Gastronomie

«Sake mit Schweizer ­Gerichten – das reizt mich»

Benny Epstein – 10. Oktober 2019
Charly Iten ist Master Sake Sommelier. Der Japan-Experte missioniert für das japanische Nationalgetränk, damit die Vorurteile vom warmen, zum Dessert servierten Fusel endlich abgebaut werden.

Charly Iten, das Bild, das sich bei den Leuten in der Schweiz eingebrannt hat, ist jenes vom heissen Sake im Keramikbecher, den man beim Japaner zum Dessert trinkt. Das ist keine schöne Erinnerung.
Charly Iten: Leider wissen viele gar nicht, dass es Premium-Sake gibt und dass man den gekühlt im Weinglas trinken kann oder soll. An dieser Aufklärung arbeite ich zurzeit. Da besteht viel Nachholbedarf. Daran arbeiten Sie am 10. Oktober. Sie geben im Grand Resort in Bad Ragaz SG eine Masterclass. Danach begleiten Sie ein Sake-Dinner. Was ist das Besondere am Anlass?
Einerseits sicher, dass er im neuen Restaurant Verve von Sven Wassmer durchgeführt wird. Anderseits, dass Küchenchef Sebastian Titz für den Anlass nicht japanisch kocht, sondern der Sake zu Schweizer Gerichten kombiniert wird. Da wird es beispielsweise als typisches Herbstgericht einen gebratenen Rehrücken mit Wacholder, Selleriepüree und Totentrompeten geben. Da kommt einem als passende Begleitung eher ein Rotwein aus dem Rhonetal oder ein Pinot Noir in den Sinn.
Ich habe noch kein Gericht gefunden, zu dem ein Sake nicht mindestens so gut passt wie ein Wein. Das ist fürs Erste ungewohnt, führt aber bei der richtigen Empfehlung zu äusserst gelungenen Überraschungen. Ist das objektiv so oder liegt das auch an Ihrer Begeisterung für das Getränk?
Das ist ganz objektiv so. Sake zieht beim Herausheben von Umami, dem fünften Geschmackssinn, die Trumpfkarte. Je nach dem Umami im Gericht, passt ein anderer Sake dazu, der den Effekt potenziert, für eine Geschmacksexplosion im Gaumen und für einen längeren Nachgeschmack sorgt. Das ist keine persönliche Empfindung, sondern chemisch belegt. Die meisten Gastronomen in der Schweiz kennen Sake kaum. Stinkt es Ihnen manchmal, dass Sie bei Ihren Schulungen immer bei Null beginnen müssen?
Nein, ich sehe meine Aufgabe gewissermassen als Missionieren an. Man kennt Sake in der Schweiz ja eigentlich schon recht lang. Leider gab es lange aber nur qualitativ schlechten Sake, sogenannten Futsūshu. Das ist vergleichbar mit dem Hauswein im Restaurant. Oft kriegt man einen miesen Hauswein, mal einen akzeptablen, aber das grosse Aha-Erlebnis wird man nie haben. Glauben Sie denn, dass Sake dereinst mehr als nur ein Nischenprodukt sein wird?
Das ist zumindest mein Ziel, mein Wunsch. Ich will, dass Gäste im Restaurant – und nicht nur im asiatischen – einfach mal sagen: «Heute habe ich Lust auf Sake, nicht auf Wein.» Das dürfte noch ein Weilchen dauern. Die wenigsten Gastronomen kennen die verschiedenen Qualitätsstufen beim Sake und die japanischen Begriffe. Gibt es Allrounder, die immer funktionieren?
Ja, es gibt Allrounder, vor allem bezüglich der Serviertemperatur. Die Variationsmöglichkeiten von Temperaturen ist übrigens ein weiterer Vorteil beim Sake. Man würde ja nie einen Wein auf 35 Grad Celsius erwärmen und zur Suppe servieren. Beim Sake geht das vorzüglich. Das Erwärmen verstärkt auch den Umami-Effekt. Als wäre Sake nicht schon fremd genug, gilt es also auch noch, auf die Temperatur zu achten.
Bei gewissen Produkten schon. Bei den Premium Sakes gilt es in der Tat auf die Temperatur zu achten. Die einfache Regel dabei ist, je duftintensiver ein Sake, desto weniger empfiehlt es sich, ihn zu stark zu erwärmen. Zurück zur Frage nach dem Allrounder.
Da ist es wie beim Wein. Es gibt Weine, die als Allzweckwaffe verkauft werden. Leichter Körper, mittelschwer, vollmundig – aber der passt ja dann nicht wirklich zu rotem Fleisch mit dunkler Sauce. Den Allrounder-Sake setze ich zu leichten Fisch- und Seafoodgerichten oder zu mildem, jungem Käse ein. Sie geben nicht nur Sake-Schulungen, sondern sind auch Händler. Wie viele Ihrer Kunden sind asiatische Betriebe?
