Gastronomie

Wie der Koch zum Designer wird

Cristina Bürgi – 14. Dezember 2017
Man kennt ihn aus dem Radio, ­inzwischen ist er auch als Experte für Sensorik und Food ­Design gefragt. Ein Gespräch mit Patrick Zbinden.

Patrick Zbinden ist gelernter Maschinen-Mechaniker und hat sich zum Ernährungstrainer, Journalist und diplomierten Sensoriker weitergebildet. Er arbeitet freischaffend und ist an diversen Projekten beteiligt, unter anderem als Genussbotschafter der Fachtagung «Hoch­genuss» und als Dozent für die Ausbildung zum Schweizer Spirituosen-Sommelier. GastroJournal: Sie werden nächstes Jahr an der Universität St. Pölten zum Thema Food Design dozieren. Inwiefern spricht der Lehrgang Köche und Gastronomen an?
Patrick Zbinden: Der Begriff Food Design ist allgemein etwas negativ konnotiert, da er häufig mit der Lebensmittel- industrie in Verbindung gebracht wird. Diese nutzt Food Design, um die Leute zu mehr Konsum zu verführen. Meiner Meinung nach kann aber auch ein Gastronom wie ein Food Designer denken und das Thema so umsetzen, dass Gäste bei ihrem Besuch noch mehr Genuss erleben – und somit wiederkommen. Wie schafft man das?
Hier spielt die Vermarktung eine grosse Rolle. Die Industrie setzt diesbezüglich auf Verpackungsdesign oder auch auf «sensory claims», also wie man ein Produkt beschreibt. Das ist nichts anderes, als wenn der Koch seine Speisekarte erstellt – mit der Menü­beschreibung möchte er Gäste anlocken und sie «gluschtig» auf das Essen machen. Hier gibt es aber noch grosses Potenzial. Köche und Gastronomen sollten das, was sie machen, unbedingt besser kommunizieren. Beim Food Design geht es auch darum, neue Lebensmittel zu kreieren. Wie läuft das ab?
Heute dreht sich vieles um Trends, und genau hier setzt Food Design an. Mit dem Wissen darum, was die Gäste heute möchten, kann man neue Gerichte und Lebensmittel kreieren. Aktuell sind zum Beispiel Nachhaltigkeit und Regionalität gefragt, also braucht es ein Produkt, das aus lokalen Zutaten besteht, vielleicht sogar aus einem Lebensmittel des Pro-Specie-Rara-Sortiments. Neben den Zubereitungstechniken gehört auch das Anrichten dazu. Der Spitzenkoch Ferran Adrià hat beispielsweise seine Gerichte zunächst mit farbiger Knetmasse vorgeformt. So konnte er die verschiedenen Komponenten und Formen aufeinander abstimmen. Hier stellt sich die Frage, ob der Durchschnittskoch dafür Zeit hat. Wie kann man Food Design ohne grösseren Aufwand im Betrieb umsetzen?
Ein Beispiel ist das Thema Gender Food. Es ist nachweislich so, dass Männer und Frauen sich unterschiedlich ernähren. Die meisten Speisekarten in der Schweizer Gastronomie orientieren sich aber an der männlichen Zielgruppe – sie enthalten schwere Gerichte, viel Fleisch et cetera. Der Trend geht jedoch in Richtung einer weiblichen Küche, also leichtere, gesündere, süssere Gerichte. Das spricht auch Männer an. Und damit kann der Koch sich bereits vor der Menüplanung auseinandersetzen: Er kann ohne grossen Aufwand Gerichte für beide Geschlechter entwickeln. Was erklärt dann den Erfolg von Schnitzel mit Pommes Frites?
Hier ist es das Multisensorische, das den Gästen gefällt. Die knusprige Panade, die für den Crunch sorgt, das saftige Innere, die fettigen Elemente, die salzigen Pommes Frites. Das weckt bei uns Menschen evolutionsbiologisch abgespeicherte Vorlieben, was ebenfalls Teil des Food Designs ist. Gleich verhält es sich mit den sogenannten «Comfort Foods» – Cakes, Crumbles, Milchreis... Das mögen fast alle. Warum stehen diese Gerichte nicht öfter auf der Speisekarte? Gastronomen sollten sich in den Gast hineinversetzen und ihm das geben, was er erwartet. Food Design kann den Umsatz ankurbeln. Lässt sich damit auch Geld sparen?
Ja, ein Beispiel dafür ist unförmiges Gemüse oder «unedle» Fleischstücke. Food Designer setzen sich intensiv mit solch günstigen Produkten auseinander und finden Wege, diese attraktiver zu präsentieren. So kann man das Gemüse zu Püree verarbeiten oder Fleischabschnitte mit viel Bindegewebe schmoren. Zudem existieren heute viel mehr technische Möglichkeiten, um mit dem Essen zu experimentieren. Und darin liegt die grosse Chance: Man kann verschiedenste Zubereitungsmethoden anwenden, ein Produkt trocknen, dämpfen, zu Pulver verarbeiten und als Würze verwenden. Das ist nichts Kompliziertes, macht aber enorm viel aus. Und bei allen Zubereitungsarten geht es letztlich darum, das Maximum aus dem Produkt he­rauszuholen. Ist Food Design in der Schweizer Gastronomie etabliert?
Die vielen Spielmöglichkeiten sind noch zu wenig in den Köpfen verankert. Das mag an der klassischen Ausbildung liegen, dass die Köche zu rezeptgläubig sind. Oder es liegt an der nötigen Offenheit. Dabei muss man nur wissen, wo man sich Inspiration herholt. Es existieren unzählige Kochbücher, die über Aromen informieren, zum Beispiel, was alles geschmacklich zu Kürbis passt. Oder wie man verschiedene Texturen miteinander vereint. Das muss man sich nicht alles selber erarbeiten, denn die Autoren dieser Bücher haben das bereits getan. Haben Sie einen Tipp, wie einem der Anfang gelingt?
Ich würde mich zunächst auf ein Element konzentrieren. Man könnte sich zum Beispiel das Ziel setzen, jedem Gericht etwas Säure beizufügen. Viele denken dann, etwas Zitronensaft auf dem Schnitzel reiche aus. Dabei gibt es so viele andere Möglichkeiten, die neue Geschmackserlebnisse hervorrufen. Man kann zum Beispiel mit Sauerkraut-, Limetten- oder Apfelsaft experimentieren. Für mich ist die oberste Liga übrigens die Textur eines Produkts. In der Sensorik gibt es über 50 verschiedene Texturen, mit denen man spielen könnte. Da sind wir dann wieder beim Schnitzel, das gleich mehrere miteinander vereint: das Krosse, das Saftige... Sie setzen sich stark mit Trends auseinander. Was wird uns in der Gastronomie noch eine Weile begleiten?
Das Anrichten in «Bowls», also in Schüsseln, wird sicher noch zukunftsbestimmender werden. Ich glaube nämlich, dass das klassische Anrichten mit Protein und zwei Beilagen wortwörtlich gegessen ist. Heute sucht man nach neuen Formen zum Darreichen, es wird mit den Aromen und dem Geschirr gespielt. Bei Bowls ist das möglich, denn wer einen Löffel da­raus nimmt, hat darauf unterschiedliche Komponenten, Aromen, Farben und Texturen. Das eröffnet dem Koch, der anfängt, wie ein Food Designer zu denken, das ungeahnte Potenzial der Speisenkreation. www.patrickzbinden.ch