Hotellerie
Tourismus

Ab vom Schuss

Fabrice Müller – 18. Oktober 2019
Oft ist die Lage entscheidend: Wie schaffen es ­Gastronomiebetriebe, die abseits gelegen sind, trotzdem erfolgreich zu sein? Auf Spurensuche zwischen Jura und Alpenraum.

Am Rande von Wiler geht es links ab. Über eine halbe Stunde noch sollte die Fahrt durch das Gental im Berner Oberland dauern, vorbei an weidenden Kühen, grünen Alpwiesen und die Aussichten auf die herrliche Bergwelt. Irgendwann, nach etlichen Kurven, steht es da: das Hotel Engstlenalp mit seiner rosafarbenen Fassade und den türkisgrünen Holzläden. Ein Bijou aus der Jugendstilzeit, erbaut 1892. In den Anfangszeiten gehörten viele Bergsteiger zu den Gästen. Und auch prominente Zeitgenossen wie etwa Goethe oder Marc Twain zog es hierauf auf 1839 Meter über Meer. Das Hotel wird bereits in der fünften Generation von Marianne (62) und Fritz (71) Immer betrieben. Ihr Sohn Simon (26) wirkt als Küchenchef und leitet inzwischen die familieneigene AG. Steigende Zahlen an der Sbrinzroute
Die abgelegene Lage seines Hotels sei kein Nachteil, meint Fritz Immer. Die Gäste kämen schliesslich wegen der Ruhe, der Natur und – eben – der besonderen Lage zu ihnen. Das Hotel liegt an der Sbrinzroute, einem ehemaligen Handelspfad zwischen der Schweiz und Italien, sowie an der Via Alpina und der Vier-Seen-Wanderungsroute. Langsam verzieht sich der Hochnebel und gibt rund um das Hotel die Sicht frei auf die Berge. Hier der Titlis, die Wendenstöcke, dort der Tellistock und das Finsteraarhorn. Zwischen Juli und August herrscht im Hotel Engstlenalp Hochbetrieb, wie Immer erzählt. «Die einen kommen zum Wandern zu uns, die andern zum Fischen oder Jagen», erzählt er, der selber Jäger ist und seine Trophäen in der Gaststube präsentiert. Ein weiterer USP der Engstlenalp sei das Klima. Nach allen Seiten wehren hohe Bergwände den Zutritt rauer Luftströmungen ab. Nur die Richtung nach Südwesten bleibt offen, was für ein mildes, trockenes Klima, ähnlich wie jenem im Engadin, sorgt. Insgesamt ist das Hotel während mindestens neun Monaten geöffnet. Im Winter ist das Hotel sporadisch im Betrieb und zum Beispiel von Bergführern und Skitourenfahrern genutzt. Die jährlichen Übernachtungszahlen bewegten sich in den letzten fünf Jahren zwischen 5000 und 5500, nachdem im Jahr 2000 noch 3500 Logiernächte verzeichnet wurden, wie der Hotelier informiert. Eigene Kläranlage
Das Hotel Engstlenalp zählt 30 Doppelzimmer, ein Massenlager mit 40 Betten sowie ein Restaurant mit grossem Speisesaal und viel Natur. In der Küche setzt Simon Immer auf regionale Produkte. «Wir machen vieles selber, auch das Brot», betont Fritz Immer. Auf Convenience-Produkte werde bewusst verzichtet. Nur zwei Lieferanten kommen regelmässig hoch zur Engstlenalp. Ansonsten fährt die Familie Immer regelmässig ins Tal, um sich beim Dorfmetzger, Gemüsebauer oder Getränkelieferanten einzudecken. Nicht minder aufwendig ist die Bereitstellung der Infrastruktur rund um Wasser, Abwasser und Strom. Das warme Wasser wird zum grössten Teil mit Sonnenkollektoren erhitzt. Das überschüssige Trinkwasser treibt eine Turbine an, deren Strom einen Teil des eigenen Verbrauchs abdeckt. In der kalten Jahreszeit wird mit Holz aus der Region geheizt. Mit der eigens für das Hotel erbauten Kläranlage wird sämtliches Abwasser gereinigt. Pro Jahr gibt die Familie Immer zwischen 40 000 und 60 000 Franken für den Unterhalt der Infrastruktur aus, dazu gehören auch die Beiträge zur Privatstrasse, die von einer Genossenschaft in Schuss gehalten wird. Kurgäste aus Paris
Ebenfalls abgelegen, ja sogar «sagenhaft abgelegen», wie auf der Website geworben wird, ist das Hotel Tödi in Linthal GL. 1860 als Kurhotel für die Gäste des Schwefelbads Stachelberg erbaut, zog es damals viele Kurgäste, die auf Sänften getragen wurden, an. «Es gab sogar einen Direktzug von Paris ins Lin­thal», berichtet die Gastgeberin Burgi Gisler (58). Mittlerweile gehört das Hotel der Axpo.
Zwischen 2009 und 2015 diente das Haus ausschliesslich als Unterkunft für jene Bauarbeiter, die am höchstgelegensten Staudamm Europas auf der Muttenalp im Einsatz standen. Etwa 20 Arbeiter wohnten während dieser Zeit im Hotel, gegen hundert Personen kamen zum Mittagessen. Burgi Gisler wurde von der Axpo als Geschäftsführerin des Hotels angestellt. Noch gut erinnert sie sich an die langen Präsenzzeiten von sechs Uhr morgens für das Frühstück bis spät in die Abendstunden. Vor zehn Jahren modernisierte die Axpo den vorderen Teil der Liegenschaft mit dem Restaurant, das über einen grossen Saal für bis zu 120 Personen verfügt. Vom Bauarbeiter- zum Touristenhotel
