Gastronomie

Ein Schlag ins Gesicht für das Gastgewerbe

Reto E. Wild – 24. Februar 2021
Der Bundesrat hat beschlossen, ab Montag, 1. März 2021, Läden, Museen und Lesesäle von Bibliotheken schweizweit wieder zu öffnen. Der Gastronomie wird das aber weiterhin verboten. «Schaden und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Der heutige Entscheid ist für das Gastgewerbe ein Schlag ins Gesicht. Er ist absolut unverhältnismässig und verstärkt den kontinuierlichen Stellenabbau im Gastgewerbe», urteilt GastroSuisse.

«Der Gastro-Lockdown ist reine Symbolpolitik und soll das bisherige Staatsversagen kaschieren», bringt es Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse, auf den Punkt und spricht wohl unter anderem die Tatsache an, dass die Schweiz im Gegensatz zu Ländern wie Israel und Grossbritannien aktuell zu wenig Impfstoff hat (im Kanton Zürich gibt es die nächsten Impftermine im Mai und Juni), was Gesundheitsminister Alain Berset verantworten muss.

«Dem Bundesrat fehlt bis heute eine klare Langzeit-Strategie», sagt Platzer. Dass das Gastgewerbe weiterhin geschlossen bleibt und ab dem 22. März – wenn überhaupt – nur im Aussenbereich geöffnet werden darf, ist nicht nachvollziehbar. Zahlreiche Kantone, Verbände und die Gesundheitskommission des Nationalrats hatten sich für eine raschere Öffnung der Gastronomie ausgesprochen. «Der Bundesrat verzichtet angesichts der fragilen epidemiologischen Lage auf eine Öffnung der Restaurantterrassen bereits ab dem 1. März, wie es eine knappe Mehrheit der Kantone gefordert hat», heisst es dazu in Bundesbern nur.

«Die Ansteckungsgefahr im Gastgewerbe ist gering»
Dass der Bundesrat diese gewichtigen Stimmen ein weiteres Mal ignoriert, empfindet GastroSuisse als stossend. «Der Entscheid entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage», betont ausserdem Platzer und begründet: «Die Ansteckungsgefahr im Gastgewerbe ist gering. In den Tourismusorten kam es zu keinen Hotspots, obschon die Hotelrestaurants und teilweise Terrassen offen waren.» Nur rund zwei Prozent der Ansteckungen finden laut BAG in Bars und Restaurants statt. Eine von der Universität Luzern letzte Woche publizierte Studie bestätigt Platzers Aussagen: Mitarbeiter im Gastgewerbe infizieren sich nicht häufiger mit Covid-19. Das Sicherheitskonzept der Restaurationsbetriebe funktioniert, da sich die Mitarbeiter, obwohl diese stark exponiert sind, kaum anstecken. «Wir sind enttäuscht und konsterniert», sagt denn auch Platzer zum Entscheid des Bundesrats.

Bundesrat setzt sich über Gesetz weg
Kommt hinzu: Dem Bundesrat fehlen gesetzliche Grundlagen für dessen Entscheid. Gemäss Covid-19-Gesetz ist der Bundesrat verpflichtet, sich bei den Massnahmen an Wirksamkeit und Verhältnismässigkeit zu orientieren. «Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind aber verheerend. Schaden und Nutzen stehen in keinem Verhältnis», betont Platzer. Der kontinuierliche Stellenabbau wird noch verstärkt und verlängert. Dazu kommen die zeitverzögerten Folgeeffekte auf Branchenzulieferer und das gesamte Gewerbe. «Wir befürchten eine Kettenreaktion, die die gesamte Volkswirtschaft nachhaltig schädigen wird», warnt Platzer. «Der Bundesrat muss für den Schaden des zweiten Teil-Lockdowns aufkommen und Verantwortung übernehmen», verlangt Platzer und fügt an: «Die Situation ist explosiv und das Vertrauen schwindet.»

Versprochene Härtefallhilfe bleibt oft aus
Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Härtefall-Regelung wie befürchtet noch nicht greift. Tatsächlich sind noch nicht einmal 200 Millionen Franken von den versprochenen Milliarden-Beträgen durch die Kantone ausbezahlt. Notabene erwirtschaftet die Gastronomie in einem Monat mehr als zwei Milliarden Franken. GastroSuisse fordert mehr denn je, dass Ungleichbehandlungen und Ungerechtigkeiten korrigiert werden und dass der Bund die Branche direkt unterstützt, vor allem über A-Fonds-perdu-Beiträge und Entschädigungen für ungedeckte Fixkosten. Zudem brauche das Gastgewerbe endlich Gewissheit, wann die Betriebe wieder öffnen können und unter welchen Bedingungen die behördlichen Auflagen gelockert werden.

Berset weicht zum Thema Terrasse aus
Mehrfach wurde an der Medienkonferenz die Frage gestellt, was denn passiert, wenn die Kantone den Restaurants gewähren, ihre Terrasse zu öffnen, obwohl das der Bundesbeschluss nicht erlaubt. Gesundheitsminister Alain Berset antwortete stets ausweichend und meinte, er gehen davon aus, dass die Kantone in dieser Frage dem Bundesrat folgen werde. So meinte Berset: «Wir versuchen, eine Pandemie zu bewältigen. Wenn wir etwas fixieren, muss es gelten. Wir erwarten, dass es umgesetzt wird.» Und an die Adresse der Gastronomen meinte er: «Für die Wirte ist es eine sehr schwierige Situation. Sie können nichts dafür, dass es so gekommen ist. Die wirtschaftlichen Hilfen sind wichtig, um sie in dieser Situation zu begleiten.» Nur eben: Mit diesen wirtschaftlichen Hilfen klappt es in vielen Kantonen nicht.

Wie es im März weitergehen soll
Später widersprach sich Berset gleich mehrfach. Zuerst sagte er: «Wir haben jetzt Perspektiven. Aber die Situation bleibt instabil. Man muss noch ein bisschen warten.» Was heisst ein bisschen warten? Am 12. März möchte der Bundesrat die Situation in Absprache mit den Kantonen neu beurteilen und allenfalls per 22. März 2021 weitere Öffnungsschritte einführen, also auch für die Restaurants - sofern die Coronafallzahlen weiterhin sinken. Berset gab an einer anderen Stelle während der Medienkonferenz zum Besten: «In dieser instabilen Situation lohnt es sich, ein paar Wochen zu warten.» Was das monatelange Berufsverbot ohne funktionierende staatliche Hilfe fürs Gastgewerbe bedeutet, weiss der SP-Politiker wohl nicht. Interessant: Als die Grossbank UBS selbstverschuldet beinahe in Konkurs geriet, sprang der Staat mit der Argumentation «Too big to fail» ein. Nun sind in der Gastronomie über 200 000 Arbeitsplätze in Gefahr. Offenbar sind für den Bundesrat Zoos und Lesesäle wirtschaftsrelevanter als die Gastronomie.