Hotellerie

Die Superspürnasen

Corinne Nusskern – 03. September 2019
Bettwanzen in Hotels sind ein Tabuthema. Dabei haben sie nichts mit mangelnder Hygiene zu tun. Mithilfe von Bettwanzen­spürhunden sind die blutsaugenden Parasiten schnell entlarvt.

Der fünfeinhalbjährige Mischlingshund Camiro wedelt freudig mit dem Schwanz. Den Blick hat er konzentriert auf Manuela Stäheli Weishaupt gerichtet. Er weiss, gleich darf er Bettwanzen aufspüren.
Hier, im Trainingsraum des Klein­unternehmens Bettwanzenspürhunde in Lostorf SO, bildet Inhaberin Stäheli (40) ihre Hunde aus. Der Raum ist einem Hotelzimmer nachempfunden – eine ideale Trainingssituation. «Bettwanzen sind in der Schweiz verbrei­tet, doch viele Leute wissen gar nicht, dass es sie gibt», sagt sie. Anhand des Bisses lässt sich nicht feststellen, ob dieser von einer Mücke oder ei­ner Bettwanze stammt. Bettwanzen sind nachtaktiv: Sie saugen dem schla­fen­den Menschen Blut ab und ziehen sich dann in ihr Versteck zurück.
In Hotels kennt man die Crux, doch es ist ein Tabuthema. Man weiss nie, ob der Gast eine schlechte Kritik auf einer On­line-Platt­for­m postet. Ein Bettwan­zen­­spürhund erkennt das Problem, bevor es so weit kommt. Dabei haben Bettwanzen nichts mit vernachlässigter Hygiene zu tun. Sie reisen meist als blinde Passagiere im Gepäck der Gäste an und nisten sich im Hotelzimmer ein. Die 3 bis 6 Millimeter kleinen Parasiten verstecken sich tagsüber unter Mat­­rat­zen, in Ritzen, hinter So­ckel­leisten und Wandverkleidungen und weichen Kopfteilen am Bett. Sie sind auch für die Zimmerreinigung mit blos­sem Auge kaum zu erspähen. Ausgeprägter Geruchssinn
Stäheli tätschelt mit ihrer Hand sanft auf das Bett. Sie trägt Handschuhe, damit sich der Eigengeruch nicht mit dem der Bettwanzen vermischt. Der wuschelige Ca­miro schnüffelt die Bettstatt gründlich ab. Schnelle Schnaufgeräusche sind zu hören. Ab und an hebt er den Kopf und schaut Frauchen an. Die Hundeverhaltensberaterin zeigt auf die Bettecke und Camiros Nase verschwindet zwischen Matratze und Bettgestell. Die 40-Jährige lotst Camiro zu den Flugzeugsitzen. Plötz­­­lich beginnt er aufgeregt zu wedeln und an der Armlehne zu kratzen. Sein ausgeprägter Geruchssinn hat ihn zum Ziel geführt: Im Aschenbecher liegt eine Attrappe mit Bettwanzenduft. Camiro bekommt seine lukullische Belohnung.
Die Solothurnerin hat vier Hunde. Während Camiro Bettwanzen sucht, warten die anderen drei im Kleinbus jeder in seiner Box, bis sie zum Zuge kommen. Bei Einsätzen ist stets nur ein Hund am Schnüf­feln. Stäheli nimmt aber immer alle Hunde mit. «Oft weiss ich nicht, was mich erwartet», sagt sie. «Ist es mehr Aufwand als vermutet, bin ich froh, wenn alle Hunde mit dabei sind!» Ein Hund kann am Stück etwa vier Zimmer abschnüffeln. Wobei: «Ein Zimmer mit Holz ist anspruchsvoller als eines mit Betonwänden», sagt Stäheli. Danach braucht das Tier eine Pause, und ein anderer Hund kommt zum Einsatz. Nach intensiven Einsätzen benötigt jeder Hund einen Tag Pause. Im Trainingscenter wechselt die eineinhalb Jahre junge Hündin Mali­sha nun Camiro ab. Sie ist ein Windhund-Mix mit glattem Fell und blauen Augen. Trüffel gegen Bettwanzen getauscht
Stäheli kam zufällig auf den Hund. Vor 13 Jahren holte sie eine Strassenhündin im Tierheim, doch das wusste sie nicht. «Sie war nicht sehr sozialisiert, und ich ging mit ihr zu einem Hundetrainer», erzählt sie. Später kam ein zweiter Hund dazu, auch aus dem Tierheim. «Zur sinnvollen Auslastung der Tiere fokussierten wir erst auf Trüffelsuche. Bis der Hundetrainer die Idee mit den Bettwanzen hat­te. Trüffelsuche ist saisonal begrenzt, Bettwanzen aufzuspüren bietet den Hun­den eine Ganzjahresbeschäftigung.»
Die Ausbildung der Hunde beginnt im Alter von etwa neun Monaten. Es braucht mindestens ein Jahr bis ein Hund einsatzfähig ist. Malisha ist noch immer am Lernen. Nicht alle Hunde eignen sich. «Brachycephale Hunde wie Möpse oder Bulldoggen sind nicht so leistungs­fä­hig», sagt Stäheli. Die Schulung beginnt mit lebenden Wanzen. «Sie müssen lernen, dass der Wanzengeruch für sie von Bedeutung sein muss», erklärt Stäheli. «Sobald sie leben­de Wanzen erkennen, legt man tote Wanzen, Kotspuren und Häutungen dazu, und sie üben, diese nicht anzuzeigen.» Mali­sha besteht den Test.
