die KI ermöglich es zudem, Probleme frühzeitig zu erkennen. Dadurch minimiert sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein System vorübergehend oder ganz zusammenbricht.
Dr. Nicole Hinrichs von der EHL Hospitality Business School beschäftigt sich intensiv mit dem Einsatz von KI in der Hospitality-Branche. (Bild: zVg)
Wie offen erleben Sie die Branche gegenüber der neuen Technologie?
Ich nehme viel Unsicherheit in der Branche wahr. Der Mensch begegnet Dinge, die er nicht versteht, meist mit einer gewissen Besorgnis. Das liegt in der Natur der Sache.
Es fehlt also der Mut zum ersten Schritt?
Genau, ja. Es ist leider so, dass sich viele nicht trauen, diesen Schritt zu machen. Zudem sehe ich oftmals das gleiche Muster: Wer bei der Digitalisierung skeptisch war, ist es nun auch bei der KI.
Welche Ängste hören Sie immer wieder?
Erstaunlicherweise dieselben, die ich bei der Digitalisierung schon gehört habe: Grosser Aufwand, Sicherheit von Daten, Neuorientierung innerhalb des Unternehmens.
Inwiefern ist KI gefährlich?
Das kommt immer auf die Perspektive an. Es ist sicher so, dass es aus ethischer Sicht Gefahren gibt. Jedes System, das wir mit unseren Daten füttern, macht uns als Privatperson und als Unternehmen transparenter. Diese Informationen können ein Unternehmen verbessern, gleichzeitig können sie aber auch verwendet werden, um einem Unternehmen zu schaden. Es ist daher wichtig zu wissen, wie man mit diesem Daten umgeht und wie man sie schützt.
Inwiefern haben Sie Verständnis für die Ängste der Branche?
Man muss die Ängste sicher ernst nehmen. Die Implementierung von KI führt unweigerlich zu einer Veränderung des ganzen Systems innerhalb eines Betriebs. Das sorgt für Kosten, Anpassungen im Betrieb oder neuen Stellen, die besetzt werden müssen. Das ist für viele eine grosse Herausforderung.
Mit Vorträgen und Talks wie am Hospitality Summit kann daher ein erster Schritt in Richtung Sensibilisierung gemacht werden.
Ich hoffe, ja. Gerade weil KI in diesem Jahr ein grosser Schwerpunkt ist, gibt es viele Möglichkeiten, sich zu informieren, wenn man will. Glücklicherweise ist die Hemmschwelle, sich zu informieren deutlich geringer dank Veranstaltungen wie dieser, da man oftmals auch sieht, dass man mit seiner Skepsis oder Verunsicherung nicht allein ist.
Perspektivenwechsel: Wie nehmen Sie das Interesse und Verständnis der Gäste gegenüber KI wahr?
Ich stelle fest, dass die Gäste um einiges lockerer und offener gegenüber der Technologie sind. Das hängt damit zusammen, dass sie bereits ausserhalb des Gastgewerbes mit KI in Berührung kommen - zum Beispiel bei ihren E-Mail-Accounts oder Social Media. Die Gäste akzeptieren KI in der Regel, vorausgesetzt, sie wird ethisch korrekt benutzt. Gleiches gilt für die Datensicherheit.
Welche Abklärungen muss ein Betrieb treffen, bevor er sich für eine Implementierung von KI entscheidet?
Die allererste Frage, die sich ein Betrieb stellen muss ist: Brauche ich die KI und wenn ja, wofür? Denn: KI ist kein Allerheilmittel für alle Probleme, die innerhalb eines Betriebs anfallen. Der Einsatz von KI muss zielgerichtet sein und für eine Optimierung sorgen. Dafür muss ein Betrieb evaluieren, wo sein System noch nicht das leistet, was es eigentlich sollte - zum Beispiel wenn es Zeit- oder Ressourcenverluste bei gewissen Abläufen gibt.
Eine Beratung durch einen Experten ist damit immer sinnvoll?
Grundsätzlich ja. Gerade, wenn das Wissen auf dem Gebiet noch nicht vorhanden ist, ist es sinnvoll, einen Experten hinzuzuziehen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich mit anderen Betrieben auszutauschen und nachzufragen, wie diese sich dem Thema angenähert haben. Das ist oftmals kostengünstiger, fördert gleichzeitig den Austausch und schafft Vertrauen gegenüber der KI.
Eine wichtige Rolle spielen nicht zuletzt die Angestellten, die mit der KI arbeiten müssen. Wie wichtig ist es, das Thema KI in deren Ausbildungen zu integrieren?
Essenziell. So wie in allen anderen Bereichen auch, ist die Aus- und Weiterbildung mit Blick auf die KI sehr wichtig. Schliesslich muss die KI in jedem Betrieb lösungsorientiert eingesetzt werden. Dafür braucht es schlussendlich auch Personal, welches mit diesem neuen Tool umgehen kann.
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Hotelfachschulen und die Hotellerie- und Gastronomieverbände?
Diese müssen bei der Ausbildung der Studierenden und der Lernenden Vorreiter sein. Leider ist dies schwieriger als gedacht. Denn die Digitalisierung und die KI schreitet mittlerweile so schnell voran, dass es schwierig ist, überhaupt noch passende Kurse für die Studierenden und Lernenden zu kreieren. Die Hochschulen und Verbände müssen daher bereits heute wissen, welche Fähigkeiten die Auszubildenden für Jobs brauchen, die es potentiell erst in der Zukunft gibt. Man könnte also fast behaupten es gehört ein wenig Glaskugel-Lesen dazu, was eine grosse Herausforderung darstellt.
Apropos Herausforderung: In der Hospitality-Branche in der Personalmangel ein grosses Thema. Inwieweit kann KI bei der Lösung dieses Problems helfen?
Jeder Job hat gewisse Routinen, die eigentlich niemand machen will. Hier kann die KI helfen. Sie kann ein Gros an administrativen Arbeiten - zum Beispiel Reservationsaufgaben - übernehmen und das Personal wieder dafür freimachen, wofür es eigentlich da ist: Gastgeber sein. Wenn die KI es schafft, das Zwischenmenschliche, also die Interaktion zwischen dem Gast und dem Gastgeber, dem Personal zurückzugeben, wird es auch einfacher, neues Personal zu finden.
Grosses Potential ist also vorhanden. Wo sehen Sie die KI in den kommenden 15 bis 20 Jahren?
Ich hoffe, dass es die Branche bis dahin geschafft hat, ihre Anfangszweifel abzulegen und KI lösungsorientiert und effizient zu nutzen. Es zeichnet sich auch ab, dass die Fehlerquote der KI sinken wird, weil die Daten, mit der sie gefüttert wird, laufend besser werden.