Hotellerie
Tourismus

«Fortschritte? Ja. Aber es ist noch lange nicht genug!»

– 04. September 2019
Beide haben die Hotelfachschule in Lausanne absolviert – im Abstand von 62 Jahren: Die Hotelpionierin Annelise Leu und ihre Enkelin Katharina Leu. Ein Generationen­gespräch über Traditionen, Innovationen und Frauen.

Annelise Leu, das Hotelgen wird in Ihrer Familie vererbt, viele sind in der Branche zu Hause: Sie, Ihr Sohn Christian und Ihre Enkelin Katharina.
Annelise Leu: Das Virus existiert. Als ich damals in die Hotellerie einstieg, wusste ich noch nicht, ob ich ihn habe! Sie waren die Erste in Ihrer Familie, die sich der Hotellerie zuwandte?
AL: Ja, ich war die Erste. Ich stellte mir vor, als Hotelsekretärin sässe man an der Rezeption und wer­de von den Gästen umschwärmt (lacht). Aber, es ist ein hartes Business, vor allem zu meinen Zeiten. Wäh­­rend der Saison arbeiteten wir zehn Wochen ohne einen halben freien Tag.
Katharina Leu: Das hat sich sehr gewandelt. Heutzutage haben Mitarbeiten­de in der Hotelbranche wegen des Fachkräftemangels fast Wunschkonzert. Annelise Leu, Sie schlossen die Hotelfachschule 1953 als «Aide Directrice» ab, Ihre Enkelin 2015 als «Bachelor of Science in International Hotel Management». Da liegen Welten dazwischen!
AL: Als Frau wurde ich automatisch in den Kurs «Aide Directrice» eingeteilt, erst später sah ich, dass es einen Hauptkurs gibt. Das Ziel der Ausbildung zur Direktionshilfe war, sich einen Hotelier zu angeln. Ich lernte meinen Mann an der Hotelfachschule kennen.
KL: Bei uns waren es im Hauptkurs zu 51 Prozent Frauen. Und wir suchen uns den Partner nicht mehr zwingend in der Branche aus! Das patriarchale System von damals ist aus Ihrer Sicht verschwunden?
KL: Rein vom Studium her, ja. Aber kürzlich las ich, dass in der Mövenpick-Grup­pe nur zwei Frauen im General Management sitzen. Das ist doch sehr wenig!
AL: Da fällt mir eine Geschichte ein. Irgendwann nachdem Ueli Prager 1948 den Claridenhof in Zürich als erstes Möven­pick-Res­tau­­rant eröffnete, schaltete er In­serate «Bei uns sind auch Frauen allei­ne willkommen». Frauen gingen damals nur in Begleitung von Männern in ein Restaurant. Ich ging allein hin, aber der Kellner bediente mich nicht, bis ich auf den Tisch klopfte. Man macht sich keine Vorstellung von die­sen Zeiten. Ich kämpfte damals gegen Männer, bis ich merk­te: Es ist das System. Natürlich haben die Männer davon nicht abgelassen, sie haben ja nur profitiert!
KL: Für mich ist das Thema Feminismus sehr wichtig. Wir müssen dankbar sein für die Generationen vor uns, die uns den Weg bereiteten. Dennoch sind in der Hotellerie Kaderpositionen noch zu selten von Frauen besetzt. Vielleicht ist die ewi­ge Beruf-Familie-Thematik das Problem?
AL: Ich war auch zehn Jahre mit den Kindern zu Hause. Sind Sie zufrieden, wenn Sie sehen, wie sich Frau­en heute mehr durchsetzen?
AL: Ja natürlich! Ich ging damals davon aus, dass mein Mann mich als gleichwertig neben sich stehen sah. Aber weit gefehlt! Männer pickten sich das Schöne heraus, entschieden alles für die Frau, und diese arbeitete still im Hintergrund. Alle Männer funktionierten so. Wir Frau­en haben Fortschritte gemacht, aber es ist noch lange nicht genug! Wo wünschen Sie sich Verbesserungen?
AL: Man muss festlegen, wer welche Lasten trägt und was passiert, wenn man sich trennt. Alleinerziehende Frauen tragen die Lasten und können des­halb oft nur 60 Prozent arbeiten. Das muss doch fundamental anders aufgegleist werden, sonst werden sich im Alter viele Frauen nah an der Armutsgrenze bewegen.
KL: Ich hoffe, dass meine Generation daran etwas ändern wird. Katharina Leu, was können Sie von den alten Traditionen lernen?
