Tourismus

Grundgedanke der Solidarität

Peter Grunder – 24. Februar 2017
Die Schweize­rische Reisekasse ist ein ­korporatistisches Relikt, eine urschweizerische Institution und ein Geschäft.

Roger Seifritz schloss an der Uni St. Gallen mit Schwerpunkt Risiko-Management und Versicherungsrecht ab und schaffte sich in der Tourismusbranche ab 1998 einen Namen, als er im Saanenland den Destinationsmanager modernen Zuschnitts mitdefinierte. 2011 wechselte der verheiratete Familienvater als Direktor der Schweizerischen Reisekasse nach Bern. GastroJournal: Ist die Reka nicht ein überflüssiges Überbleibsel der Krise zwischen den Katastrophen des 1. und 2. Weltkriegs?
Roger Seifritz: Das hängen Sie zu hoch. Unternehmen entwickeln sich entlang der gesellschaftlichen Realität. Zweck der Reka war damals, Arbeitnehmenden den Zugang zu Ferien und Reisen zu erleichtern. Heute bieten wir vergünstigte Zahlungsmittel mit Fokus Arbeitnehmer und sind, was ursprünglich nicht vorgesehen war, Ferienanbieterin für Familien. Braucht es das noch?
Als Ferienanbieter auf Familien zu setzen, ist in der Schweiz kommerziell nicht interessant. Darum macht dies kaum jemand konsequent. Wir pflegen somit nach wie vor den Grundgedanken der Solidarität mit ökonomisch besonders geforderten Bevölkerungsgruppen.