Für die Hunde ist das Aufspüren der Parasiten ein Spiel und reiner Spass. «Sie müs­sen es gern machen, sonst funktioniert es nicht», erklärt die Solothurnerin. Durchsuchen sie einen Tag lang Hotelzimmer und der Hund findet nichts, verleidet es ihm nach einer Weile. Denn er schnüffelt sich mit der Erwartungshaltung durch die Zimmer, dass er auch etwas finden wird. Dann greift Stäheli in die Trickkiste: Sie versteckt ein Röhrchen mit künstlichem Bettwanzengeruch – und der Hund hat sein Erfolgserlebnis. Anspruchsvolle Nachkontrolle
Zeigt der Hund einen Befall an, sieht Stäheli sofort, ob es sich um einen kleinen oder grossen Befall handelt. Der Hund sucht dann den Raum akribisch ab und die Hundeführerin fotografiert die befal­lenen Stellen, um so viele Informationen wie mög­lich zu sammeln. «Mit unserem Bericht geht der Kunde zum Schädlingsbekämpfer», informiert Stäheli.
Die chemische Bekämpfung ist die gängigste Variante: Ein­­sprayen, warten, zwei bis drei Mal wiederholen. Nach wenigen Stunden ist das Zimmer wieder benutzbar. Eine andere Möglich­keit ist das Aufheizen des Raumes auf mindestens 60°C. Dabei ist das Zimmer für zwei Tage nicht benutzbar. Bei der Nachkon­trolle sind die Hunde darauf konditioniert, nur lebende Wanzen aufzustöbern. «Dies ist anspruchsvoll», führt Stäheli aus, «weil überall tote Wanzen, Kotspuren und Larvenhäutungen herumliegen.»
Malisha streift derweil unter Stähelis Füh­­­­rung ruhig und fast elegant durch den Trainingsraum. Mit jedem Schnüffeln scheint ihre Nase zu wachsen. Ein Befall kann jederzeit passieren, man sieht den Gästen nicht an, ob sie Bettwan­zen im Gepäck mitführen. Sie wissen es ja selbst nicht! Die Vermehrung der Blutsauger geht rasant vonstatten: Sind die Eier gelegt, dauert es etwa zwei Wochen bis die Larven schlüpfen. Diese machen fünf Stadien durch. In jedem Stadium müssen sie Blut saugen, damit sie ins nächste Stadium wechseln können. Es braucht etwa sechs Wochen bis sie ausgewachsen sind und sich weiter vermehren können. Ab da geht es schnell mit der Ausbreitung – und die Tiere sind resistent: Die Lebenserwartung beträgt sechs bis zwölf Monate. Oberstes Gebot: Diskretion!
Rückt Stäheli mit ihren Hunden an, ist Diskretion oberstes Gebot. Sie kommt in neutraler Kleidung durch den Hintereingang und geht direkt in ein Zimmer. So schöpft kein Gast Verdacht. Immer öfter setzen Hotels auf Routinekontrollen – als Prophylaxe. «Kürz­lich durchsuchten wir ein Hotel mit 80 Zimmern und keines war befallen», erzählt Stäheli.
Wirtschaftlich kann Stäehli von der Arbeit mit den Bettwanzenspürhunden allein nicht leben – und zwar bewusst. «Der Hund steht bei uns im Vordergrund. Ist ein Hund krank, macht er keine Einsätze bis er wieder gesund ist. Hätte man mehr Hunde, könnte man davon leben.» Dafür sind die Hotels, wo Manuela und Roger Stäheli Weishaupt ihre Ferien verbringen, garantiert bettwanzenfrei. Die Hunde suchen automatisch als Erstes das Zimmer ab. Sie lacht. «Bis anhin hatten wir Glück, wir waren noch nie in einem Hotel mit Bettwanzen-Befall!» ______________________________________________________________ Bettwanzen – Keine Frage der Hygiene
DAS WICHTIGSTE In Kürze und Tipps
• Bettwanzen haben nichts mit Hygiene zu tun. Sie werden von Gästen eingeschleppt, meist im Gepäck. Da kann ein Hotel noch so sauber sein. • Vermeiden lässt es sich nicht. Ein Befall kann jederzeit vorkommen. Ein­mal da, wird man die Bettwanzen ohne professionalle Schädlings­bekämpfung fast nicht mehr los. • Die Bettwanzenspürhunde können bereits einen kleinen Befall erkennen, bevor sich die Parasiten verbreiten. Aber noch wichtiger: Der Hund merkt es, bevor es der Gast merkt! • Pauschallösungen gibt es nicht. Manuela Stäheli Weishaupt empfiehlt eine jährliche Inspektion als Prophylaxe. War ein Hotel schon einmal befallen, lohnt sich eine Nachkontrolle alle vier Monate. • Bei «Bettwanzenspürhunde» belaufen sich die Kosten auf etwa 50 Franken pro Zimmer, je nach Zimmergrösse, plus Reisespesen.
_________________________________________________________________ ★ Manuela Stäheli Weishaupt
70 Pro­zent ihrer Kunden sind Hotels in der ganzen Schweiz, der Rest setzt sich aus Kliniken, Ferienwohnungsbesitzer und Privatpersonen zusammen. 2014 gründete Stäheli (40) mit ihrem Mann die Firma «Bettwanzenspürhunde» in Obergösgen SO. Die ge­lernte Immobilien­vermarkterin ist Hundeverhaltensberaterin und bildet ihre Vierbeiner selbst zu Bettwanzenspürhunden aus. Die Mischlinge lebten auf der Strasse und kommen über eine Tier­schutzorganisation zu ihr. Zurzeit ist sie mit Camiro und dem tauben Leo im Einsatz, zwei weitere Mischlinge (Naira und Malisha) werden noch geschult.