Gastronomie

Wie die Coronakrise den Lernenden schadet

Corinne Nusskern / Benny Epstein – 25. Februar 2021
Die Lernenden trifft die Pandemie besonders hart. Die so wichtige Jugendzeit von Berufseinstieg und Lernfeuer sowie Auf- und Ausbruch verbringen viele isoliert zu Hause. Wie gehen Lernende der Gastronomiebranche damit um – und wer unterstützt sie?

Es ist ihr Traumberuf. «Das ist meins!», sagt Jennifer Peterhans (17), angehende Restaurantfachfrau EFZ im zweiten Lehrjahr. Nur: Sie kann ihn seit Mitte Dezember 2020 nicht mehr ausüben. Ihr Betrieb, das Restaurant zum Sternen in Nussbaumen bei Bülach ZH, ist seit dem zweiten Lockdown zu – wie so viele.
Jennifer fühlt sich ausgebremst. Einmal im Monat erhält sie von ihrer Ausbildnerin ein paar Hausaufgaben. Es bringt ihr nicht viel, es sei derselbe Stoff wie in der Berufsschule. Die Siebzehnjährige ist demotiviert. «Es geht mir überhaupt nicht gut, aber besser als im Januar. Da hatte ich ein richtiges Tief.» So stark, dass sie sich gar über einen Lehrabbruch Gedanken machte. Es birgt die Gefahr von Einsamkeit, ohne Struktur ständig allein zu Hause zu sitzen. «Mir fällt echt die Decke auf den Kopf.» Sie versucht es, mit Sport zu verarbeiten, vier Mal die Woche trainiert sie Pole-Fitness. Wo? Natürlich zu Hause.
Jennifer wohnt mit ihrer Mutter in Bülach. «Sie war früher auch in der Gastronomie tätig, abends nach der Arbeit ist sie für mich da», erzählt sie. Jennifer empfindet es als Glück, im Februar für sechs Tage in einem Weingeschäft arbeiten zu dürfen. «Natürlich gratis. Aber ich erfahre so mehr über den Sommelièreberuf», sagt sie. «Aber sonst? Ich mache nichts.» Jennifer denkt im Moment nur an ihre Lehrabschlussprüfung (QV), obwohl es bis dahin noch über ein Jahr dauert. «Die ganze Praxis fehlt», beschreibt Jennifer ihre Sorgen. Sie fragt sich ständig, was sie jetzt praktisch dafür tun könnte. «Das beunruhigt, ich hänge gerade mega in den Seilen.»
Nicht alle reden so offen über ihre momentane Situation. Zahlreiche Lernende möchten sich nicht öffentlich äussern. Nach aussen ist alles cool, dabei befinden sie sich massiv am Anschlag. Die Kompletteinschränkung in allen Lebensbereichen ist brutal: Der Branchennachwuchs kann nicht arbeiten, nicht in den Ausgang, nicht viele Kollegen aufs Mal treffen. Viele Lernende fühlen sich allein gelassen. Zur Langeweile kommt die emotionale Belastung, ohne Bestätigung und Erfolgserlebnisse sinkt die Motivation täglich. Dazu kommt die Ungewissheit, wie lange dies alles noch dauert. Das macht etwas mit den Jugendlichen – es ist wie ein Leben im Vakuum. Jetzt elementar: Praxisfördernde Lernprojekte
Verschiedene Kantone haben zusammen mit Verbänden und Bildungsinstitutionen Sofortprogramme für die Praxis lanciert, zuletzt der Kanton Zürich mit «Gastro Porto». Sie sollen den Lernenden kurz- und langfristig Sicherheit und Perspektiven geben. Marcus Schmid, Berufsinspektor des Mittelschul- und Berufsbildungsamts des Kantons Zürich (MBA), sagt: «Es ist eine schwierige Zeit, viele Gastronomen trifft die Situation persönlich und wirtschaftlich.» Es gibt Ler­nende, die über Wochen nichts von ihrem Berufsbildner hören. Da rät Schmid proaktiv auf den Betrieb zuzugehen. Nicht alle finden Onlineunterricht cool, dieser plus die fehlende Routine verleiten manch Lernenden dazu, nur noch abzuhängen. Schmid erhält pro Woche im Schnitt zwei Anrufe von besorgten Eltern. «Wir versuchen mit Unterstützung und Begleitmassnahmen zu helfen. Auch psychologisch, etwa einer Mutter zu sagen, dass sie nicht allein ist.»
