Gastronomie

Verankert im Appenzell – innovativ im Geist

Corinne Nusskern – 29. Mai 2019
Am Dorfrand im Kurort Gais AR liegt das Restaurant Truube. Dort wirten Silvia und Thomas Manser auf Sterneniveau. Die Passion für das, was sie tun, ist überall spürbar.

Silvia Manser hat nie nach den Sternengegriffen. Sie sind ihr auch nicht zugefallen. Die Chefköchin der Truube in Gais AR hat sie sich langsam erarbeitet. Die Truube, oben am Dorf rand, war unter der Gide ihrer Eltern noch eine Quartierbeiz. Als Silvia und Thomas Manser 2001 den Betrieb im Appenzellerhaus aus dem 18. Jahrhundert übernehmen, haben sie andere Vorstellungen. Während sie im Säli Essen servieren, wird vorne geraucht, getrunken und gejohlt. Irgendwann ging das nicht mehr. Sie lösen das Problem elegant, passen die Öffnungs- den Essenszeiten an, servieren erst Mittagsmenüs à la Cordon bleu und Züri Geschnetzeltes. «Da waren einige eingeschnappt. Meinten, wir hätten es nicht mehr nötig», sagt Silvia. Die Mansers machen unbeirrt weiter. Sie richtet die Teller et was schöner an, serviert einen Gruss aus der Küche. Thomas beginnt sich mit Wein zu befassen, als Bauer hat er einen natürlichen Zu gang zu Pflanzen und Terrain, bald empfiehlt er Trouvaillen. 2004 erhalten sie ihre ersten Gault-Millau-Punkte. Heu te sind es 16 und ein Michelin-Stern. Die Wogen im Dorf sind längst geglättet, vie le ihrer Gäste stammen aus Gais, andere aus der restlichen Deutschschweiz, der Romandie, dem Vorarlberg und dem süddeutschen Raum, sogar einige aus New York, Brasilien oder Hawaii. Die Punkte und der Stern sind nicht mehr das Wichtigste. Aber: «Es ist nicht Nichts. Jeder ist stolz, wenn er das erreicht», führt Silvia aus. «Mein Ziel war immer, dass ich als Koch sagen kann, das ist gut und so will ich es. Ich springe nicht mehr jedem Trend hinterher.» Viel wesentlicher sei es, die Stammgäste zu verwöhnen und ihnen nicht zweimal dasselbe Gericht vorzusetzen. Salat rüsten? Bitte nicht!
Alle sechs Wochen kreiert Silvia Manser eine neue Menükarte, angepasst an die Saison. Aus dem aktuellen 7-Gänger sind dies ein knuspriges Hummer-Bonbon mit Peperoni und Maracuja, Morcheltortellini mit Eigelb und Bärlauch oder ein Duett vom einheimischen Gitzi. Für die Entwicklung eines 7-Gängers schaut Silvia erst, was geschmacklich zusammenpasst. «Ich beginne mit den kalten Vorspeisen und baue darauf auf. Im Moment starten wir mit Swiss Alpine Lachs mit Spargeln, Radiesli und Zitrone.» Dann kommt Thomas dazu für die Weinbegleitung. Die ersten drei Gänge serviert er mit Weisswein und schwenkt dann hinüber zum Roten. Sie stimmen alles aufeinander ab, bis das Gesamtkunstwerk steht. In der Truube wird alles selbst zubereitet. Die grösste Passion hegt Silvia für Vorspeisen und Desserts. «Dort kann ich am Kreativsten arbeiten», sagt sie. Am wenigsten gern entfernt sie die Sehnen und Äderchen der Gänseleber. Ganz zu schweigen von Salat rüsten. «Das musste ich in der Lehrzeit täglich kistenweise machen!» Heute kann sie das delegieren. Mt Silvia Manser arbeiten ein Koch plus drei Lernende in der Küche. Den Service plus Sommelier bestreitet Thomas al lein, ab und an unterstützt ihn eine Aushilfe. Das ist eng. «Haben wir einen Tisch mit sechs Personen, laufen wir Köche auch mit», sagt Silvia. Die simple Lösung entstand einst aus einer Not heraus, aber die Gäste finden es sympathisch, weil sie so sehen, wer hinter dem Essen steht. Und ist ein Teller nicht schön angerichtet oder weist er Fingerabdrücke auf, sagt Silvia zum Lernenden: «Den kannst du im Fall gleich selber servieren!» Sie lacht, und hofft, die jungen Menschen so für Details und Feingefühl zu schulen. Das geht doch nicht!
