Gastronomie

«Weshalb hat es ausgerechnet mich erwischt?»

– 12. August 2021
Am Freitag eröffnen Federico Freiermuth und Dave Wälti in Zürich das südamerikanische Pop-up El Patio Latino. Davor unterhielt sich Wälti mit dem GastroJournal über seinen unschönen Abgang im Casino Bern, seinen Führungsstil und seine Liebe zur südamerikanischen Küche.

Dave Wälti, das Patio Latino ist Ihr erstes Projekt in Zürich. Wie kam es zustande?
Dave Wälti: Federico «Fede» Freiermuth, der Gastgeber des Weissen Rössli gleich neben dem Patio Latino, schrieb mich via Instagram an. Er kenne jemanden mit einem Areal, das bald leer stehen werde. Wie wäre es mit einem Latino-Festival? Mir gefiel die Idee. Ich bin selbst zur Hälfte Bolivianer und je älter ich werde, umso stärker zieht es mich zu diesen Wurzeln hin.

Daraufhin haben Sie das Areal besichtigt und zugesagt?
Genau. Wir trafen den Besitzer hier. Er erklärte uns, was er alles für uns tun könnte. Wände herausreissen, Baumaterial zur Verfügung stellen – perfekt. Wir haben das Glück, dass der Besitzer des Areals ein Baugeschäft hat und nun umzieht. Er überlässt uns viel Material, Tische, Bänke.

Sie vereinen hier Gerichte diverser Latino-Landesküchen. Zielen Sie bewusst auf dieses Publikum ab?
Es soll ein Festival für jedermann sein. Aber ich bin sicher, dass viele Lateinamerikaner aus der ganzen Schweiz vorbeikommen werden. Wir haben die News über die Instagram-Kanäle, Newsletters und Chats ihrer Community breit gestreut.

Wie tickt diese Gesellschaft? Ist es ein kulinarisch kritisches Publikum?
In erster Linie hat sie einen sehr sozialen, gesellschaftlichen Charakter. Sie lassen sich für solche Festivals begeistern und scheuen auch eine weite Anfahrt nicht. Kulinarisch kann man es mit den Latinos verscherzen, wenn man ihre Gerichte zu fest abwandelt. Ein moderner Twist ist okay, aber sie müssen das ursprüngliche Gericht nach wie vor erkennen und herausschmecken. Im Pop-up Al Toque in Bern haben wir tolle Erfahrungen gemacht.

Wie viele Plätze haben Sie?
Es sind rund 100 gedeckte und 100 ungedeckte Plätze sowie einen leeren Hinterhof und natürlich Platz zum Stehen. Das Wetter wird entscheidend sein, wie viele Leute kommen. Und wie oft sie kommen.

Seit Ihrem Abgang vom Casino Bern im Februar sind Sie mit Pop-up-Projekten unterwegs. Ist dies eine bewusste Entscheidung oder gibt der Markt zurzeit nicht mehr her für Sie?
Ich bin mir seit längerem am Überlegen, mich im Take-out-Bereich selbständig zu machen. Zurzeit versuche ich mich mit ähnlichen Projekten in verschiedenen Städten. Ich suche nach den unterschiedlichen Bedürfnissen in den Städten – eine Art moderne Marktanalyse.

Weshalb möchten Sie denn nicht mehr im klassischen Restaurant arbeiten?
Das will ich nach wie vor. Ich will aber auch ein Konzept erschaffen, das letztlich nicht von mir betrieben wird, aber von mir stammt und meinen Namen trägt. Das Potenzial ist riesig: gutes Essen mit fairen Zutaten zu anständigen Preisen.

Was heisst anständig?
Ein Gericht im El Patio Latino kostet 16 bis 18 Franken. Mit zwei Gerichten hat man gegessen. Wer länger bleibt, wird vermutlich mehr essen und von allem probieren.

In Bern kennt man Sie, in Zürich sind Sie ein No-Name. Würde Nenad Mlinarevic dieses Pop-up betreiben, wäre die Bude sicher voll. Hier steckt ihr eigenes Geld drin und Sie wissen nicht, ob die Leute so zahlreich kommen. Wie gehen Sie mit der Ungewissheit um?
Ihre Frage ist berechtigt, aber wir, das sind Federico Freiermuth, Aris Guzman, Gloria Batista, Milena Schneider und ich denken nicht so. Wer nichts wagt, gewinnt nichts. Doch es ist ja nicht so, dass wir nicht wissen, was wir tun. In Bern funktionieren meine Konzepte und kommen sehr gut an. Wir sind recht gelassen und hoffen einfach auf gutes Wetter.