Dabei ist die familiäre Situation nicht zu unterschätzen. «Haben die Jugendlichen Eltern, die sie begleiten, dann kommt es gut», ergänzt Schmid. Es gäbe aber viele Lernende, die aus diversen Gründen auf sich allein gestellt seien. Fehle sowohl die Tagesstruktur durch den Betrieb und die elterliche Unterstützung, dann werde es schwierig.
Die Solidarität in der Branche ist gross. Im Kanton Zürich werden 49 Prozent der Lehrverträge in der Gemeinschaftsgas­tro­nomie abgeschlossen. Aktuell läuft diese meist normal wei­­ter. Einige haben Lernende aus der klassischen Gastronomie auf­ge­nommen. «Es gibt auch viele klassische Gastronomiebetrie­be, die absolut coole Sachen machen», führt Schmid aus. «Nur zu Hause zu sitzen wäre mir zu langweilig»
13 Uhr im Restaurant Waldmannsburg in Dübendorf ZH: Die zwei lernenden Restaurantfachfrauen EFZ Michelle Valser (17) und Alina de Leonardis (19) öffnen das Burg-Lädeli, ein Lehrlingsprojekt, das die sieben Lernenden der Waldmannsburg nach einem Brainstorming initiiert haben. Eine der Lernenden hat die Waldmannsburg aus einem in Konkurs gegangenen Betrieb und einer aus einem in Schwierigkeiten übernommen. Inhaber, Ausbildner und Zukunftsträger 2019 Fabian Aegerter (38) ist es wichtig, dass sie die Lernenden weiter ausbilden und beschäftigen, wenigstens von 9 bis 18 Uhr. Die vier Kochlernenden sind zuständig für die Angebotsplanung, Produktion und Kalkulation; die drei lernenden Restaurantfachfrauen für Verkauf, Deklarationen, Werbung/PR und Social Media. «So lernen wir ganz neue Sachen», sagt Claudia Brühlmann (17), Kochlernende EFZ im zweiten Lehrjahr. «Ich bin so froh! Nur zu Hause zu sitzen, wäre mir zu langweilig. Noch lieber würde ich normal arbeiten, mir fehlt es.» Michelle nickt energisch.
Und wie läuft der Laden? «Unter der Woche ok, am Wochen­ende gut», sagt Michelle. Der Bestseller sind die gebrannten Mandeln. Teils Produkte wechseln wöchentlich. «Wir bringen unsere Ideen ein», sagt Claudia. «Ob Aperitif­cocktails, di­verse Gebäcke, Dressings oder eingemachtes Gemü­se. Aktuell ist gerade Fermentation angesagt.» Michelle ergänzt, es sei schön zu sehen, wie sie sich ständig verbesserten. Dies sei der Haupttreiber für das Projekt, fügt Aegerter an. «Es ist wichtig, Erfolge zu feiern und positive Erlebnisse im Alltag zu haben, das motiviert zum Lernen.» Normalerweise findet das während der Interaktion mit dem Gast statt, wenn dieser sagt: Das war ein schöner Service oder eine feine Suppe. Das fehlt.
Für Claudia und Michelle ist es elementar, zu wissen, dass immer jemand da ist und zu ihnen schaut. «Das ist beruhigend», sagt Michelle. Claudia ergänzt: «Die meisten unserer Berufsschulklasse, die ihre Lehre im Restaurant absol­vieren, sind zu Hause.» Aegerter ist sich bewusst, dass es Betriebe gibt, die ein solches Projekt nicht stemmen können. Er hat Hilfe von zwei Ausbildnern mit Eigeninitiative, allein würde er es niemals schaffen. «Zurzeit sind so viele administrative Zusatzaufgaben zu erledigen», sagt er stirnrunzelnd. «Ich verstehe jeden Betrieb, der ein solches Projekt nicht verwirklichen kann.»