KL: Sehr viel! Die Generation meiner Grossmutter hat die Branche stark geprägt. Ihre Generation konnte sich viel besser durchbeissen. Die heutigen Zeiten sind schnell­lebiger, und man wechselt eher den Job, wenn es zu hart wird.
AL: Wir haben das «sich Durchbeissen» beherrscht! Wir hatten gar keine Wahl, und wir waren auch nie krank. Sehen Sie es als Problem an, dass Mitarbeitende heute weniger loyal sind?
KL: Bei meiner vorherigen Stelle bei Fred Tschanz Gastgewerbe setzte ich mich intensiv mit Personalthemen auseinander. Ich lernte zu akzeptieren, dass ein Mitarbeiter heute nicht mehr zehn Jahre für einen arbeitet. Man muss zukünftig die Prozesse anpassen, wie man zum Beispiel mit Wissenstransfer umgehen soll. Annelise Leu, wären Sie den gleichen Weg gegangen, hätten Sie gewusst, welche Schwierigkeiten Sie erwarteten, nur weil sie eine Frau sind?
AL: Ja, gerade weil ich eine Frau bin! Ich habe bereits als Mädchen diese Ungerech­tigkeit gespürt. Irgendwann merkte ich, dass ich die Einzige bin, die sich wehrt, während sich die andern Mädchen anpassten. Dafür habe ich einen hohen Preis bezahlt. Wären mehr Frauen so gewesen wie ich, wären wir in Frauenfragen schneller vorwärtsgekommen. Hätten Sie den Biss Ihrer Grossmutter, wenn Sie heute gegen solche Widerstände ankämpfen müssten?
KL: Wir haben auch unsere Kämpfe. Aber so? Diese Hürden sind weg. Ich wurde von klein auf gefördert und inspiriert. Mir wurde der Rücken stets freigehalten. Annelise Leu, was ist die prägendste Erinnerung Ihres Berufslebens?
AL: Es gab so viele! Die Übernahme des Hotel Vieux Manoir am Murtensee und als ich 1999 dafür den Preis «Hotel des Jahres» bekam. Aber auch die Eröffnung des neuen Kulm in Arosa. Und der Erfolg unserer Unterhaltungsprogramme – erst wurden wir angefeindet, dann kopiert. Die Direktoren waren damals viel näher beim Gast als heute.
AL: Auf jeden Fall!
KL: Eigentlich ist dies auch heute noch die Aufgabe der Hoteldirektion: bei den Gästen zu sein! Ihr hattet damals auch Stammgäste, die nur wegen euch ins Kulm kamen. Heutzutage haben es Betriebe in Feriendestinationen mit dem riesigen On­line-Angebot schwerer. Hotellerie – Parahotellerie: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Unterschiede?
KL: Der Gast entscheidet sich heute nicht mehr unbedingt zwischen Hotellerie und Parahotellerie, sondern für die Destination. Und gemäss seinem Budget. Das Gesamtangebot muss stimmen.
AL: Die Parahotellerie löst sich immer mehr auf. Früher waren Jugendherbergen Massenlager, heute bieten sie sogar Wellness an. Eine gute Entwicklung!
KL: Genau. Es gibt vermehrt Doppelzimmer mit Bad. Trotzdem will man den Begegnungsort als solchen weiterhin aufrechterhalten – und zwar für alle.
AL: Eigentlich ist das Wort Jugendherberge nicht mehr stimmig.
KL: Der Name ist etabliert, und Jugendherbergen sollen nicht zu reinen Ho­tels werden. Einer der Leitsätze besagt: Jeder soll sich Ferien leisten können. Zudem haben auch wir eine Hochsaison, und Online-Bewertungen werden wichtiger. Können Sie sich vorstellen, ein Hotel zu führen wie Ihre Grossmutter?
KL: Das war früher mein Wunsch, mit diesem Gedanken ging ich an die Hotelfachschule. Doch der klassische Karriereweg an die Hotelspitze sagt mir nicht so zu. Ich steuere stets dorthin, wo He­raus­for­de­rungen locken. Und in der nächsten Zeit fokussiere ich mich auf diese bei den Schweizer Jugendherbergen.
AL: Das finde ich toll, die heutige Generation kann so frei entscheiden, was sie machen möchte. Fragen Sie Ihre Grossmutter ab und zu um beruflichen Rat?
KL: Sie ist inspirierend für mich, um zu verstehen, woher gewisse Dinge kommen, und um die eigene Situation ganz anders anzuschauen. Bei direkten Fragen konsultiere ich meinen Vater. Wobei ich versuche, bei ihm auch meine Inputs zu platzieren – was mal besser, mal schlechter ankommt (beide lachen).
