Gastronomie

«Wir haben auch zwischen Weihnachten und Neujahr an den Türen des Bundeshauses gerüttelt»

Reto E. Wild – 14. Januar 2021
GastroSuisse befindet sich wie die Branche in der grössten Krise der Geschichte. Mit welchen Szenarien rechnet Direktor Daniel Borner 2021? Was empfiehlt er den Mitgliedern? Wie gesund ist der Verband? Das grosse Interview zum Jahresauftakt

Daniel Borner, Sie starten in Ihr fünftes Jahr als Direktor von GastroSuisse. Welche Vorsätze nehmen Sie sich für 2021 vor, geschäftlich und privat?
Daniel Borner: Mit zunehmendem Alter habe ich aufgehört, Vorsätze zu fassen. Aber selbstverständlich habe ich Zielsetzungen formuliert: Mir ist es wichtig, die Leistungsfähigkeit und den Zusammenhalt unter den GastroSuisse-Mitarbeitenden auch in der Krise aufrechtzuerhalten. Das ist einfacher gesagt als getan, denn die Pandemie nagt an uns allen. Sie führt zu Verschleisserscheinungen. Doch trotz Corona möchte ich die Digitalisierung verbessern und unsere Projekte weiter vorantreiben. Dazu gehört, das CRM und unsere weiteren Leistungen stärker auf unsere Mitgliederbedürfnisse auszurichten.

Und privat?
Mich persönlich fit halten. Das ist nicht immer so einfach, denn gerade wenn es am meisten brennt, habe ich wenig Zeit für mich. Dennoch ist es mein Ziel, die Via Alpina, welche die 14 schönsten Alpenpässe überquert, weiterzugehen. Bis jetzt habe ich erst die beiden ersten Etappen absolviert. Ich brauche diesen Ausgleich. Im Frühling 2020 spürte mein Körper den Bewegungsmangel als Folge des langen Büroalltags.

Seit dem Ausbruch der Coronakrise standen Sie unter Dauerstress. Wie haben Sie diesen verdaut?
Eigentlich ganz gut. Ich glaube, um diese zu bewältigen, bedingt es eine gewisse körperliche und geistige Fitness. Doch es gab schon Phasen, da waren die Belastungen sehr hoch. Genau dann blieb praktisch keine Zeit für Sport. Ich versuchte, möglichst genügend zu schlafen und wenigstens zu Fuss zum Bahnhof zu gehen. Für die Branche braucht es jetzt dringend eine Lösung mit schnellen Zahlungen für die Betriebe.

Wie hoch schätzen Sie diese Chance ein?
Es ist ein ewiges Hin und Her. In der Wintersession gab es zuerst Anzeichen für eine Branchenlösung. Dann wurde diese wieder versenkt und die Aufgabe an die Kantone delegiert. Aber wir haben nicht locker gelassen und bis an Heiligabend und auch zwischen Weihnachten und Neujahr an den Türen des Bundeshaus aber auch an den Regierungsgebäuden der Kantone gerüttelt. Die Verbandsverantwortlichen sind sich der dramatischen Lage sehr wohl bewusst und manifestieren dies auch immer wieder gegenüber allen Ansprechpartnern. Ausgerechnet die bürgerlichen Parteien stimmten gegen das Covid-19-Geschäftsmietegesetz.

Wie überrascht oder enttäuscht sind Sie als FDP-Mitglied?
Überrascht war ich nicht. Leider wurde meine Vermutung bestätigt. Ich sagte immer, der Weg durch das Parlament wird lang, steinig und im Nichts enden. Meine Enttäuschung ist sehr gross, weil sich trotz vieler Lippenbekenntnisse von Parlamentariern zum Gastgewerbe letztlich die Gegner durchgesetzt haben. Nachdem nun das Gesetz bachab ist, müssen individuelle Lösungen gefunden werden. GastroSuisse befindet sich aufgrund der behördlichen Massnahmen gegen das Coronavirus in der schlimmsten Krise der Geschichte.

