Gastronomie

Vom Flüchtlingslager zum Trendsetter in Zürich

– 12. Juni 2019
Das Leben von Leap Choeun Ly hört sich wie ein Roman an: Seine Familie geriet in den Bürgerkrieg in Kambodscha, konnte in die Schweiz flüchten und hielt sich hier mit Frühlingsrollen über Wasser. Heute besitzt Ly mehrere Restaurants. Sein Flaggschiff heisst Ly’s Asia. Er expandiert weiter.

Das Restaurant Ly’s Asia im Schatten des Prime Towers beim Bahnhof Hardbrücke in Zürich wirkt mit seinen 100 Plätzen imposant. Es befindet sich im Depot der ehemaligen Zahnradproduktion der Firma Maag. Das verrät bereits die Adresse: Zahnradstrasse 21. Der Raum ist deshalb über sieben Meter hoch. Aus China importierte Terrakottafiguren sowie Orchideen deuten darauf hin, dass es sich hier um ein asiatisches Restaurant handeln könnte. «Der Umbau dauerte acht Monate, bis wir am 13. Dezember 2011 eröffneten», erzählt Gastgeber und Besitzer Leap Choeun Ly (46), der sich im Hintergrund seines Restaurants aufhält und von dort zum Rechten schaut. Ly, wie ihn seine Freunde nennen, ist stets gut gelaunt und fällt durch seine sportlich-modische Kleidung auf. Zu Ly’s Asia, das sich auf zwei Etagen erstreckt, gehören ein Take-away-Bereich für 60 sowie ein japanisches Teppanyaki für 30 Personen. Und ebenfalls im Besitz von Ly befinden sich ein Take-away im Bahnhof Zürich-Stadelhofen sowie das Lokal Far East in Zug. «Unsere knusprige Ente ist am beliebtesten. Wir kochen japanisch, chinesisch und thailändisch», sagt Ly, der 26 Vollzeitangestellte auf seiner Lohnliste führt. Die Küche mariniert das Gemüse, die Produkte bezieht das Restaurant von zwei, drei Hauptlieferanten wie der George Weiss Lebensmittel AG oder das Fleisch von der Metzgerei Angst. Er sei daran, nach dem Sommer das Restaurantkonzept zu revidieren. «Tendenziell wollen wir uns auf die gehobene chinesische Küche spezialisieren, weil diese sehr vielfältig ist. Wir werden Gerichte anbieten, die in der Schweiz noch nicht richtig bekannt sind. Japanisch bleibt im ersten Stock, die thailändischen Menüs nehmen wir von der Karte weg.» Er habe einen talentierten Chefkoch aus Shanghai angestellt, mit dem er sich auf Mandarin unterhält. Das Ly’s Asia profitiere von der Nähe zur Maag-Tonhalle. «Wenn die Tonhalle Konzerte aufführt, ist unser Restaurant bis auf den letzten Platz gefüllt.» Ansonsten gebe es mittags aus den umliegenden Büros mehr Gäste als abends. Der Wettbewerb sei allerdings hart. Wenn ein Lokal schliesse, werde schnell ein thailändischer Take-away eröffnet. Heute sei Spezialisierung gefragt. «Ich habe die Kosten im Griff und bin mit unserem Geschäftsgang zufrieden», sagt Ly. Er ist mit einer taiwanesischen Frau verheiratet und hat zwei Mandarin sprechende Töchter – mit Schweizer Pass. Überfall an der Grenze zu Thailand
Wenn der Geschäftsmann so redet, würde man ihm seine Lebensgeschichte nicht abnehmen. Er, der in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh auf die Welt kam, sagt dazu nur, jeder habe einen Rucksack zu tragen. Die dunkelste Seite seines Lebens erlebte Ly 1975, als Diktator Pol Pot mit den Roten Khmer in Kambodscha an die Macht kam. Ly und seine angesehene Familie – der Vater besass vor dem Krieg eine Tabakfabrik – musste in den Regenwald und von dort weiter via Vietnam nach Thailand flüchten. An der thailändischkambodschanischen Grenze wurde Ly überfallen und kam, nur noch mit einer Unterhose bekleidet, in ein Flüchtlingslager in Thailand. Dank dem Einsatz des Roten Kreuzes, einer Nonne und einem Schweizer Ärztepaar gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Seine Eltern und Geschwister, die auf anderen Wegen flüchteten, hätten Glück gehabt, die Gräueltaten überlebt zu haben. «Die Einreise war am 5. August 1980. Das Datum vergesse ich nicht mehr. Ich war nur sieben Jahre alt und ohne Eltern unterwegs», erzählt er. Er sei gut aufgenommen worden, habe bei einer Schweizer Gastfamilie im Zürcher Oberland gewohnt, Deutschstunden genommen und Klamotten aus der Kleidersammlung erhalten. Premiere mit Suang Long 1989
Mitte der 1980er-Jahre bereitete die Familie Ly zu Hause Frühlingsrollen zu und verkaufte diese auf dem Markt in Grüningen ZH oder an den Pferderennen von Fehraltorf ZH. Ly sagt freimütig: «Teilweise habe ich die Schule geschwänzt, um die Frühlingsrollen verkaufen zu können. Das hat unser Überleben gesichert. » Mit dem Erlös aus dem Verkauf der asiatischen Vorspeisen kam genug Geld zusammen, um 1989 an der Neptunstrasse in Zürich das erste China-Restaurant Suan Long zu eröffnen. «Suan Long» heisst doppelter Drachen. Die Küche hat ihren Grund: Die Familie stammt ursprünglich aus Südchina. Ly, der inzwischen bei den Restaurants von Suang Long nicht mehr beteiligt ist, wollte einst sogar Sinologie studieren und so die eigenen Wurzeln kennenlernen. Obwohl er in Kambodscha aufwuchs und Kambodschanisch sprach, hatte er nie einen tieferen Bezug zum südostasiatischen Land mit seiner traurigen Vergangenheit. Er ist nach den dramatischen Erlebnissen auch nie mehr dorthin zurückgekehrt und parliert mit seiner Familie heute in einem südchinesischen Dialekt. Mit dem Studium wurde nichts. Leap Choeun Ly ist der Gastronomie treu geblieben. «Mein Vater glaubte nicht, dass ich im Gastgewerbe bleiben werde, weil ich mit vielen Sportarten wie Fussball, Basketball und Tischtennis angefangen und jeweils immer aufgegeben habe.» Heute würden jeweils die Familientreffen im Ly’s Asia stattfinden. Und ja, ein bisschen stolz seien seine Eltern wohl schon darauf, was er in seiner Karriere erreicht habe. Doch wer Ly kennt, weiss, dass er noch weitere Pläne hat, als nur das Essensangebot in seinem Flaggschiff anzupassen. Die Branche darf gespannt sein.