AL: Es müsste viel mehr Austausch stattfinden. Deswegen finden vie­le Ältere keine Stelle mehr, weil sie diese Flexibilität vermissen lassen. Mir ist das fremd.
KL: Du bist auch interessiert, was läuft und passiert!
AL: Weil ich will. Manchmal sehe ich 50-Jährige und denke, so alt werde ich nie!
KL: Für Ältere ist eine jüngere Person mit neuen Ideen bereichernd. Da kann zu­sam­men sehr Spannendes entstehen. Man muss nur aufeinander zugehen. Was missfällt Ihnen an der heutigen Hotellerie?
KL: Während meines Masters wurde ich oft mit Innovationen anderer Branchen konfrontiert und verglich diese mit unserer Branche. Die Hotellerie ist oft träge, es braucht zu lange, bis etwas Neues greift. Für viele galt die Einführung des Internets schon als Innovation! (lacht)
AL: Für uns waren Innovationen einfach, weil die Branche träge war! Und was ist heute besser als früher?
AL: Es ist viel professioneller. Mich störte immer diese vertikale Hierarchie. Wogegen ein Patron, der sich wirklich um seine Gäste und Mitarbeitende kümmerte, auch einen positiven Effekt hatte. Diese Art von Hierarchie gibt es nicht mehr.
KL: Sie ist flacher, aber es gibt noch Po­ten­zial beim Thema Führungsstil und im Mit­­arbeiterumgang. In der Kettenhotelle­rie funktionieren die Prozesse und Strukturen besser. Dafür kann man sich in der Privat- und Familienhotellerie oder in den Jugendherbergen als Per­son mit seinen Ideen mehr einbringen. Was bewundern Sie an Ihrer Gross­mutter?
KL: Ihren Kampfgeist. Ich kenne sie und ihre Kämpfe gut, und es ist schön zu sehen, wie entspannt sie ist. Ausserhalb des beruflichen Kontexts lernte ich von ihr, dass man sich mit einer Sache auseinandersetzen muss und seinen Frieden schliessen kann. Und dass man sich wehren darf, wenn etwas nicht korrekt läuft. Wie etwa auf politischer Ebene, wo man für gleichen Lohn oder flexible Arbeitszeiten einstehen muss.
AL: Die jungen Frauen machen dies noch viel zu wenig!
KL: Ich hatte Glück und konnte mit starken Rollenbildern aufwachsen. Das hilft, um ein Selbstbewusstsein zu entwickeln und Gleichberechtigung einzufordern. Was bewundern Sie an Ihrer Enkelin?
AL: Dass sie dies konsequent macht, eine liebenswürdige junge Frau ist und ihren Weg mit Bravour geht. Und ich habe sie einfach gern. _____________________________________________________________ «Forum für Frauen im Gastgewerbe»
Annelise Leu wird am «Forum für Frauen im Gastgewerbe» vom 8. bis 12. September 2019 in der Seerose in Meisterschwanden AG teilnehmen. Sie stellt sich dort den Fragen der Forums-Organisatorin Zita Langenstein und erzählt aus ihrem spannenden Berufsleben.
www.fforum-gastrosuisse.ch _____________________________________________________________ ★ Annelise Leu 20 Jahre lang führte Annelise Leu (87) mit ihrem Mann das Arosa Kulm Hotel, wo sie mit ihren Ideen die Luxushotellerie revolutionierten. Obwohl sie sich genauso engagiert wie ihr Mann, drängt man sie stets in die Rolle der «Frau des Direktors.» Doch die energische Baslerin kämpft und wird 1968 die erste diplomierte Hotelière der Schweiz. 1974 erwirbt sie ihr eigenes Hotel, das Vieux Manoir am Murtensee. Sie ist Ehrenmitglied der Vereinigung diplomierter Hoteliers und führte bis vor Kurzem ein B & B in Arosa, wo sie lebt. Sie hat drei Kinder, fünf Enkel und zwei Urenkel. ★ Katharina Leu Sie wurde in die Hotelfamilie Leu hin­eingeboren. Ihr Vater Christian (Annelises Sohn) ist ebenso Hotelier. Katharina schloss 2015 die Hotelfachschule Lausanne ab. Als Ergänzung machte die 28-Jährige ihren MBA an der Universität Luzern und arbeitete in diversen Hotelbetrieben, bevor sie bei der Fred Tschanz Gastronomie erst im Personalwesen, dann im Marketing & Kommunikation eine leitende Funktion übernahm. Seit Juni 2019 ist sie Verkaufsdirektorin bei den Schweizer Jugendherbergen. Kat­harina Leu ist ledig und lebt in Zürich.  _____________________________________________________________