«Auf Familien zu setzen, ist in der Schweiz kommerziell nicht interessant»
Familienferien sind das eine, die Par­allel-Währung Reka-Geld das andere. Wer bezahlt eigentlich den Rabatt?
Das Modell basiert auf den drei Säulen Finanzanlage-Erträge aus Reka-Geld im Umlauf, Einlöser-Kommissionen und Abgeber-Gebühren. Mit Überschüssen aus dem Finanz-anlage-Ertrag werden Angebote für Familien vergünstigt, darunter auch Gratisferien für bedürftige Alleinerziehende. Die Vergünstigung des Reka-Geldes für den Benutzer tragen hingegen zu 90 Prozent die Arbeitgeber und zu 10 Prozent die Akzeptanzstellen. Und dieses System ist nicht umstritten?
Die Reka deckt offensichtlich ein Bedürfnis – mit jährlich 2 Millionen Reka-Geld-Benutzern, 40 000 Ferien-Familien und 1300 finanziell bedürftigen Familien, die von Gratisferien profitieren. Das sehen auch die Träger der Genossenschaft Reka so, die Sozialpartner der Schweizer Wirtschaft. Und das sieht vor allem auch die Bevölkerung so, bei der die Reka eine hohe Wertschätzung geniesst. Sie grasen nun über den Zaun und ­konkurrenzieren die ebenfalls genossenschaftlich organisierte Lunch-Check, die seit bald 60 Jahren gastronomische Leistungen für Arbeitnehmende vermittelt?
Ein Unternehmen mit sozialer Grundausrichtung zu sein bedeutet nicht, auf betriebswirtschaftliche Chancen zu verzichten. Unser Produkt Reka-Lunch, ein Zahlungsmittel für die vergünstigte Mitarbeiterverpflegung, ist eng mit unserem Stammangebot Reka-Check verwandt. Wir haben es lanciert, weil wir Systeme dieser Art beherrschen und uns zudem ein Kunde dazu angeregt hat. Reka-Lunch dürfte auch nicht das letzte vergünstigte und zweckbezogene Zahlungsmittel sein, das wir anpacken, sofern es auf dem Markt Bedürfnisse gibt. Ist der Sozialtourismus nicht ein Feigenblatt für die Tatsache, dass Reka von Urnäsch bis Blatten touristische Strukturpolitik betreibt?
Strukturpolitische Effekte sind nicht Ziel von Reka, aber ein interessanter Nebeneffekt. Sie dienen dem Gemeinwohl in den betroffenen Regionen und sind damit kein Widerspruch zum Sozial- und Solidaransatz von Reka. Solche Effekte entstehen daraus, dass Familientourismus in der Schweiz kein ertragsstarkes Geschäft ist. Um preiswerte Bedingungen anbieten zu können, brauchen wir für unsere Ferienanlagen zum Teil Gratiskapital. Entsprechende Mittel findet man am ehesten bei Gemeinden und Leistungsträgern an peripheren Standorten wie eben etwa Urnäsch. Im Gegenzug konkurrenzieren wir lokale Gastronomiebetriebe nicht, indem wir keine Restaurants anbieten, schaffen also eine Art Symbiose. Wo steht Reka?
Die Rahmenbedingungen in der Schweizer Wirtschaft gehen auch an Reka nicht spurlos vorbei. Im Geschäftsfeld Reka-Geld beschäftigen uns vor allem der Strukturwandel im Finanzsektor und die Herausforderungen der Industrie. Wenn hier Arbeitsplätze wegfallen, wirkt sich das direkt auf das Verkaufsvolumen von Reka-Geld aus.
«Strukturpolitische Effekte sind ein interes­santer Nebeneffekt»
Ist das vorübergehend oder strukturell?
Wir gehen davon aus, dass dies strukturell ist. Für unser zurzeit stärkstes Produkt Reka-Check heisst das infolge der hohen Marktdurchdringung tendenziell Schrumpfung. Bei anderen Angeboten wachsen wir aber. So war 2016 hinsichtlich Neuabschlüssen mit Unternehmen das drittbeste Verkaufsjahr. Also alles gut?
Nein. Im Geschäftsfeld Zahlungsmittel macht uns weiterhin die Entwicklung der Finanzmärkte Sorgen. Auf Vermögensanlagen sind die Erträge seit 2007 um fast die Hälfte gesunken. Im Geschäftsfeld Ferien ist das HarmoS-Konkordat der Kantone für Reka eine besondere Herausforderung: Weil die Kinder früher eingeschult werden, verlieren wir zwei Jahrgänge ausserhalb der Schulferienzeiten. Wir müssen also neue Gästegruppen erschliessen. Im Übrigen teilen wir die Sorgen des Schweizer Tourismus: Die Aufenthaltsdauer sinkt, die Buchungen kommen immer kurzfristiger, und wir geben im Zusammenhang mit Buchungsplattformen Margen ab.
«Wir haben in der Schweiz europaweit die höchsten Kosten»
Wo steht der Schweizer Tourismus?
Vor allem der alpine Tourismus, in dem sich auch 80 Prozent des Reka-Angebotes befinden, steht vor grossen Herausforderungen. Die Branche hat zudem kaum Einfluss, deren Ursachen zu bekämpfen. Denn einerseits haben wir in der Schweiz europaweit die höchsten Kosten. Parallel sinken auch die Erträge kontinuierlich, weil infolge des hohen Frankens Gäste wegbleiben und zudem immer mehr Margen an globale Reservationssysteme abfliessen, an denen kein Weg vorbei führt. Mittlerweile geht das nicht mehr nur Kleinbetrieben an die Substanz. Was ist zu tun?
Wenn man nicht will, dass sich der Alpenraum wie zum Beispiel in Frankreich entvölkert, braucht es eine Tourismuspolitik, die mit den Leadern unter den alpinen Nachbarländern vergleichbar ist. Wahrscheinlich müsste diese verstärkt bei der Infrastruktur ansetzen. Eine attraktive Infrastruktur ist der Hebel für eine bessere Auslastung bei den Einzelbetrieben. In den alpinen Gebieten sind dies vor allem die Bergbahnen. Auch für gut funktionierende Unternehmen wie Reka geht es ohne wettbewerbsfähige Bergbahnen nicht. Und auch der Reka ist es nicht möglich, regelmässig in die lokale Infrastruktur zu investieren, um diese über Wasser zu halten. Keine schönen Aussichten?
Besonders der ertragsstarke Wintertourismus könnte längerfristig wieder zu dem exklusiven Vergnügen werden, das er früher einmal war. Das ist vor allem demografisch bedingt, und die Auswirkungen der Klimaerwärmung sind auch nicht hilfreich. Eine beherzte Infrastrukturpolitik würde diesen Prozess nicht umkehren, aber wesentlich abdämpfen. Die Branche selber hat zudem noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Chancen bestehen zum Beispiel bei Kooperationen zwischen Einzelbetrieben oder bei Beherbergungs-Modellen wie hybride Hotelresorts, die mit einer tieferen Kostenstruktur arbeiten können.

Fakten und Zahlen zur Reka

Mit den Geschäftsfeldern Ferien und Geld ist die Schweizer Reisekasse Reka ein tragendes touristisches Unternehmen. Einerseits bilanziert Reka mit 11 Feriendörfern in der Schweiz, einem in der Toskana sowie rund 1200 Ferienwohnungen jährlich rund 1,3 Millionen Übernachtungen und ist damit neben Interhome der zweitgrösste Anbieter auf dem Schweizer Ferienwohnungsmarkt. Andererseits bezahlen rund eine Million Menschen in der Schweiz an gut 9000 Orten, die in Zusammenhang stehen mit Reisen und Freizeit, mit Reka-Geld. Ein neues Geschäftsfeld ist der ­Reka-Lunch, eine Konkurrenz zum Lunch-Check. Reka ist seit der Gründung 1939 als Genossenschaft organisiert, getragen von Unternehmen, Gewerkschaften und Tourismusorganisationen. Unter den rund 500 Genossenschaftern finden sich unter anderem GastroSuisse und Hotelleriesuisse, die Schweizerische Post und die SBB, Coop, ­Novartis und Roche, UBS, Credit Suisse und Raiffeisen.

www.reka.ch