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«Wer seine Komfortzone verlässt, wächst als Koch»

Benny Epstein – 29. Oktober 2019
Andreas Caminadas Fundaziun Uccelin setzt sich für ­Gastro-Talente ein. Seine Frau Sarah führt die Stiftung, die auch Stages in Virgilio Martinez’ berühmtem Restaurant Central in der peruanischen Hauptstadt Lima ermöglicht. Sarah Caminada und Virgilio Martinez im Interview.

Für «The World’s 50 Best» ist das Central in der peruanischen Hauptstadt Lima das sechstbeste Restaurant der Welt. Central-Chef Virgilio Martinez (42) präsentierte seine Küche vergangene Woche bei Andreas Caminada (42) im Schloss Schauenstein. Nach Massimo Bottura und Gaggan Anand ist Martinez der dritte grosse Koch, der ins Bündner Dreisternerestaurant kam, um die Gäste im Rahmen einer Spendensammlung für die Fundaziun Uccelin kulinarisch zu verwöhnen. Die Stiftung, die von Sarah Caminada geführt wird, ermöglicht Koch- und Servicetalenten aus aller Welt eine fünfeinhalb Monate dauernde Reise durch die Welt der Spitzengastronomie. Wer ausgewählt wird, tritt bei den besten Köchen und spannendsten Produzenten zu mehrwöchigen Stages an. Seit 2016 absolvierten bereits mehr als 20 Stipendiaten das Uccelin-Programm.  Gemeinsam mit Andreas Caminada kochte Martinez einen Zwölfgänger, davor traf das GastroJournal den Peruaner zum Interview mit Sarah Caminada. Sarah Caminada, die Fundaziun Uccelin ermöglicht Gastrotalenten unter 35 Jahren ein 20-wöchiges Programm in den weltbesten Betrieben. Ein Angebot nur für angehende Spitzenköche?
Sarah Caminada: Nein, es geht uns um die Gastronomie grundsätzlich, nicht nur um die Spitzengastronomie. Die Stiftung wählt also nicht zwingend jene aus, die bereits in den besten Betrieben gearbeitet haben. Viel mehr schauen wir auf die Motivation der Bewerbenden: Wohin wollen sie? Warum glauben sie, vom Programm zu profitieren? Wie viele gute Bewerbungen erhalten Sie?
Die Qualität ist extrem hoch. Im September hätten wir alle 50, die sich beworben haben, mit gutem Gewissen ins Programm aufnehmen können. Letztlich wählten wir sechs aus. Mehr lässt unser Budget nicht zu. Das Geld stammt von Gönnern. Ein Stipendium kostet 12 000 bis 15 000 Franken. Eine kostspielige Angelegenheit.
Ja, das Finanzielle war auch bei der letzten Stiftungssitzung ein grosses Thema: Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung. Uccelin ist auf einem Niveau angelangt, an dem ich eine Vollzeitstelle schaffen möchte, damit sich eine Person vollumfänglich um die Stiftung und die Stipendiaten kümmert. Zuletzt engagierte die Stiftung den holländischen Starkoch Sergio Herman als Mentor. Was steckt dahinter?
Sergio erreicht via Instagram viele junge Leute aus der Branche. Hinzu kommt die Mund-zu-Mund-Propaganda innerhalb der Schweiz. Wer das Programm absolviert hat, ermutigt andere, sich zu bewerben. Im September kamen die Bewerbungen zu 90 Prozent aus der Schweiz. Im letzten März, kurz nachdem Herman unser Mentor wurde, war der Anteil an Bewerbungen aus dem Ausland hoch. Virgilio Martinez, Sie sind von Beginn weg bei der Stiftung dabei und bieten Stages an. Weshalb?
Virgilio Martinez: Ich kenne Andreas Caminada seit Langem. Als er mich für die Stiftung um Unterstützung bat, war ich sofort dabei. Ich unterstütze jede Initiative, die junge Berufskollegen fördert. Da ich schon davor Stagiaires bei mir in der Küche hatte, kenne ich das Arbeiten mit vielen jungen Leuten.
Sarah Caminada: Mit der Stiftung treffen wir den Zeitgeist. Wir reden in der Gastronomie sehr viel über Nachhaltigkeit. Dabei geht es meist um Produkte, den Energieverbrauch oder um finanziell nachhaltiges Arbeiten. Wichtig ist aber eben auch das menschliche Kapital. Die Branche muss ihre Talente fördern und unterstützen. Wie viele Stagiaires arbeiten bei Ihnen im Central?
Virgilio Martinez: Ich habe immer sieben bis zehn Stagiaires in der Küche. Total sind wir rund 45 in der Küche. Manche möchten aus dem Ausland zu uns kommen. Das bedeutet immer Aufwand für uns, beispielsweise die Beschaffung der Arbeitsbewilligung, die Versicherung. Hier arbeiten wir mit der Fundaziun Uccelin aber mit einer Organisation, die hilft, sich um diese Belange zu kümmern. Das ist sehr angenehm. Bislang fanden drei Uccelini den Weg zu Virgilio Martinez nach Peru. Welches Feedback erhielten sie?
Sarah Caminada: Alle drei waren begeistert. Eine andere Kultur, andere Produkte, eine andere Herangehensweise als jene, die sie von zu Hause kennen.
Virgilio Martinez: Die Jungen merken, dass die Arbeit an einem neuen Ort ganz anders sein kann. Sie werden aus ihrer Komfortzone geholt. Andere Sprache, andere Probleme, andere kulturelle Einflüsse. Gleichzeitig kriegen sie aber die Sicherheit, dass sie überall auf der Welt arbeiten können, wenn sie gute Köche sind. Wer seine Komfortzone verlässt, wächst als Koch und als Persönlichkeit. Was lernt ein Stipendiat bei Ihnen innert vier Wochen?
Ich will nicht, dass sie vier Wochen lang nur Äpfel schälen. Sie arbeiten voll mit. Ob beim Anrichten, bei der Absprache mit dem Service, sie sind mittendrin. Einer der drei Stipendiaten ging auf eine Reise im Rahmen unserer Mater Iniciativa. Dabei suchen wir nach Produkten im ganzen Land an deren Ursprungsorten, um sie und ihre Tradition besser zu verstehen. Funktioniert das in allen Betrieben, dass die Stipendiaten als vollwertige Arbeitskraft eingebunden werden?
Sarah Caminada: Ich schaue mit den Betrieben, dass die Stipendiaten nicht nur in der Produktion arbeiten, sondern auch in der Hauptküche. Es muss fair für beide Seiten sein. Das heisst aber auch, dass wir uns in die Wahl der Betriebe einmischen, falls ein Stipendiat, der noch nie in einem Michelin-Restaurant gearbeitet hat, Dreisterne-Betriebe auswählt. Das ergäbe keinen Sinn. Die Fähigkeiten des Stipendiaten und die Erwartungen an ihn lägen zu weit auseinander. Das Angebot richtet sich nicht nur an Köche, sondern auch an Servicetalente. Ist bei diesen der Andrang ähnlich gross?
Nein, es sind deutlich mehr Köche. Wir hätten gerne mehr Serviceleute im Programm. Das heisst aber nicht, dass Bewerbungen von solchen Vorrang hätten. Ob Mann oder Frau, Küche oder Service – wir wählen jene, die einen klaren Plan und grosse Motivation haben. Bewerbungen unter www.uccelin.com