Gastronomie

Wirten, Winter, Weltcup: Restaurant Wildstrubel

Peter Grunder – 22. Dezember 2017
Seit 25 Jahren wirten Therese und Christine Aellig im Restaurant Wildstrubel im Boden, einem bäuerlichen Weiler der Gemeinde Adelboden. Ihr Restaurant liegt einen Steinwurf entfernt vom Zielraum der Adelbodner Weltcuprennen, die Anfang 2018 zum 51. Mal stattfinden werden. Die Veränderung der Rennen in den letzten Jahren und der entsprechende Einfluss aufs Restaurant sind extrem, doch widerspiegeln sie die Veränderungen der Wintersaisons und des alpinen Tourismus überhaupt.

Früher sei es «eher ein Sportanlass gewesen», sagt Christine Aellig. Die Verwandlung habe begonnen, als die Rennen aufs Wochenende verlegt worden seien, ergänzt Therese Aellig, Christines Schwester. Seit 1993 sind die beiden Frauen im Restaurant Wildstrubel zugange – dem Betrieb, den ihre Eltern 1963 im Boden, einer Bäuert der Gemeinde Adelboden, eröffnet hatten. Diese Sportinteressierten seien zwar immer noch an den Adelbodner Weltcuprennen anzutreffen, aber die meisten der Zehntausenden kämen heute fürs Fest, erläutert Christine. Sie war seinerzeit selber Skirennen gefahren, wenn auch nicht ganz so gut wie Bruder Peter Aellig. Der war einst Weltcupfahrer und ist inzwischen zuständig für die Landwirtschaft – neben dem Gastgewerbe immer das erste Standbein der alteingesessenen Adelbodner Familie. Die traditionellen Gäste würden das Skifest nun eher meiden, sagt ­Therese, etliche Zweitwohnungsbesitzer im Boden vermieteten ihre Wohnungen an den Renntagen und blieben weg. Und weil viele Wochen vor und nach den Rennen grosse Infrastrukturen auf- und abgebaut würden, kämen auch andere gute Gäste weniger gern vorbei. Beklagen wollen sich die Schwestern Aellig indessen nicht: «Wir haben eine positive Grundeinstellung und versuchen immer, das Beste daraus zu machen», meint Christine – das sei wohl ohnehin notwendig, um im Gastgewerbe zu bestehen. Terrasse Aellig Therese Christine Web PG Blick von der Terrasse zum Zielhang. Marc Girardelli, der jetzt als Kommentator fürs Fernsehen arbeitet, habe einst als Rennfahrer vor den Rennen im Restaurant noch eine Ovo getrunken, erzählt Christine lachend – heute undenkbar. Vor ein paar Jahren hätten sie ihren Betrieb am Rennwochenende schliesslich komplett umgestellt, nimmt Therese den Faden auf: Das Gedränge sei so gross geworden, dass ein Service nicht mehr möglich war, überdies hätten manche Gäste stundenlang vor einem Glas gesessen oder seien nur gekommen, um sich ins Gewühl zu werfen. Als Christine vorgeschlagen habe, die rund 90 Plätze im Restaurant am Samstag als Pauschale anzubieten, sei sie erst skeptisch gewesen, meint Therese. Aber inzwischen ginge es anders gar nicht mehr: Zu attraktiv ist das Angebot, während des Rennens einen sicheren Platz im Restaurant zu haben – und dies samt Shuttle-Bus, Tribünenplatz und Drei-Gang-Menü. Und wer auf die Schnelle etwas will, kann sich auf der gedeckten Terrasse gütlich tun. «Man muss am Puls der Zeit sein und offen für Neues bleiben, ohne das Traditionelle zu verlieren», bringt es Christine auf den Punkt. Die Entwicklung der Weltcuprennen ist dafür eine Art Brennpunkt: «Es kann nicht sein, dass es nur noch im Winter funktioniert und wir im Sommer schlafen», weitet ­Therese diesen Brennpunkt über das ­Restaurant hinaus auf Adel­boden und den alpinen Schweizer Tourismus überhaupt: «Wir leben von der Substanz.» Die Adelbodner Weltcuprennen zeigen beispielhaft, dass die goldenen Jahre des Wintersports vorbei sind – doch Nostalgie ist für die Gegenwart und die Zukunft ein schlechter Ratgeber, wie Christine klarstellt: «Man kann einen Betrieb nicht nur emotional aufrechterhalten.» Natürlich ist das «Strubeli», wie der Betrieb bei Stammgästen heisst, nach wie vor ein ausgezeichnetes Speiserestaurant und ein gemütlicher Treffpunkt für Gäste und Einheimische: «Wir haben einen Stammtisch, der funktioniert, und das ist wunderschön», sagt Christine – Ausdruck der Verbundenheit ist auch, dass etwa ein Dutzend Frauen, die in den letzten 25 Jahren hier servierten, Adelbodner Männer ­geheiratet haben. Aber bei der legendären Mutter der Schwestern, Therese, waren es ­einerseits über 40 Frauen gewesen, die hängenblieben. Andererseits und vor allem will die nachfolgende Generation nicht so weitermachen: Zwei Töchter von Christine sind zwar interessiert daran, die gastgewerbliche Tradition im «Strubeli» in 3. Generation fortzuführen. Doch es wird kaum mehr die arbeits­intensive und ertragsschwache klassische Gastronomie sein. Wie sich der Weltcup und der Tourismus veränderten haben, wird sich auch der Betrieb verändern: immer noch auf der Basis der intakten, grandiosen Landschaft und immer noch persönlich fokussiert auf den Gast. Aber offener für die Welt, die solche wahren Werte sucht und ­bezahlt, und weniger konzentriert auf die wahnsinnigen Wochen mit dem Schnee.