Tanja Grandits und Noémie Bernard: «Offensichtlich haben wir beide mehr Energie!»

Corinne Nusskern – 24. Februar 2022
Karriere mit Kind, in der Küche mit dem Vater, Sexismus in der Gastrobranche: Wie ist es eigentlich so als Frau …? Die Spitzenköchinnen Tanja Grandits und Noémie Bernard wünschten sich, sie müssten über diese Themen nicht mehr reden. Ausser in diesem bewusst ausgewählten Rahmen.
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Noémie Bernard (l.) zu Gast bei ihrer ehemaligen Chefin: Im Gespräch mit Tanja Grandits gab es viel zu lachen, aber auch sehr ernste Momente. (Foto: Daniel Winkler)

Tanja Grandits, Sie beide gehören zu den wenigen bekannten Frauen, die ein Gourmetrestaurant führen. Was denken Sie, wenn jemand eine Frage mit «Sie als Frau und Küchenchefin…» beginnt?
Tanja Grandits (TG): Biologisch betrachtet sind wir nun mal Frauen (lacht), aber wir sind auch Persönlichkeiten. Deshalb sind wir da, wo wir sind. Früher sagte ich jeweils, hört auf, mich ständig zu fragen, wie es ist als Frau. Inzwischen sage ich: ‹Fragt mich.› Ich habe zwar immer noch keine Antwort, aber es ist wichtig, dar­über zu reden. Dies wurde mir im The Dolder Grand bei der Verleihung des Female Chef Awards bewusst. Dort kamen viele junge Köchinnen auf mich zu, die mich als ihr Vorbild sehen. Und als solches, muss ich Red und Antwort stehen, weshalb es so wenig Frauen in unserer Position gibt.

Werden Sie heute in Ihrem Alltag überhaupt noch mit diesem Satz «Sie als Frau…» konfrontiert?
Noémie Bernard (NB): Jeden Tag! Ich höre oft: Du bist so jung, du bist eine Frau. Ja nun, und was jetzt?
TG: Es ist ein Wahnsinn, dass immer wieder dieselbe Frage kommt. Ich war mal in Wien an einem Event mit 20 Sterneköchen. Wir standen auf der Bühne – ich als einzige Frau –, und der Moderator stellte jedem eine Frage. Mich fragte er: «Wie kriegen Sie Kind und Karriere unter einen Hut?» Warum hat er dies nicht die anderen 19 gefragt? Die haben doch auch Kinder! Das zeigt, welch Ignoranz da teilweise vorherrscht. Manchmal ist es zum Ausrasten. Offensichtlich haben Noémie und ich einfach mehr Energie.

Tatsache ist, dass es immer noch schwierig ist, eine solche Karriere zu machen und gleichzeitig Familie zu haben.
TG: Das ist es. Will eine Köchin mit Kind in der Sterneküche auf dem Super High Class Level Karriere machen, dann geht dies nur, wenn sie selbstständig ist. Man kann sich nicht in einem Mega-Sterne-Restaurant anstellen lassen und sagen: Okay, ich bin jetzt Mutter und arbeite nur noch 50 Prozent. Es gibt vielleicht einen unter hundert Männern, der dann zurückstecken würde und Hausmann wird.
Als selbstständige Küchenchefin hingegen kann man sich eine eigene Welt organisieren, in die sich das Kind integrieren lässt.

Noémie Bernard, könnten Sie sich vorstellen, Kinder zu haben und Küchenchefin zu bleiben?
NB: Auch meine Eltern haben es als Selbstständige mit mir so gemacht. Im Moment ist bei mir der Kinderwunsch nicht da. Aber auch mit Familie würde ich als Selbstständige auf meinem Beruf bleiben. Das bin einfach ich.

Die letzten drei Jahre, ehe Sie sich 2018 im Sternen in Walchwil selbstständig gemacht haben, haben Sie bei Tanja Grandits im Restaurant Stucki gearbeitet. Wie viel Tanja Grandits steckt in Ihrer Küche?
NB: Ich habe sicher etwas mitgenommen und baue es da oder dort ein. Aber sie hat ihre Linie, die kann man nicht kopieren. Eine Farbe, ein Gewürz – das gibt es nur einmal! Meine Küche ist stark und regional geprägt. Ich muss die Gäste auf meine eigene Reise mitnehmen.

Das Universum der Tanja Grandits umfasst ja viel mehr als das, was auf dem Teller passiert.
NB: Oh ja. Neben dem Fachlichen kann man vor allem menschlich sehr viel von ihr lernen, diesen respektvollen Umgang mit den Leuten. Aber auch wie sie sich zur Unternehmerin entwickelte und immer grösser wurde, finde ich sehr beeindruckend.

Nun arbeiten Sie mit Ihrem Vater Giorgio in der Küche. Sie sind der Chef. Gibt es nach der Erfahrung in Tanja Grandits Küche Dinge, die für Sie nicht mehr passten?
NB: Nein, ich habe meinen eigenen Stil. Mein Vater kommt aus einer anderen Generation. Da sage ich dann schon: Das machen wir jetzt besser so.
TG: Dein Vater hat bei uns mal bei einem Catering ausgeholfen, es war eine Riesenfreude. Er brennt für das, was er tut, und ist unglaublich wissbegierig. Sein Spitzname lautet bei uns Giorgiopedia (beide lachen). Ich bewundere ihn und finde es toll, dass er einen Schritt zurücktritt und sagt: So, jetzt ist Noémie die Chefin. Auch deine Mutter steht voll hinter dir. Sie unterstützen dich, was gibt es Schöneres?

