Gastronomie

Unternehmer in die Parlamente

– 30. August 2018
Bei den letzten eidgenössischen Wahlen 2015 wählte Nidwalden Hans Wicki, der in Wolfenschiessen und Hergiswil im Gastgewerbe aufgewachsen ist, in den Ständerat. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Hans Wicki studierte an der Universität Zürich Wirtschaftswissenschaften, ist mit der früheren Skirennfahrerin Monika Hess verheirat und Vater zweier Kinder. Wicki arbeitete bei Banken, führte ein internationales Elektrotechnik-Unternehmen und ist heute unter anderem Verwaltungsratspräsident der Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis. Im Jahr 2000 wählte ihn das Stimmvolk von Hergiswil in den Gemeinderat, den er ab 2006 präsidierte. 2010 bestellte ihn Nidwalden in die Regierung, dort amtierte er als Baudirektor und führte 2015 als Landammann die Regierung. Im selben Jahr wurde er in den Ständerat gewählt, wo er unter anderem in den Kommissionen für Wissenschaft, Bildung und Kultur sowie für Verkehr und Fernmeldewesen Einsitz hat. GastroJournal: Herr Wicki, wie ist Bundesbern? Was sind die Unterschiede zur politischen Arbeit im Kanton Nidwalden und in der Gemeinde Hergiswil, wo Sie jahrelang politisch aktiv waren? Hans Wicki: Das sind alles ganz andere Welten. Nidwalden mit seinen rund 45 000 Einwohnerinnen und Einwohnern und Hergiswil mit rund 5500 sind überblickbar; ähnlich wie in einer KMU kennt man sich weitgehend. Auf Bundesebene ist das nicht mehr möglich, die Dimensionen sind ähnlich wie zwischen einer KMU und einem Konzern. Was heisst das für die politische Arbeit? Um beim Bild zu bleiben, löst man in einem KMU die Probleme meist rasch und mit einer Portion Pragmatismus, auch wenn die Lösungen vielleicht manchmal nur Zwischenschritte sind. In einem Konzern hingegen, wo praktisch nur Teilbereiche überblickbar sind, bewirtschaftet man Probleme eher und der Pragmatismus kommt etwas zu kurz. Eine Lösung findet man in der Regel nur, wenn sie für alle stimmt oder wenn es nicht mehr anders geht. Klingt mühsam. Bereits auf Kantonsebene, und zwar auch in einem kleinen Kanton wie Nidwalden, kann man die Aufgaben nicht immer optimal lösen, weil man viele Bedürfnisse befriedigen muss. Das ist Politik und bedeutet, gangbare Wege zu finden und Kompromisse zu schliessen. Im kleineren Rahmen sind die Resultate dabei in der Regel pragmatisch, man sucht und vertritt kaum Extrempositionen. Auf Bundesebene jedoch sind Maximalforderungen die Regel, was viel mit politischen Parteien und Medien zu tun hat, die sich mit extremen Positionen profilieren.