Mit dem Abschluss der Bauarbeiten am Staudamm vor etwa einem Jahr hat sich das Hotel mit seinen 20 Zimmern für Touristen geöffnet. Im Restaurant werden gutbürgerliche Gerichte – unter anderem mit Alpkäse aus der Region – serviert. In den warmen Monaten ist das Hotel ein beliebter Ausgangspunkt für Bergtouren ins Tessin oder nach Graubünden. Etwas ruhiger wird es im Winter. Dann versucht Burgi Gisler, die Gäste mit besonderen Anlässen wie Konzerte oder Wildbuffets ins Tödi zu locken. Hinzu kommen die Gäste, die an den Kraftwerksführungen teilnehmen. «Die Leute trauen sich im Winter oft nicht zu uns, weil sie mit Schnee auf der Strasse rechnen. Doch seitdem das Hotel der Axpo gehört, wird die Zufahrtsstrasse täglich geräumt», versichert die Gastgeberin. Deshalb stellten die Zufahrt und Warenlogistik für ihr Hotel kein Problem dar.
Ein wichtiger Anziehungspunkt sei zum Beispiel die eindrückliche Natur und die damit verbundene Atmosphäre. Rings um das Hotel ragen hohe Felswände empor. Die meisten Gäste kommen über Mund-zu-Mund-Propaganda ins Tödi. Ausserdem ist das Hotel in diversen Buchungsportalen präsent. Laut Burgi Gisler hat sich das Hotel im ersten Jahr nach seiner Öffnung für Touristen bereits sehr positiv entwickelt. Facebook, Mailings sowie Kino- und Plakatwerbung
Von Kundenempfehlungen, aber auch von regelmässigen Beiträgen in den Medien profitiert Esther Villiger (62), Gastgeberin im Restaurant Ochsen in Oberzeihen AG. Ausserdem werbe sie mit Mailings an ihre Stammkunden, auf Facebook und öfters mit Kino- und Plakatwerbung. Ohne geht es nicht, wenn man wie das Restaurant Ochsen im hintersten Ecken des oberen Fricktals liegt, abseits der grossen Verkehrsströme. «Für uns ist die Lage sicher eher ein Nachteil, schliesslich gibt es immer noch Fricktaler, die nicht wissen, wo Oberzeihen liegt. Wenn wir nicht regelmässig auf uns aufmerksam machten, würde man uns wohl vergessen», sagt Esther Villiger schmunzelnd. Andererseits, stellt die Köchin fest, sei gerade die alles andere als zentrale Lage für manche Gäste reizvoll. «Die Leute suchen solche besonderen Orte, die sich mit ihrem Charme und Ambiente von anderen Betrieben abheben.» Hier hat Esther Villiger mit ihrem Ochsen einen grossen Vorteil: Die rustikale Gaststube mit der dunklen Holztäfelung im bäuerlichen Jugendstil, die knarrenden Böden und dem Cheminée, wo regelmässig Braten, Wild und auch kleinere Stücke über dem offenen Feuer gegart werden, sind eine Augenweide. Im Vergleich zu 2017 durfte der Ochsen laut eigenen Angaben im letzten Jahr ein Umsatzplus um 20 Prozent verbuchen. Trüffel suchen
Passend zum Ambiente des Restaurants serviert Esther Villiger ihren Gästen regionale, saisonal ausgerichtete Gerichte. Viele Zutaten bezieht sie von den umliegenden Bauernhöfen und Metzgern sowie das Wild von der Zeiher Jagdgesellschaft. Der Wein stammt auch von den eigenen Reben in Elfingen und Bözen. Während der «Semaine du Goût», an der sich der Ochsen ebenfalls beteiligte, standen Gerichte mit Fleisch von Junggeissen aus Elfingen auf der Karte – zum Beispiel als Ragout oder Hacktätschli, serviert mit Polenta-Gratin und Geissenzigermalfatti oder Zigermousse zum Dessert. Typisch regional ist etwa auch das Dessert Chriesiprägel, warmer Kirschenkompott mit gerösteten Brotscheibchen und hausgemachter Vanilleglace.
Regelmässig stehen spezielle Aktionen und Veranstaltungen wie etwa die Trüffelsuche mit anschliessendem Trüffel- Menü, ein musikalischer Abend mit Akkordeon und Geige oder ein Gitzi-Kochkurs auf dem Programm. Ausserdem liegt der Ochsen an der Genussstrasse des Juraparks Aargau. ___________________________________________________________ Wichtige Erfolgsfaktoren
• Erreichbarkeit (mit PW oder ÖV)
• Besondere Lage und Atmosphäre
• Touristische Angebote (Wanderwege, Themenwege, Bergbahnen)
• Aussergewöhnliches Angebot (Kulinarik, Hotellerie usw.)
• Die Persönlichkeit der Gastgeber
• Regelmässige Veranstaltungen (Kultur, Themenwochen, Führungen)
• Aktives Marketing in der Presse, im Internet, in den sozialen Medien, Stammkunden-Information
___________________________________________________________ www.engstlenalp.ch www.hoteltoedi.ch www.ochsen-oberzeihen.ch