Gastronomie

Wunschkonzert im Restaurant

Herbert Huber – 28. November 2018
Der Gast ist König, heisst es oft. Doch muss der Gastgeber ihm wirklich jeden Wunsch erfüllen? Eine (nur leicht fiktive) Geschichte aus dem Gastgeberalltag.

Wem sage ich es? Ein Service mittags oder abends kommt einem Konzertanlass gleich. Der Küchendirigent ist angespannt wie eine Feder. Das Orchester bereit für den grossen Auftritt. Das Publikum voller Erwartungen – schliesslich geht man ja auswärts essen. So wird von diesem Orchester viel, sehr viel Flexibilität verlangt. Oft über die Grenzen des Machbaren hinaus. Und das kann zu Misstönen führen. Nachfolgend eine nur leicht fiktive Geschichte aus dem Gastgeberalltag. Wer kennt sie nicht, diese Allergien. Der eine Gast hat eine Nussallergie. Ein anderer verträgt keine Meeresfrüchte. Wieder jemand kriegt einen Ausschlag, wenn er nur schon Erdbeeren hört. Wieder einer isst prinzipiell kein Schweinefleisch und wünscht auf dem Vorspeisenteller Mostbröckli anstatt Parmaschinken. Dann kommen noch die mit dem hohen Blutdruck, also ohne Salz oder nur «äs bitzeli». Menüänderungen wie Kartoffeln statt Teigwaren, Rüebli statt Broccoli, Reis statt Nudeln – diese Wünsche kann man problemlos erfüllen. Doch heutzutage ist der «Normalgast» zunehmend die Ausnahme und «Wunschkonzerte» die Regel. Ausgeprägte Abneigungen, aufs Essen projizierte Weltanschauungen, immer mehr Unverträglichkeiten und Allergien (manchmal auch bloss eingebildete). Wie kann da ein Küchenorchester noch mit Begeisterung spielen? Die Service-Schauspieler sind heillos überfordert – die Küche am Anschlag. Dann nämlich, wenn die Konzertstühle bis auf den letzten Platz besetzt sind. Schauen wir doch einmal in die Runde. Am Tisch 14 bringt gerade ein Vegetarier seine Wünsche an: «Bitte keinen langweiligen Gemüseteller. Pilze esse ich nicht. Rosenkohl hasse ich wie der Teufel das Weihwasser. Gruss an die Küche, sie sollen sich was einfallen lassen. Aber nur frische Sachen und möglichst regional.» Am Tisch 13 sitzen sechs Gäste. Darunter ein Gast mit Zöliakie. Das muss man ernst nehmen. Nur, wie soll der Koch in der Hitze des Gefechtes reagieren? Weiss er, dass Mais, Reis, Kartoffeln, Hirse, Buchweizen und Soja etc. von Natur aus glutenfrei sind? Zum Glück weiss er es und zaubert gleichzeitig mit fünf anderen Bestellungen von Tisch 13 und 10 (Sonderwunsch: keine Suppe aus dem Päckli) etwas Passendes her. Weitere A-la-carte-Bestellungen türmen sich fast schon zu Eifelturmhöhe. Schon kommt Tisch 20 mit einem neuen Spezialwunsch an den Service: «Können Sie bitte am Tisch nebenan sagen, sie sollen mit dem Hund verreisen, denn ich habe eine Hundehaarallergie.» Als ob das so einfach wäre, sind doch der Hund und sein Besitzer seit Jahren Stammgäste. Das Tier bellt nie, riecht nicht und liegt brav unter dem Tisch. Am Tisch 7: drei Gäste. Dabei eine Dame mit einem «sehr empfindlichen Magen», wie sie sagt. Auf der Karte findet sie nichts Passendes. Zufälligerweise arbeitet eine Diät­köchin im Betrieb und stellt die Dame zufrieden. Zufälligerweise. Tisch 16: Zwei Gäste outen sich als «vegan». Obwohl aktuell ein hoch gehandeltes Ernährungsthema, ist veganes Essen in einem Restaurant, das nicht auf diese Gäste spezialisiert ist, eine grosse Herausforderung. Doch die Küche schafft auch das noch knapp. Nur, andere Bestellungen müssen dafür warten. Da kommt Tisch 11 gerade recht. Dort sitzt ein Gast mit Pollenallergie. Man sieht es ihm an. Er kann nichts essen. Der Arme. Er ist einfach «verschnupft», und die Köche sind es langsam, aber sicher auch. Vor allem einfach überfordert. Ebenso wie der Service. Erst recht, wenn die Mitarbeitenden mit der deutschen Sprache Mühe haben, kommt es zu Misstönen. «Freundlich bleiben, die Ruhe bewahren» lautet das Gesetz der Gastronomie. Der Gast ist ja König. Jeder. So bin ich für Lösungen der Probleme. Mit einem Ratschlag. Wenn man als Gast weiss, was einem fehlt, kann man im Zeitalter der Digitalisierung, im Internet die Speisekarte vor dem Restaurantbesuch studieren. Und allfällige Spezialwünsche bei der definitiven Reservation anbringen. Das hat kürzlich an einem Anlass, dem ich beiwohnen durfte, glorios funktioniert. Eine Dame und ein Herr wurden unauffällig mit ihrem allergiebedingten Extraessen beglückt. Ohne Gstürm. Ohne Hektik. So einfach (wäre) ist das. Und der beizologische Konzertbesuch wäre frei von unliebsamen Misstönen. Oder muss ein Koch in Zukunft auch noch Medizinmann sein?