Es sind nur knapp zur Hälfte asiatische Restaurants. Vielleicht sogar ein paar mehr, die europäisch kochen. Das ist auch mein persönlicher Ansatz. Klar freue ich mich, asiatische Restaurants zu beraten. Bei denen gehärt eine ­Sake-Auswahl mittlerweile zum guten Ton. Was mich aufgrund der kulinarischen Innovation aber speziell reizt, ist der Eintritt in Betriebe mit klassischer oder moderner europäischer Küche. Weil dieser Markt wirtschaftlich attraktiv ist oder weil Sie diese Herausforderung suchen?
Klar: Der wirtschaftliche Aspekt spielt auch eine Rolle. Der Hauptgrund ist aber wirklich, dass ich es spannend finde, Sake zu jeder Küche zu kombinieren. Als Sake-Lieferant müssen Sie die Sommeliers und Servicemitarbeiter der Betriebe auch schulen. Was bringen Sie denen bei?
Als Erstes gilt es zwischen sechs verschiedenen Premium-Typen zu unterscheiden. Dann gehört ein Sprachtraining dazu. Wenn man vor dem Gast steht, sollte man die paar Begriffe schon einigermassen korrekt aussprechen. Das macht Eindruck. Dann gehe ich auf die Eigenschaften der einzelnen Produkte ein, damit dem Gast die passende Empfehlung gemacht werden kann und der Sake im richtigen Glas bei passender Temperatur serviert wird. Und dann kommt noch ein wenig Storytelling zu den Produkten hinzu. Der Service muss Sake aktiv verkaufen. Ihn nur auf die Menükarte zu setzen, bringt nichts. Die Schulung dauert maximal zweieinhalb Stunden. Die Teilnehmer erhalten das Schulungsmaterial auch elektronisch, um jederzeit darauf zurückgreifen zu können. In der Gastronomie gibt es ständig Personalwechsel. Da geht das Wissen rasch wieder verloren.
Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Die neuen Mitarbeiter müssen dann von ihren Kollegen geschult werden. Falls nötig, komme ich nochmals vorbei. Sie haben den Begriff des Missionierens verwendet. Werden Sie von den Restaurants kontaktiert oder suchen Sie den Zugang selbst?
Beides kommt vor. Derzeit ist es eher noch so, dass ich den ersten Schritt mache. Wie oft müssen Sie heute noch den Kopf schütteln, wenn Sie sich die Sake-Auswahl in asiatischen Restaurants in der Schweiz anschauen?
Die Bilanz ist durchzogen. Immer mehr japanische Restaurants haben eine vernünftige Auswahl. Es gibt allerdings immer noch viele mit einem sehr dürftigen, durchschnittlichen Sortiment. Professionell beraten wird man nur in wenigen Lokalen. Kennt sich in Japan jeder mehr oder weniger mit Sake aus?
In Japan ist es normal, zum Feierabend in einer Izakaya – das sind Kneipen – Sake zu trinken. Da gibt es fast überall eine anständige Auswahl, und das Personal weiss Bescheid. Ich würde aber nicht behaupten, dass die Mehrheit der Japaner die Premium-Typen kennt. Viele ältere Leute kennen einfach ihre Stammmarke. Die jüngere Generation ist nicht mehr so stark auf Sake fokussiert. Sie orientieren sich am Westen, trinken, Wein, Portwein, Champagner, Prosecco, Bier oder Alcopops. Das ist ein Problem für die Sake-Industrie. Aufgrund des rückläufigen Interesses im einheimischen Markt wurde der Export in den letzten 10, 15 Jahren für die rund 1300 Sake-Brauereien immer wichtiger. Wie viel kostet ein Premium-Produkt?
Die traditionelle Sake-Flasche fasst 7,2 Deziliter. Der Einstiegs-Gastronomiepreis für Premium-Produkte liegt bei rund 25 Franken. Wie beim Wein ist die Grenze nach oben offen. 25 Franken sind nicht wenig. Einverstanden, aber wir sprechen von Top-Produkten. Und der Vorteil gegenüber Wein: Eine geöffnete Flasche hält ihr Niveau über einen Monat, wenn sie nach der Öffnung im Kühlschrank aufbewahrt wird. Beim Wein hält eine geöffnete Flasche höchstens ein paar wenige Tage, viel wird weggeschüttet oder bestenfalls verkocht. Diesen Verlust hat man beim Sake nicht. Und Sake muss auch nicht gelagert werden. Auch eine frisch abgefüllte Flasche verspricht höchsten Trinkgenuss. Der Abend in Bad Ragaz wird es zeigen.
Ja, ich hoffe, auch den einen oder anderen Gastronomen begrüssen zu dürfen. Die Speisen mit dem passenden Sake – da wird es zu Momenten kommen, wie wenn man eine Packung Chips aufreisst: Man kann nicht stoppen bis zum letzten Bissen respektive Tropfen.