«Wir haben enormen Respekt vor diesem Ort»

Caroline Goldschmid – 27. Oktober 2022
Le Tonnelier in Bulle FR wurde von Icomos als «Historisches Restaurant 2023» ausgezeichnet. Carlos Tenera, Olivier Perler und Georges Prost kauften das 178-jährige Lokal vor vier Jahren. Dank einer sanften Renovation wurde die Seele der Beiz bewahrt und durch moderne Akzente gekonnt aufgewertet.

Übersetzung: Reto E. Wild

Carlos Tenera, als Sie vor rund einem halben Jahr Ihre Bewerbung für die Auszeichnung «Historisches Restaurant des Jahres 2023» einreichten, glaubten Sie an eine Chance, zu gewinnen?
Carlos Tenera (CT): Wir waren ziemlich zuversichtlich, da unsere Bewerbung alle notwendigen Voraussetzungen erfüllte. Unser Restaurant ist das symbolträchtigste der Stadt Bulle –und das älteste! Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis des grossen Umbaus, der zwei Jahre gedauert hat.

Was bedeutet der Icomos-Preis für Sie?
Olivier Perler (OP): Es ist eine Form der Anerkennung für all die Arbeit, die wir geleistet haben. Die Auszeichnung stellt auch eine Geschäftsmöglichkeit dar: Damit lässt sich Werbung machen.

Warum war es wichtig, das historische Erbe von Le Tonnelier zu bewahren?
CT: Wir haben grossen Respekt vor diesem Ort und der damit verbundenen Kultur. Es war uns sehr wichtig, dass die Beiz ihre Seele behält und die Spuren ihrer Geschichte sichtbar bleiben. Es kam nicht infrage, etwa alles in makellosem Weiss zu streichen und den Ort kalt oder fade erscheinen zu lassen!
OP: Man kann ein Gebäude wie dieses nicht einfach übernehmen, um etwas anderes daraus zu machen. Es wäre falsch gewesen, die Identität auszulöschen. Wir wollten Modernität einbringen und gleichzeitig den Geist der Zeit bewahren. Allerdings mussten wir uns mit vielen Einschränkungen auseinandersetzen, beispielsweise den Brandschutzbestimmungen.

Es ist eine komplizierte Aufgabe, einen Ort zu modernisieren und gleichzeitig seine Seele zu bewahren. Wie sind Sie vorgegangen?
OP: Wir haben Hand in Hand mit dem Amt für Kulturgüter des Kantons Freiburg zusammengearbeitet. Ausserdem haben wir das Architekturbüro OCSA in Bulle und die Innenarchitektin Thérèse Chollet vom Büro Ipsum, ebenfalls aus Bulle, hinzugezogen. Sie hat uns bei unseren Entscheidungen enorm geholfen.

Die Investitionen müssen ebenso enorm gewesen sein ...
CT: Die Kosten für die Renovierung beliefen sich auf fünf Millionen Franken. Im Laufe der Arbeiten gab es einige unangenehme Überraschungen, und das Budget musste nach oben korrigiert werden. Das bedeutet aber vor allem viel Zeit und Energie, um alle Entscheidungen abzusegnen und die Arbeiten zu überwachen.

2018 haben Sie beide und Georges Prost «Le Tonnelier» gekauft. Welche Aufgaben hat jeder von Ihnen?
CT: Wir drei sind sowohl die Eigentümer als auch die Direktoren des Unternehmens. Ich bin sozusagen der Geschäftsführer, da ich alles hier leite, einschliesslich der Küche.
OP: Wir drei sind auch Eigentümer der Wein- und Tapas-Bar Le 43 in Bulle, die ich seit etwa 15 Jahren betreibe. Ich habe mich während des Umbaus von Le Tonnelier engagiert. Ich habe quasi die Rolle des Bauleiters übernommen. Ich interessiere mich sehr für Architektur! Georges Prost, unser «kreativer Kopf», ist für die Finanzen und die Verwaltung zuständig.

Die Bauarbeiten begannen 2019, und die Eröffnung des Hotels und Restaurants fand zwei Jahre später, am 1. Juni 2021, statt. Die Arbeiten fanden also teilweise während der Pandemie statt.
OP: Ja, und das hat uns nicht wirklich geholfen, denn wir hätten gerne früher eröffnet, aber die Bauarbeiten haben sich wegen Corona verzögert. Nach zwei Jahren Bauzeit wird man fatalistisch (lacht). Aber wenn das Ergebnis erst einmal da ist, vergisst man die schlechten Zeiten und Schwierigkeiten.

