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«Wie sehr liebe ich meine ­Kinder wirklich?»

Benny Epstein – 24. September 2019
Manuel Klarmann zeigt den Köchen auf, wie sie den CO2-Ausstoss ­verringern können. Die Zeit drängt.

Manuel Klarmann, im Rahmen des Nachhaltigkeitsdialogs «Future Dialog» von Viva Graubünden und Andreas Caminada hielten Sie einen Vortrag, in dem Sie die Mitschuld der Nahrungsmittelversorgungskette für den Klimawandel aufzeigten. Wie waren die Reaktionen der Spitzenköche?
Manuel Klarmann: Es hat mich ziemlich mitgenommen. René Redzepi hat danach immer wieder herumstudiert, wie man diese Message nun an die Massen bringen kann. Andreas und René schicken mir nun Rezepte für unsere App zu, die den CO2-Fussabdruck der Gerichte ausspuckt. Wie war es, vor diesen Spitzenköchen über die Nahrungsmittelindustrie zu reden?
Ich war sehr nervös. René Redzepi merkte es und meinte: «Natürlich bist du nervös, das ist doch logisch. Denn dich kümmert die Angelegenheit sehr.» Aber als ich dann im Thema drin war, das Interesse spürte und Fragen von den Zuhörern kamen, verschwand die Aufregung. Ich bin Andreas sehr dankbar. Ich brauche Menschen wie ihn und René als Sprachrohr für unsere Botschaft. Haben Sie den anwesenden Köchen und Bauern Fehler in deren Schaffen aufgezeigt?
Ich möchte nicht von Fehlern sprechen. Denn vielen fehlt einfach das nötige Wissen und das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Sache. Was muss sich denn konkret ändern?
Auf den Tellern muss als Erstes das Rindfleisch weg. Eine Portion rotes Fleisch pro Woche liegt maximal drin. Was sich aber vor allem ändern muss: Die Regierungen müssen Stellung beziehen, den Ernst der Lage erkennen und Massnahmen ergreifen. Sie glauben ja wohl nicht, dass künftig alle Köche auf Fleisch verzichten oder gar vegan kochen?
Nein. Aber gerade an diesen beiden Tagen zeigten wir alle etwas, dass jedem gut täte: einfach mal einen Schritt zurücktreten und sich mit den tatsächlich wichtigen Dingen zu befassen. Sich ausnahmsweise nicht damit zu befassen, wie man denn Gäste ins Restaurant kriegt. Die Frage ist doch: Wie sehr liebe ich meine Kinder wirklich? Und wenn ich die wirklich liebe, dann muss ich was ändern, damit sie eine Zukunft haben. Man muss ja nicht gleich alles umkrempeln, aber jeder soll mit einem kleinen Schritt im privaten und im beruflichen Leben beginnen. Viele Köche, gerade in einfachen Beizen, haben vielfach nicht die Zeit oder die Möglichkeit, sich mit Leuten wie Ihnen oder Andreas Caminada auszutauschen. Viele kochen seit Jahrzehnten gleich. Bei diesen wird es noch schwieriger, etwas zu bewegen.
Ich kenne einige, die sich genau obige Frage bezüglich der Liebe zu ihren Kindern gestellt haben. Sie verzichten mittlerweile an mehreren Wochentagen auf Rindfleisch oder probieren gar vegane Burger aus. Was ist eigentlich Ihr Antrieb?
Meine Partnerin Judith hat Philosophie und Biologie studiert, ich Mathematik, Neuroinformatik und künstliche Intelligenz. Sie versteht sehr viel vom System der Nahrungsmittelkette, mir war die Welt zu komplex. Das müssen Sie erläutern! Ich bin überzeugt, dass politisch vieles nicht richtig läuft, es aber für viele Menschen zu komplex ist, um etwas dagegen zu tun. Ein Beispiel: Wenn im Alltag über Politik und Politiker diskutiert wird, vergessen viele, dass die Parteien von Lobbys, Industrien und Unternehmen finanziert und instrumentalisiert werden. Die Parteien und ihre Exponenten entscheiden deshalb oft nicht zugunsten des Wohlseins der Gesellschaft, sondern aus der Abhängigkeit heraus. Und so gründeten Sie Eaternity?
Nein. Es gab dann vor acht Jahren an der ETH einen Wettbewerb, bei dem Studenten dazu aufgerufen wurden, Lösungen zur Reduktion des CO2-Ausstosses zu finden. Judith kam mit der Idee: Wenn wir weniger Fleisch essen, würde dies viel ausmachen. Ich hörte mir das an und meinte: Wenn dies so ist, dann geht es darum, diese Informationen verfügbar zu machen. Dazu gibt es zwei wichtige Punkte: Erstens muss die Sache wissenschaftlich basiert sein und zweitens muss sie skaliert werden, sodass jedermann im Internet oder via App auf die Daten zugreifen kann. Daraus entstand Eaternity. Wie funktioniert die App?