"Politik bedeutet, gangbare Wege zu finden und Kompromisse zu schliessen."
Und die Lobbyisten? Einerseits ist Politik immer auch Interessenvertretung – ich etwa vertrete als Ständerat natürlich Nidwalden und seine Interessen. Andererseits ist der Politiker selber der erste Interessenvertreter, denn er entscheidet, wen er an sich he­ranlässt. Haben es gewerbliche Anliegen auch deshalb auf Bundesebene immer schwerer? Ja, aber nicht nur. In einem kleinen Kanton und in Gemeinden sind die KMUs und das Gewerbe viel näher an der Politik. Die Politiker kennen die Unternehmen und ihre Anliegen, und die Politiker wissen, wie wichtig die Unternehmen sind, und zwar nicht nur als Steuerzahler. Beim Bund wiederum mag man zwar auf die gewerblichen und unternehmerischen Verbände und Organisationen der Wirtschaft hören. Aber aufgrund der grossen Distanz zwischen Wirtschaft und Politik wegen der vielen lauten Stimmen ist es schwieriger, sich Gehör zu verschaffen und durchzusetzen. Klingt beunruhigend. Ja, es ist beunruhigend, allerdings gibt es in Bern auch Nuancen. So ist der Ständerat weniger parteipolitisch getrieben, die Blöcke spielen hier eine weniger grosse Rolle als im Nationalrat. Zwar scheint mir, dass der Druck auch auf den Ständerat zunimmt und es öfter parteipolitisches Denken gibt. Aber insgesamt sind im Ständerat die Argumente nach wie vor zentral – und die ständerätlichen Lösungen entsprechend tragfähig. Und wie könnte die politische Situation insgesamt verbessert werden? Das ist eigentlich ganz einfach: indem Unternehmer in die Parlamente kommen. Dann können sie nicht mehr Unternehmer sein. Das halte ich auch für eine Schutzbehauptung derjenigen, die sich nicht engagieren wollen. Früher war es selbstverständlich, dass Unternehmer sich politisch engagierten. Politisches Engagement ist überdies eine grosse Bereicherung. Gerade die Unternehmer im Gastgewerbe halte ich übrigens für besonders geeignet. Sie können mit Menschen umgehen, und sie sind es sich aus ihren Betrieben gewohnt, der Küche oder der Reception Vertrauen zu geben, zu delegieren und sich nicht um jedes Detail zu kümmern. Das sind wichtige Fähigkeiten in der Politik, auch dort kann man nicht alles selber kontrollieren und braucht eine Balance zwischen Detailwissen und Gesamtüberblick.
"Unternehmer im Gastgewerbe halte ich für politisches Engagement für besonders geeignet."
Hat die politische Abstinenz der Unternehmer nicht auch mit dem Wahlsystem des Proporz zu tun, der im Gegensatz zum Majorz Parteien bevorzugt und nicht Personen? Sicher fördert der Majorz Persönlichkeiten und der Proporz Parteien und Funktionäre. Aber manchmal habe ich auch das Gefühl, dass unsere Erben- und Wohlstandsgeneration gerne jammert und sich über die Politik beklagt. Denn das ist einfacher, als hinzustehen und sich zu engagieren. Dabei hätten wir bessere politische Resultate, wenn die Unternehmer sich zur Verfügung stellen würden, denn statt tagelang Formulare auszufüllen und sich darüber zu beklagen, würden sie diese Zeit verwenden, um als Politiker die Formulare zu verhindern. Sind wir also selber schuld? Zu berücksichtigen ist auch, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur die Politik ein schlechtes Ansehen bekommen hat, sondern auch die Wirtschaft, wo es einige Verfehlungen gegeben hat. Ich habe aber den Eindruck, dass die Unternehmen aus den Fehlern gelernt haben und ihre Verantwortung gegenüber den Menschen und der Umwelt inzwischen in hohem Mass wahrnehmen. Diese Verantwortung nun auch in der Politik wieder zu übernehmen, wäre für alle ein Gewinn und würde das Ansehen der Politik stärken. Gibt es Zeichen der Besserung? Ich bin grundsätzlich immer positiv gestimmt. Das Pendel schwingt zurück, und das Ansehen der Wirtschaft und der Politik, die tragende Säulen der Schweiz sind, gewinnt wieder. Sprechen wir über den Tourismus und das Gastgewerbe. Politisch setzen sich nur wenige ernsthaft mit Tourismus auseinander, und ganz allgemein stelle ich wachsende Widerstände gegen den Tourismus fest. Beides ist beunruhigend, denn unser Land lebt stark vom Tourismus und profitiert nicht nur wirtschaftlich davon, sondern auch vom Image her. Was ist los? Unsere Generation hat keine Kriege erlebt und keine wirklichen Krisen. Damit fehlt auch ein breites Bewusstsein dafür, woher das Geld kommt – dass es dafür nämlich Kundschaft und Gäste braucht. Die gastgewerblichen und touristischen Unternehmen wissen das ganz genau, und desto mehr leiden sie am mangelnden Verständnis seitens der Politik, der Medien und der breiten Öffentlichkeit.
"Es fehlt ein breites Bewusstsein dafür, woher das Geld kommt."
Was tun? Wir brauchen in der Bevölkerung mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Wirtschaft und des Tourismus. Das ist umso wichtiger, als Tourismus eine Exportbranche mit nachhaltigem Erfolgspotenzial ist. Wenn aber Konflikte geschürt und der Tourismus samt der ganzen Wirtschaft als Feindbild dargestellt werden, stimmt etwas grundsätzlich nicht mehr – und muss grundsätzlich angepackt werden. Der richtige Ort dafür sind die Schulen, doch reicht es dabei nicht, mit vereinzelten Aktionen Bewusstsein zu wecken. Wir brauchen einen breiten Ansatz, der dort beginnt, wo die Lehrpersonen ausgebildet werden – und dort ist noch viel Dogmatik. Ähnliches gilt in der Politik, wo es ein klares Bekenntnis des Bundes braucht, den Tourismus so zu gewichten wie andere Branchen – so wie Banken, Uhren, Maschinen oder Chemie. Der Bund macht in Sachen Tourismus keine Industriepolitik. Es geht nicht um Industriepolitik, sondern um gute Rahmenbedingungen, fairen Wettbewerb und ein grundsätzliches Bekenntnis zu dieser Branche, die für viele Bergre­gionen existenziell ist. Wie sieht der Königsweg aus? Einerseits in einem allgemeinen Bewusstsein für die grosse Bedeutung des Tourismus und in einer entsprechenden nationalen Tourismuspolitik. Andererseits in einer Lenkung, die auf die Regionen zielt und die touristischen Leistungsträger anspricht. Denn so bleibt man bedürfnisgerecht, hat wenig falsche Anreize und verhindert Fehlallokationen. Inwiefern sind Sie zuversichtlich? Der Schweizer Tourismus hat grosses Potenzial und weiss das seit Generationen nachhaltig zu nutzen und zu pflegen: schöne Seen und Berge, gepflegte Landschaften, tolle Infrastrukturen, Sicherheit, Bildung, Gesundheit. Die Frage ist aber, ob unsere Erben- und Wohlstandsgeneration es schafft, die Tourismusbranche zu erhalten und weiterzuentwickeln, oder ob wir sie mutwillig zerstören. Und zwar nicht wegen der Unternehmen, denn die stehen einerseits im Wettbewerb und wissen andererseits um die Bedeutung ihrer Grundlagen, namentlich der Landschaft und der Natur. Die Gefahr geht eher von der Politik aus und von einer öffentlichen Meinung, die Probleme bewirtschaftet, anstatt sie anzupacken.
"Ich denke, dass die Zeit für uns arbeitet."
Also wenig Zuversicht? Doch, denn ich denke, dass die Zeit für uns arbeitet und die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Aber gut Ding will Weile haben.