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Die Besitzer über das historische ­Restaurant in Bulle FR: «Es war uns sehr wichtig, dass die Beiz ihre Seele behält und die Spuren ihrer Geschichte sichtbar bleiben.» (Foto: Nicolas Righetti)

Wie sieht Ihre Bilanz nach eineinhalb Jahren aus?
CT: Ich bin sehr zufrieden! Wir müssen intern noch ein paar Dinge anpassen, aber im Gastgewerbe ist man nie fertig. Die Zahlen sind gut, und wir wissen, dass wir noch besser werden können. Covid hat die Gewohnheiten der Menschen verändert. Aber wir haben auch Glück: Die gleichen Gäste kommen mehrmals in der Woche wieder, was bedeutet, dass wir etwas richtig machen. Für mich ist die Treue der Kunden die grösste Belohnung. Ich bin nicht daran interessiert, bloss ein weiteres Restaurant zu betreiben. Wenn wir jedoch einen echten Mehrwert bieten können, ist das ein Gewinn. Wir versuchen, uns durch unser Angebot zu differenzieren.

Wie sieht dieses Angebot aus?
CT: Es ist eine moderne Brasserieküche. Die Brigade besteht aus Köchen aus ganz Europa: Frankreich, Georgien, Italien und Portugal. Jeder bringt seine eigene Note mit ein. Wir ändern die Speisekarte alle sechs Wochen, sodass wir mit möglichst vielen saisonalen Produkten arbeiten können. Wir sind zu neunt in der Küche, und das ist kein Luxus, denn an den Wochenenden wird viel gearbeitet. Wir haben sieben Tage die Woche geöffnet, von morgens bis abends.

Was ist das Besondere an Le Tonnelier?
CT: Neben dem Café- und Restaurantbereich gibt es eine gros­se Auswahl an Spirituosen: Zwei Barkeeper mixen spezielle Cocktails. Es gibt auch einen Privatraum im Untergeschoss, «La désalpe», in dem Seminare stattfinden und Geburtstage gefeiert werden. Es ist geplant, diesen Raum noch besser zu nutzen, insbesondere durch Ausstellungen. Speziell sind auch die Fresken von 1901 an den Wänden des Saals im Erdgeschoss: Manchmal kommen die Leute ins Restaurant, nur um sie zu bewundern.

Das Abenteuer begann mit der Geschichte einer Freundschaft ...
CT: Ich war Kunde in der Bar Le 43, die damals schon von Olivier geführt wurde ...
OP: ... und ich war Gast in seinem früheren Restaurant, dem Pinte des Vernes in Pringy FR. Wir kennen uns seit etwa 20 Jahren. Georges ist mein Schwager. Als wir erfuhren, dass Le Tonnelier zum Verkauf stand, ergriffen wir die Gelegenheit.

Wenn Sie Teilhaber geworden wären, hätte das Ihre Freundschaft gefährden können?
CT: Nein, denn wir drei haben eine gemeinsame Basis: Wir lieben es, Menschen eine Freude zu machen. Wir sind ehrlich, und die Arbeit schreckt uns nicht ab.

Ist Ihr Team vollzählig, oder haben Sie angesichts des Fachkräftemangels Schwierigkeiten, neue Mitarbeiter zu finden?
CT: Ich suche schon seit einem Jahr einen Konditor. Ansonsten ist das Team vollzählig, aber der Anfang war schwierig, was die Anstellungen betrifft. In meinen 25 Berufsjahren war es das erste Mal, dass ich so etwas erlebt habe. Alles war geschlossen, also mussten wir Leute einstellen, ohne einen Probetag durchzuführen. Die ersten Schichten waren die Hölle! Heute läuft es gut, das Team ist stabil und motiviert. Wir haben eine familiäre Atmosphäre geschaffen, und die Mitarbeiter wissen, dass sie sich auf uns verlassen können.

Alles in allem sind Sie glückliche Chefs.
CT: Ja. Wenn Sie einmal einen Abend in Bulle verbracht haben, werden Sie nicht mehr weggehen! Die Leute hier feiern gerne und sind sehr offen. Die Kollegen sind Freunde, die Atmosphäre ist gesellig und solidarisch: Man leiht sich gegenseitig Material, und manchmal hilft man sich sogar beim Servieren.

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★ Daten und Schlüsselzahlen

1780: Die Regierung von Freiburg genehmigt Jacques Glasson die Eröffnung einer Schankwirtschaft und die Einrichtung eines Brotbackofens unter dem Namen
«Le Tonnelier acquise des frères Majeux».
1805: Am 2. April zerstört ein Feuer einen grossen Teil der Stadt Bulle. Das neue Gebäude wird nach den Plänen des Architekten Charles De Castella wieder aufgebaut.
1844: Le Tonnelier wird offiziell ein Gasthaus.
2018: Übernahme durch Carlos Tenera, Olivier Perler und Georges Prost (heute 40, 60 und 62 Jahre alt)
2019: Beginn des Umbaus
1. Juni 2021: Eröffnung des Tonnelier als Hotel-Restaurant (18 Zimmer und 120 Plätze)
Le Tonnelier beschäftigt 24 Mitarbeitende.