Wo orten Sie den grössten Handlungsspielraum für den Verband?
Derzeit konzentrieren wir unsere Kräfte darauf, dass die Betriebe von den Kantonen wie erwähnt möglichst rasch Geld erhalten. Sobald es die epidemische Lage zulässt, die Restaurants zu öffnen, fordern wir, dass diese unter dem bewährten Schutzkonzept wie im Frühling arbeiten dürfen. Laut dem BAG stecken sich die meisten Menschen in der Schweiz in der eigenen Familie mit dem Coronavirus an, in Restaurants sind es noch 2,8 Prozent. Und kurz vor Jahresende wurde bekannt, dass der R-Wert viel tiefer ist, als zuvor berechnet. Trotzdem bleiben die Restaurants noch mehrere Wochen geschlossen.

Wie denken Sie als GastroSuisse- Direktor über dieses Vorgehen?
Über diese Meldungen war ich sehr erstaunt. Wir haben uns immer auf den Standpunkt gestellt, dass wir uns auf die pandemische Lagebeurteilung des Bundes stützen und nicht selbst Experten spielen. Aber der Bund muss auf diesem Thema glaubwürdig und verlässlich sein. Es kann nicht sein, dass die Krise auf dem Buckel des Gastgewerbes ausgetragen wird. Für mich ist es auch eine Frage der Kommunikation. Was ist die Absicht des Bundes? Er will die Kontakte einschränken. Wenn alles geschlossen ist, bleiben wir Menschen automatisch zu Hause. Das soll der Bund doch so sagen und die Branchen, die darunter leiden, entsprechend entschädigen, so wie es in den Nachbarländern geschieht. Was Ende 2021 ist, kann niemand wirklich voraussagen.

Trotzdem die Frage: Mit welcher Entwicklung rechnen Sie für dieses Jahr?
Wir befinden uns nun in besonders heraufordernden Wintermonaten. Wir müssen hoffen, dass der Winter nicht zu streng und dass es rasch Frühling wird, damit die Gäste wieder draussen sitzen können. Mit steigenden Temperaturen dürfte sich auch das Virus weniger ausbreiten. Doch auch mit den neuen Impfstoffen dürfte es Herbst werden, bis es für die Branche merklich besser wird, bis sich eine gewisse Normalität einstellt.

Wie sollen die Mitglieder mit den ständig wechselnden Massnahmen umgehen?
Wichtig ist, das Kostenmanagement mit aller Konsequenz weiterzuführen, Ferien für Mitarbeitende zu gewähren, weiterhin Kurzarbeit zu beantragen und sich zu überlegen, welche Vorbereitungen es braucht, um eine allfällige Wiedereröffnung des Betriebs schnell einzuleiten. Es ist davon auszugehen, dass die Restaurants nicht von 0 auf 100 öffnen dürfen. Wir werden uns allerdings gegen Einschränkungen wie eine Sperrstunde um 19 Uhr wehren. Wir stellen übrigens fest, dass die Betriebe nicht nur unter den Massnahmen leiden. Nur schon die Art, wie Politik und Task Force kommunizieren, führt zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung. Viele Konsumenten buchen deshalb nur kurzfristig. Auch darauf müssen sich die Betriebe einstellen. Vor einem Monat hat GastroSuisse die Rechnungen an die Mitglieder verschickt – mit Ausnahme jener Kantone, die einen Mini-Lockdown hatten.

Wie sieht der erste Trend aus?
Wir müssen leider mit einem Rückgang bei der Mitgliederzahl rechnen. Unsere aktuelle Mitgliederumfrage zeigt, dass fast die Hälfte aller Betriebe bis Ende März 2021 eingehen wird, wenn sie nicht sofort finanzielle Entschädigungen erhalten. Ich will mich nicht zum Totengräber machen. Aber die Situation ist dramatisch. Die Zahl der Briefe, in denen Mitglieder die Schliessung ihres Lokals bekanntgeben, hat bereits in den letzten Wochen zugenommen.

Und schuld sind die Coronamassnahmen?
Leider ja. Im Budget gehen wir bei der Mitgliederzahl deshalb von einem Minus von mindestens zehn Prozent aus.

Ist das nicht zu optimistisch?
Angesichts der ständig ändernden Massnahmen ist es echt schwierig, das einzuschätzen. Sicher aber rechnen wir damit, dass die Einbusse bei den lohnsummenabhängigen Beiträgen noch grösser ist, also minus 15 Prozent. Wir mussten diese Annahmen allerdings bereits Mitte Oktober treffen. Seither hat sich die Lage massiv verschlechtert.