Das Areal liegt nicht an der besten Lage: Ein Hinterhof in einer Seitenstrasse in Zürich-Enge, nicht in trendigen Wiedikon oder im umtriebigen Kreis 4.
Dennoch sind wir sehr zentral. Aber klar: Hier geht kaum jemand per Zufall vorbei. Wir hatten das Glück, dass der Besitzer des Areals mit seiner Baufirma umzieht, uns aber viel Material dalässt. Er hat vieles vorbereitet, Wände herausgebrochen, 30 Festbänke, Baumaterial und Werkzeug. Viele Wände lassen wir bewusst nackt, hinzu kommen Wandmalereien von Latino-Künstlern. Das Ganze soll authentisch wirken.

Genau ein halbes Jahr ist es her, da mussten Sie das Casino Bern verlassen. Ein Abgang im Unfrieden. Sie verloren Ihre Stelle als Küchenchef der Bistrobar, Ivo Adam bot ihnen intern einen anderen, nicht gleichwertigen Job an. Sie lehnten ab und erhielten die Kündigung. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
Heute sage ich: Es ist das Beste, was mir passieren konnte. Früher oder später wäre ich von mir aus gegangen. Wann? Das weiss ich nicht. Der Moment war hart, die Art und Weise ist für mich nach wie vor indiskutabel schwach. Wenn ich jetzt sehe, dass das Casino Bern mit akutem Personalmangel zu kämpfen hat, bin ich nicht verwundert. Das Problem haben viele Betriebe zurzeit. Aber die Casino-Führung wusste, dass sie einen weiteren Betrieb eröffnen wird. Dennoch entliess sie zahlreiche Mitarbeiter – und suchen nun verzweifelt nach neuem Personal.

Hatten Sie mit der Führung seit Ihrem Abgang je wieder Kontakt?
Nein, meine Fragen wurden nie beantwortet. Die zentrale Frage: Wir waren drei Küchenchefs – weshalb hat es ausgerechnet mich erwischt? Eine Vermutung habe ich, ich weiss es aber bis heute nicht.

Standen Sie anderen Personen zu stark vor der Sonne?
Ich denke es. Zumindest wurde dies so angedeutet.

Haben Sie Fehler gemacht?
Lange Zeit dachte ich es. Ich glaubte, es sei ein Fehler gewesen, dass ich ehrlich war. Heute sehe ich das anders. Ich habe stets meine Meinung kundgetan, allerdings immer im Sinne des Betriebs. Ich würde es wieder so tun.

Was haben Sie aus der Geschichte gelernt?
Wie wichtig das Zwischenmenschliche ist. Es geht heute mehr denn je darum, auf die Bedürfnisse von Mitarbeitern einzugehen: Freiheiten geben, flexible Planung der Arbeitszeiten, Entlöhnung überhalb des Mindestsalärs, Wertschätzung, Förderung. Die Realität gibt mir Recht: Ich hatte noch nie Probleme, Personal zu finden.

Konnten Sie diese Lehren in Ihren Pop-ups anwenden?
Ja. Ich arbeite immer wieder mit denselben Mitarbeitern. Da geht es auch darum, dass Konzepte funktionieren, ohne dass ich ständig vor Ort bin. Und zwar nicht, indem ich meinen Leuten streng eintrichtere, wie sie was zu tun haben, sondern indem ich sie stärke und sie Verantwortung tragen lasse.

Würden Sie sich je wieder in einem Restaurant einstellen lassen?
Eher nicht.

Sie sagten eingangs aber, Sie könnten sich eine Rückkehr ins klassische Restaurant vorstellen.
Richtig, aber das könnte ja dann mein eigener Betrieb sein. Schauen wir, was die Zukunft bringt. Ich freue mich nun erst mal auf El Patio Latino.

 

El Patio Latino
Klopstockstrasse 23
8002 Zürich

Mittwoch bis Freitag 16 Uhr bis 23 Uhr
Samstag & Sonntag 12 Uhr bis 23 Uhr