Dass sie Lernende ausbildet ist auch ein Statement gegen das Nachwuchsproblem.. «Alle jammern und wollen gute Fachkräfte, aber bilden selber nicht aus. Das geht doch nicht. Da haben wir eine Verantwortung!» Silvia Manser ist eine von einer Handvoll Frauen, die mit Michelin-Sternen ausgezeichnet sind. Total gibt es in der Schweiz 128 Sterne-Restaurants, ein Unverhältnis. «Von den jetzigen Sterneköchinnen hat die Hälfte keine Kinder», sagt die dreifache Mutter. «Mit Kindern geht es ein Jahr oder zwei, aber dann? Es braucht Disziplin, um jeden Tag die Passion zu transportieren und es konstant weiterzuziehen. Ich habe es, dank der Hilfe meines Mannes und der Grosseltern geschafft, welche gegen über der Truube leben.» Familie Manser selbst wohnt über der Truube, das macht vieles einfacher. Es ist auch heute noch ungewöhnlich, dass die Frau in der Küche steht und der Mann den Service leitet. Ausser halb des Restaurants ist es um gekehrt: Thomas hält sich zurück, Silvia steht in der Öffentlichkeit. Sie sitzt in der Jury vom Zukunftsträger und vom Goldenen Koch/ Bocuse d’Or und kürzlich am Lehrlingswettbewerb Gastro-Elite an der Offa St. Gallen. Für sie, als eine eher spontane Person, wäre das Wettbewerbskochen nichts. «Ewig das gleiche Menü zu üben und immer wieder zu ko chen, das würde mir verleiden», sagt sie lachend. «Ich mag kein Herumgeschreie»
Dafür kocht Silvia wieder am Excellence Gourmetfestival des Reisebüros Mittelthurgau zwischen Basel und Strassburg (27./28.10.19). Viele Anfragen können sie terminlich gar nicht wahrnehmen. Die Truube mit ihren 30 Plätzen ist eher ein kleines Lokal, und wenn die Gäste zum Essen kommen, möchten sie, dass Silvia und Thomas da sind, sonst sind sie enttäuscht. Der Gast raum mit den weissen Wänden und der braunen Holzschallwand ist eine Reminiszenz an die einstige Dorfbeiz, helle Tischtücher und eine dezente Deko verströmen schlichte Eleganz. Bei der Küche steht ein grosser Chefstable mit Blick in die Küche. Er ist bei Gruppen und Gästen, die separat sitzen wollen, beliebt. Manche schauen neugierig hinein. «Andere bemerken gar nicht, dass wir am Arbeiten sind, weil es so leise zu- und hergeht», sagt Silvia Manser. Sie mag Herumgeschreie in der Küche nicht. «Das hatte ich in der Lehre zur Genüge! Ich wusste schon damals, in meiner eigenen Beiz wird das anders sein. Es braucht extrem viel, bis ich ausraste.» Zum Abschalten steigen die Mansers drei Mal die Woche, meist frühmorgens, aufs Rennvelo. An einem freien Tag legen sie auch mal 240 Kilometer zurück und 3000–4000 Kilometer im Jahr. «Das ist für uns aktive Erholung. Wir sind sonst immer drinnen», sagt Thomas. «Aber nicht stur mit dem Kopf nach unten pedalen, wir geniessen auch die Natur. » Und das gastronomische Angebot anderer Restaurants. Am liebsten essen die Mansers in Betrieben der «Jeu ne Restaurateurs» (JRE), bei denen sie auch Mitglied sind. JRE ist bekanntlich eine Vereinigung junger Gastronomen mit 350 Betrieben in 16 Ländern. «Die einen sind höher bewertet, die anderen niedriger, aber das spielt keine Rolle», erklärt Thomas. «Es ist wie eine grosse Familie, in der man sich auch austauscht.» Der Wunsch nach Reisen
Beruflich möchte Silvia so weiter machen. Und wenn die Kinder noch grösser sind, öfters auf Reisen gehen und andere Geschmäcker entdecken. «Mich reizt der asiatische Raum, aber auch Skandinavien», sagt sie. Sie möchte die Küche von Magnus Nilsson versuchen, der im schwedischen Fäviken mitten in der Wildnis sein Restaurant betreibt. Als er mal in Zürich kochte, waren viele enttäuscht «Es funktioniert nicht, in einer Stadt wie Zürich Baumrinde & Co. zu servieren. Man muss dorthin, sich akklimatisieren, das Verständnis dafür auf bringen, und dann schätzt man auch, was er kocht.» Was Silvia und Thomas Manser an anderen schätzen, leben und geben sie auch in der Truube weiter: Authentizität.