Wir verfügen mittlerweile über die Statistiken von zahlreichen Lieferanten und von Hunderttausenden von Produkten, die in den Supermärkten verfügbar sind. Wir kennen deren Herkunft, deren Produktion, Transportwege und so weiter. So haben wir umfangreiche Datenbanken aufgebaut, um präzise berechnen zu können, wie der CO2-Fussabdruck eines jeden Produkts oder Gerichts aussieht. In der App kann der Nutzer nun den Namen des Gerichts oder bestenfalls dessen Zutaten eingeben, um zu erfahren, wie es dabei um die Rentabilität, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Klimawirkung der Mahlzeit steht. Sie arbeiten anhand der Angaben des IPCC-Reports, des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen, der von der Uno herausgegeben wird. Was sagen die neusten Daten?
Dass der Klimawandel hier hauptsächlich von drei Säulen vorangetrieben wird: die Abholzung der Regenwälder und die Düngung in der Landwirtschaft, um die Menge an Futter, die wir produzieren, um Tiere zu füttern, und um die Methangasemissionen, die bei der Verdauung bei den Kühen entstehen. Und die Industrie, die transportiert und weiterverarbeitet, verursacht auch noch ziemlich viel CO2-Emissionen. Die Schweiz ist ein sehr kleines Land. Kann das Verhalten der hiesigen Industrie überhaupt etwas bewirken?
Man sollte das anders ansehen. In der Schweiz hat fast jeder ein Dach über dem Kopf, man hat faire Ausbildungschancen, es gibt genug zu essen, die Infrastruktur ist spitze. Der ganz grossen Mehrheit der Welt geht es viel weniger gut. Wir also können etwas unternehmen. Für andere ist dies schwieriger. Also müssen wir doch was tun. Das schulden wir uns. Was, wenn sich in der Schweiz und im restlichen Europa nichts ändert?
Dann steuern wir bis Ende des Jahrhunderts auf eine Temperatursteigerung von drei bis fünf Grad Celsius zu. Es wird vermehrt zu Extremereignissen wie Trockenheit, Dürre, extreme Niederschläge und Stürme kommen. Die Korallenriffe lösen sich auf, sie sind die Ernährungsgrundlage für das tierische und pflanzliche Plankton, welches wiederum die Ernährung der Fische ist. Es käme letztlich zu einem riesigen Fischsterben und zudem zu einer Überflutung der Küstenregionen. Die Landwirtschaft würde es hart treffen. Es käme zu Hungersnöten, was Hunderte von Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen würde. Die auch in die Schweiz kämen.
Wenn wir Glück haben nur eine Million, vielleicht auch zwei. Das Paradoxe ist: Gerade die SVP, die Exponenten in den eigenen Reihen hat, welche den Klimawandel belächeln oder sogar verleugnen, müsste vor dem Klimawandel warnen, um nicht noch mehr Flüchtlinge zu provozieren. Die wollen sie ja dann wiederum nicht in der Schweiz haben. Also sollte man doch bereits die Ursache bekämpfen. Wie viel Zeit bleibt noch, um dieses Horrorszenario abzuwenden?
Der IPCC-Report sagt, dass wir jetzt mit der Umstellung beginnen müssen, um die Angelegenheit innerhalb der nächsten zwölf Jahre regeln zu können. In der Zeit muss der weltweite CO2-Ausstoss um mindestens 45 Prozent reduziert werden. Nationen, die wie die Schweiz im Wohlstand leben, tragen dabei die Hauptverantwortung, da sie leichter die Möglichkeit haben, sich zu ändern. Sie müssen den CO2-Ausstoss um 90 Prozent reduzieren. Nur dann erreichen wir das Ziel, dass die Temperatur nur um zwei Grad Celsius ansteigt. Glauben Sie, dass wir das schaffen?
Es macht kein Spass, nicht daran zu glauben. Ich will mich nicht vor meinem Sohn schämen und ihm sagen müssen, dass wir seine Zukunft versaut haben. _____________________________________________________________ ★ Manuel Klarmann (35) ist Geschäftsführer von Eaternity, einem Ableger der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Eaternity stellt Köchen auf Knopfdruck Tools zur Verfügung, mit welchen sie ­negative Umweltauswirkungen ihrer Restaurants aufspüren und reduzieren können. Klarmann lebt vegan.