Hotellerie

Besuch im Regenbogenhotel

Christan Schreiber – 25. Februar 2017
Schlipsträger, verliebte Paare, Familien mit Kindern und Wellness-­Jünger: Im «Kramerwirt» im Bayerischen Wald sind alle will­kommen. Funktioniert nicht? Funktioniert prima.

Einen Moment lang herrscht Verwirrung: Wird das Kaminzimmer am Abend für ein Candle-Light-­Dinner benötigt? Oder können die Herren in ihren schwarzen Business-Anzügen die Besprechung verlängern? Karl Fischl, Inhaber des «Kramerwirts» in Geiersthal im Bayerischen Wald, hat wie immer den Überblick. Das Pärchen hat abgesagt, die gute Stube bleibt für die Mitarbeitenden der Münchener Firma reserviert, die dort ihre Jahrestagung abhält. Das nächste kleine Problem: Im Vorbeigehen klagt ein Gast mit Wellness-Korb in Händen über die «zu niedrige Saunatemperatur». Der Chef verspricht sofortige Abhilfe, schickt einen Mitarbeiter in die Wohlfühl-Zone, einen zweiten beordert er in den Kids-Club, wo es Probleme mit dem Kickertisch gibt. Business, Wellness, Familien und verliebte Pärchen unter einem ­Hoteldach – geht das? Karl Fischl antwortet mit einem klaren «Ja». Zusammen mit seiner Frau Bianca hat er das Multi-Prinzip zum ­obersten Credo erhoben, das Duo hat dem «Kramerwirt» sogar den Beinamen «Regenbogenhotel» verpasst. ­«Viele Farben, für jeden ist eine dabei.» Der Erfolg gibt den Fischls Recht. Der Ganzjahresbetrieb kommt auf eine Auslastung von 75 Prozent und erzielt hohe Zufriedenheitsraten bei den Bewertungsportalen. Die Fischls haben sich das Konzept nicht am Reissbrett ausgedacht. Eines Tages haben sie eben gemerkt, dass eine Spezialisierung, die viele Experten für die einzige Chance auf dem harten Hotelmarkt halten, nicht (mehr) möglich ist – und letztlich auch nicht nötig. Um das zu verstehen, muss man den Blick zurück werfen. Der «Kramerwirt» hat eine Geschichte, die vielen Häusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz gleicht. Karl Fischls Eltern gründeten ihn 1970 als einfachen Gasthof. Sie waren Bauern, der Betrieb lief anfangs nebenher. Aber schnell stellte sich Erfolg ein. Karl Fischls Vater nutzte die Gunst der Stunde und investierte. Bereits nach sechs Jahren blickte er stolz auf 100 Betten – und das erste Hallenbad weitum. Sein Vater hat sich mehr oder weniger dazu breitschlagen lassen, erzählt Karl Fischl. Die Gäste lagen ihm in den Ohren und schwärmten, wie toll sie eine Schwimmgelegenheit fänden. Dieses Prinzip zieht sich durch die jahrzehntelange Geschichte des «Kramerwirts»: Man hat konsequent auf die Wünsche der Gäste gehört und diese kompromisslos umgesetzt. Die Erholungssuchenden wünschten sich irgendwann einen Schwimmteich mit FKK-Bereich. Im Wirtsraum, wo heute noch Vereine aus dem Dorf ihre Versammlungen abhalten, sassen Geschäftsreisende zum Abendessen und erzählten dem Wirt von ihrer Schwierigkeit, ein geeignetes Haus mit Tagungsräumen zu finden. Kinder von Stammgästen, mittlerweile selbst im Erwachsenenalter, kamen mit ihrem Partner und fragten, ob es nicht möglich sei, ein romantisches Abendessen einzunehmen. Ehefrauen riefen an, um sich zu erkundigen, ob sich nicht ein Freundinnen-Wochenende mit Massagen organisieren liesse. Die Antwort beim «Kramerwirt» lautete immer: Ja, machen wir, bauen wir, kriegen wir hin. Als die jungen Fischls vor zehn Jahren das Haus übernahmen, bauten sie das Wellness-Segment zwar stark aus. «Aber ich möchte keine absolute Spezialisierung. Irgendwann hat jeder Trend ein Ende, und man steht dumm da.» Deswegen stand es nie zur Debatte, den Kids-Club dichtzumachen oder das Tagungsgeschäft zu beenden. Natürlich gebe es einige Klippen zu umschiffen. Der FKK-Bereich ist für Kinder tabu. «Wir müssen die Gästeströme lenken und ehrlich sein.» So raten Fischl und seine Mitarbeitenden in den Schulferien von Wellness- oder Romantik-Trips ab. «Das Business-Geschäft geht dann automatisch zurück.» Das multiple Zielgruppen-Konzept sorgt für eine konstante Auslastung und ermöglicht den Ganzjahresbetrieb. Karl Fischl ist überzeugt, dass sich jedes Haus einen «ehrlichen Charakter» erarbeiten muss. Etwas, das Trends überdauert, einen «Wesenszug», an den sich der Gast sofort erinnert. Im Falle des «Kramerwirts» ist es ein ausgeprägtes Natur- und Gartenkonzept auf 5000 Hektaren mit tausenden Pflanzen, Paradiesgarten und Rückzugsorten wie den Liebesinseln. Wer da nur an verliebte Paare denkt, sollte mal im Sommer im «Kramerwirt» vorbeischauen, wenn die Anzugträger spontan ihre Besprechungen nach draussen verlegen. www.kramerwirt.de