Mit welchem Fehlbetrag rechnen Sie in der Kasse von GastroSuisse?
Mit rund 600 000 Franken. Dank der gesunden Kapitalisierung des Verbands lässt sich das für ein Jahr einmalig verkraften. Wenn wir Personal abbauen müssten, müssten wir auch Leistungen reduzieren, denn wir sind bei GastroSuisse auf allen Positionen sehr knapp besetzt. Darauf wollen wir so lange wie möglich verzichten und hoffen, dass es bis zur Erholung nicht mehr zu lange dauert. Erfolgen im Frühling lockerere Massnahmen und bildet sich bei den Konsumenten rasch das Vertrauen, dann hoffen wir auf einen Umsatzrückgang von nicht mehr als zehn Prozent.

Immerhin dürfte die Krise das Image des Verbands aufgewertet haben.
Tatsächlich hat sich die Wahrnehmung verbessert. Das einzelne Mitglied ist sich bewusst, wofür es den Jahresbeitrag bezahlen muss. Wir haben entsprechend positive Reaktionen erhalten. Einzelne sagen, sie hätten noch nie so gerne wie jetzt die Rechnung bezahlt. Aber klar, es gibt auch solche, die sich beschweren, es sei wenig empathisch, ausgerechnet jetzt Rechnungen zu verschicken. Wir profitieren übrigens auch von zwei namhaften Neuzugängen.

Wer ist das?
Es sind zwei Gruppenunternehmen, die wegen der Krise den Kontakt mit uns suchten. Wir konnten die Gruppierungen akquirieren, was den Verband stärkt. Wir haben jedoch auch Vorsicht gegenüber Trittbrettfahrern walten lassen. Wenn jemand am Telefon sagt, er möchte Mitglied werden und sich dann beinahe im gleichen Atemzug mit dem Rechtsdienst verbinden lassen will, geht das natürlich nicht. Vor Wochen hat sich die Präsidentenkonferenz mit den Kantonalpräsidenten und den Fachgruppen als Teilnehmern auch deshalb für Sparmassnahmen entschieden.

Worauf wurde verzichtet, was verschoben oder reduziert?
Wir wollten auf möglichst wenig verzichten, denn wenn wir Projekte nicht realisieren, wirkt sich das auch auf die Branche aus. Diese Signalwirkung möchten wir vermeiden. Alle hoffen auf eine mittelfristige Erholung, und dann wollen wir bereit sein. Deshalb haben wir Projekte nicht gestrichen, sondern einzig etwas im Tempo gedrosselt und die Investitionen damit gestreckt. Der Vorstand hat auch entschieden, die Delegiertenversammlung 2021 in reduziertem Rahmen an einem einzigen Tag durchzuführen. Alle weiteren Veranstaltungen wie etwa der Hochgenuss oder der Hotel-Innovationstag beurteilen wir laufend – aufgrund der pandemischen und finanziellen Situation.

Rücken die beiden grossen Verbände GastroSuisse und HotellerieSuisse in der Krise näher zusammen?
In den letzten vier Jahren führten wir regelmässige Spitzengespräche zwischen den Präsidenten und Direktoren der Verbände. Auch treffen sich die beiden Vorstände seit drei Jahren jeweils zu Jahresbeginn für einen Austausch. Das gab es vorher jahrzehntelang nicht. In der aktuellen Lage tauschen sich die Verantwortlichen selbst an Wochenenden aus. Zudem sind die beiden grössten Branchenverbände Mitglied der Tourismus­allianz. Es kann durchaus sein, dass sich diese im ersten Quartal dieses Jahres zu einem weiteren Gipfel mit dem Bundesrat treffen wird.

Sie waren Offizier in der Schweizer Armee. Welche Rezepte lassen sich für die Privatwirtschaft anwenden?
Als ehemaliger Nachrichtenoffizier habe ich gelernt, eine Lage zu antizipieren und in der Folge in Szenarien zu denken. Allerdings dauerten die Übungen im Militär drei bis fünf Tage. Wir kämpfen nun schon seit elf Monaten mit dieser Pandemie. Da ist viel Durchhaltewillen gefragt und die richtige Einstellung. Wenn man sich täglich über Dinge aufregt, die man nicht ändern kann, zerfleischt das einen. Wichtig ist, sich mit der Situation in aller Ernsthaftigkeit auseinanderzusetzen – auch wenn sie sehr schwierig und mit vielen Verzichten verbunden ist. Gerade in chaotischen Zeiten wie diesen sind Führung und die richtigen Führungsprozesse gefragt.