Auch in der Waldmannsburg kann die Hektik des Alltags nicht simuliert werden. «Kommt dazu, dass die Lehrzeit begrenzt ist», sagt Aegerter. «Nimmt man ihnen ein paar Ausbildungsmonate weg, wächst die Angst, ob sie es noch schaffen, wenn sie so viel Stoff verpassen.» Auch dies liege in der Verantwortung des Lehrmeisters, ihnen Selbstsicherheit zu geben. «Diese Angst darf man nicht un­terschätzen», führt Aegerter aus. «Das betrifft nicht nur jene, die das QV machen, sondern alle Lernenden, die Ambitionen haben.» «Die Lust aufs Kochen bleibt gross»
Einer, der Ambitionen hegt, ist Mario Siegrist (22). Nach seiner Matura schielte er in Richtung Innenarchitektur. Die Zeit als Abwascher und im Service während des Zivildiensts machte ihm dann aber Lust aufs Kochen, auf Spitzengastronomie. «Hier kann ich meine Kreativität auch ausleben», sagt er. Jetzt befindet er sich im zweiten Lehrjahr, arbeitet im frisch dekorierten Zweisternerestaurant Magdalena in Rickenbach SZ. Doch zurzeit langweilt er sich oft. «Zwei Drittel meiner Klasse betrifft der Lockdown nicht. Sie arbeiten im Heim oder im Spital.» Dahin wollte er aber auch während der Schliessung seines Betriebs nicht. «Das ist nicht mein Ding.» Drei Tage im Zwyssighaus in Bauen UR, ein paar Einsätze in einer Bäckerei, seinen Arbeitskollegen Noah Bachofen unterstützte er auf dessen Weg zur Küchenchef-Ausbildung. «Und Ende Februar darf ich ein paar Tage zu Silver-Chef Mitja Birlo ins 7132 Hotel in Vals GR.» Magdalena-Küchenchef Dominik Hartmann ermöglichte ihm diese Stage. Zudem hat Siegrist hie und da die Möglichkeit, an der Berufsschule zu kochen. «Ansonsten ist zurzeit nicht viel los. Angst, viel zu verpassen, habe ich dennoch nicht. Und die Lust aufs Kochen bleibt gross.» Sich selber Strukturen schaffen
Auch Sascha Pernet (19), Koch EFZ im dritten Lehrjahr vom Ho­tel Krone in Aarberg AG, verbringt bereits seinen zweiten Lockdown zu Hause – wie 90 Prozent seiner Berufsschulklasse. Doch Sascha wird von der Familie wie vom Betrieb un­terstützt. Dienstags ist Fernunterricht an der Berufsschule, donnerstags ist Lehrlingstag in der Krone, an allen anderen Tagen kocht er: Für die Familie, die Familie seiner Freundin, für Freunde. Überall wo er kann, nur um die Routine zu behal­ten. «Mittags etwas Einfaches. Aber abends stehe ich auch mal drei bis vier Stunden in der Küche, um Gerichte zu kochen, die ich am QV können muss.» Die Zutaten kauft er beim Vater in der Metzgerei, das Gemüse holt er beim Bauern. «Das gibt mir Struktur.» Von der Familie erhält er konstruktive Kritik, um sich zu verbessern. In der verbleibenden Zeit bereitet er sich auf die QV-Prüfung vor. «Ich will eine ganze EFZ-Prüfung»
Im März nimmt Sascha an den QV-Trainingstagen im Gastro BildungsZentrum Lenzburg AG teil, einem Projekt von Gastro Aargau. «Wie an der Prüfung kennt man die Küche, nicht und es wird mit Schickzeiten gearbeitet, damit der Alltag einigermassen simuliert wird», erklärt Sascha. Er ist motiviert, aber die fehlenden Monate nagen an ihm. Besteht er das QV? Der Aargauer hat bereits Bewerbungen für die Zeit nach der Lehre abgeschickt. Die meisten antworten nicht mal. Andere schreiben, sie würden gern, wüssten aber noch nicht, wie es im Sommer aussieht. «Das ist mein grosses Problem zurzeit, diese Unsicherheit», sagt Sascha.
Noch ist nicht klar, in welcher Form die Abschlussprüfung stattfinden wird. GastroAargau pocht auf ein komplettes QV. Auch Sascha: «Es ist mir wichtig, die ganze EFZ-Prüfung abzulegen und nicht eine halbe! Das gibt ein besseres Gefühl für die Zukunft, niemand will als Coronajahrgang angesehen werden.» Eines ist allen Lernenden gemeinsam. «Endlich wieder rich­tig im Betrieb arbeiten zu dürfen», sagt Jennifer Peterhans. Und Sascha Pernet wünscht sich, dass viele seines Jahrgangs das QV bestehen. «Damit sich die Gastronomie von dieser Kri­se erholt und viele weiterhin in der Branche arbeiten können.» –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ANLAUFSTELLEN für Jugendliche
• Pro Juventute: Jugendliche chatten mit Jugendlichen www.147.ch/de/
• Die dargebotene Hand: Chat, Telefon oder Mail www.143.ch
• Gesundheitsförderung Schweiz während Corona: www.dureschnufe.ch
• Reden über alles by Kafi Freitag: www.binenand.com  –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Praxisnahe Lernprojekte Aktuell können Lehrbetriebe wegen der staat- lich verordneten Betriebs­schlies­sun­gen die ­Aus­bildung der Lerndenen teilweise nicht sicher- stellen. Kostenlose Projekte schaffen Abhilfe und geben den Lernenden Orientierung.

• «Gastro Porto», Kanton Zürich
Die Zürcher Branchenverbände Hotel und Gastro­nomie haben mit dem Kanton das Sofort­programm «Gastro Por­to» mit Trainingskursen für alle Berufe der Branche lanciert. Die Praxis- ­­kurse im Ausbildungszentrum Wä­dens­wil der Hotel & Gastro formation Zürich richten sich an die 500 Lernenden im letzten Lehrjahr, damit sie die Lehrab­schluss­prü­fung bes­tens vorbereitet angehen. Zudem können Wissenslücken gezielt in einer virtuellen Werk­statt geschlossen werden. Auch Berufsler­nende im 1. und 2. Lehrjahr profi- tieren von einem fünftägigen Intensivkurs, um Versäumtes aufzuholen. Für die Lernenden sind die Kur­se gratis. 80Prozent übernimmt der Bund, je 10 Prozent die Branchenverbände GastroZürich und Zürcher Hoteliers. gastroporto.ch Im Kanton Zürich ab­sol­vieren zurzeit 1556 junge Menschen eine Leh­re in einem gastronomischen Beruf, das ist ein Viertel aller 6000 Branchen­lernenden in der Schweiz. Aktuell sind im Kanton Zürich etwa 350 von 500 Lehrstellen für 2021 noch of­fen. Eltern und Schüler sind zurzeit sehr zurück­haltend. Des­halb bie­tet das Ausbildungszentrum Wädenswil auch Schnupperlehren an. Im Sommer startet das Projekt CoBe gegen Lehrabbrüche. • Training im Kanton Aargau und Solothurn
GastroAargau und der Kanton haben für alle Koch- und Restaurantlernende in den Kantonen Aargau und Solothurn das «Covid19-Gastro- Projekt» geschaffen: ein Mix-aus ÜK-Programm und Prüfungsvorbereitung, aber auch Kurse zu Räuchern, Brot ba­­cken oder Pralinenherstellung. Im März wer­den im GastroBildungsZentrum Lenzburg QV-Trainings für Abschlussklassen angeboten, um Ver­passtes aufzuholen. Alles gratis für den Nachwuchs. Weitere Trainings-Standorte: Grand Casino ­Ba­den, Hotel Aarehof Wildegg und das Hotel Krone Aarburg. hgf-ag.ch • Luzern: Lernendenhotel «Wilder Mann»
Das zurzeit geschlossene Luzerner Hotel «Wilder Mann» ist aktuell ein Lernendenhotel. Hier können Lernende aus den Berufen der Kü­­che, Restaurant, Hotellerie und Hotel­kom­muni­ka­tion alle zwei Wochen während etwa dreier Tage mithilfe qualifizierter Berufsbildner «on the Job» Versäumtes kompensieren. Es stehen 48 Plätze zur Verfügung, Lernende im 3. Lehrjahr haben Priorität. gart.ch Auch andere Kantone bieten Programme an:
gastrosuisse.ch/verband/portraet/kantonalverbaende/