Tanja Grandits, wann erkannten Sie Noémie Bernards Potenzial zur Chefin? Wann trauten Sie ihr den Schritt zu?
TG: Ich sah ihr Talent zur Chefin sofort, fachlich wie menschlich. Alle, die Noémie kennen, trauten ihr den Schritt zu hundert Prozent zu. Sie ist eine aussergewöhnliche junge Frau, unglaublich fleissig, schnell und geradlinig. Wir waren damals oft am Anschlag, aber Noémie arbeitete stets mit einem Lächeln, hatte nie einen Durchhänger oder schlechte Laune. Teilweise war es grenzwertig laut, und wir haben viel gelacht. Wurde es ernst, klinkte sie sich aus und war voll auf die Arbeit fokussiert.

Haben Sie schon erlebt, dass es für eine männliche Person schwierig war, von Ihnen einen Befehl anzunehmen?
NB: Nein, nie.
TG: Man muss dies mit einer Selbstverständlichkeit machen. Ich zahle jeden Monat den Lohn von 45 Per­sonen. Da muss ich nicht darüber nachdenken, ob ich etwas Falsches gesagt habe (lacht). Wir sind uns bewusst, was wir können, was wir geleistet haben und wie wir im Betrieb alle Fäden zusammenhalten.

Aber diese Küchen-Machos, gibt es die noch?
TG: Leider, ja. Eine Köchin und Praktikantin, die bei mir war, arbeitete danach bei einem Machoidioten. Ganz schlimm. Einst fragte sie ihn, ob er schon mal bei der Zweisterneköchin Douce Steiner essen war. Seine Antwort: Sicher nicht, das ist eine Frau! Das habe ich seit 20 Jahren nicht mehr gehört, das ist grauenhaft. Und während er es sagte, hörten zehn Köche zu, und keiner sagte was. Für eine Frau ist es unmöglich, in einem solchen Umfeld zu arbeiten.

Und was raten Sie jungen Köchinnen, die in einer solchen Situation stecken?
TG: Ich rate, einen solchen Ort zu verlassen. Da kann man weder profitieren noch lernen. Das Leben ist zu kurz, man muss gute Erfahrungen machen.

Man hört öfters vom teilweise rauen, sexistischen Ton in der Küche. Haben Sie dies auch erlebt?
NB: Nein, zum Glück nie.
TG: Es ist durch die jungen Küchenchefs, die anders denken, viel besser geworden. Aber ich habe dies in verschiedenen Betrieben noch erlebt. Ich habe dann vier Stunden länger gearbeitet und entwickelte unterbewusst einen Ehrgeiz, um denen zu zeigen, dass ich es mindestens genauso gut kann wie sie.

Das bekannte Klischee also: Die Frau muss doppelt so hart arbeiten, um zu bestehen.
TG: Am Anfang machte ich es so, um keine blöden Sprüche zu hören. Ich wollte lernen, machte die Mise en Place für alle Posten, schnipselte für Harald Wohlfahrt, nur damit ich Rezepte krieg­te. Es war mein eigenes Engagement, mein Interesse.

Werden Sie als Arbeitgeberinnen vermehrt von Frauen um Stellen angefragt?
TG: Ich habe sehr viele Anfragen von Frauen für eine Kochstelle oder ein Praktikum. Viele möchten einen Einblick erhalten, um zu sehen, wie das bei der Tanja funktioniert. Ich biete dies auch sehr gerne an.
NB: Das ist toll. Wenn ich mich in Zukunft vergrössere, möchte ich auch gern so etwas anbieten. Im Moment bleibe ich aber eher noch klein und kompakt.

Wenn sich drei Frauen und drei Männer bewerben: Bevorzugen Sie dann eher die Frauen?
TG: Unbewusst wahrscheinlich schon, weil ich ihnen diese Chance geben möchte. Wir haben immer wieder tolle Frauen hier, die teilweise im Leben etwas völlig anderes machen. Oder Austauschlernen­de. Und eine Flüchtlingsfrau aus Eritrea. Sie arbeitete in einer Grossküche und kam vor etwa anderthalb Jahren für ein Praktikum zu uns. Alles war kompliziert mit ihrem Asylantrag. Da haben sich der Küchenchef Marco Böhler, die ganze Küche und der Betriebsleiter Thomas Gautschi engagiert und sich für sie eingesetzt, inzwischen haben wir sie angestellt. Sie rüstet und vakuumiert und ist so glücklich, hier zu sein. Das ist toll. Und ich habe drei Lernende – aussergewöhnliche Frauen, zum Teil mit einem Zeugnisdurchschnitt von 6,0! Es kann mit Frauen nur aufwärts gehen (lacht).

Auch dank Ihnen, weil sie hier die Chance bekommen, gefördert werden.
TG: Es ist gut, wenn mehrere Frauen zusammen sind und sich gegenseitig unterstützen können. Es herrscht eine andere Energie vor, ein anderer Spirit, wenn es mit den Geschlechtern ausgeglichener ist.

Tanja Grandits, was müsste passieren, damit mehr Frauen in der Gastronomie ihren Weg nach oben verwirklichen?
TG: Schwierig. Es braucht eine Bewusstseinsänderung. Es muss normal werden, dass Frauen in der Küche etwas zu sagen haben. Wie viele Frauen machen eine Kochlehre – und wie viele sind letztlich Küchenchefin? An der Universität ist es nicht anders. Es studieren mehr Frauen als Männer, aber wie viele Professorinnen gibt es? Eine verschwindend kleine Zahl. Das ist ein Spiegel der Gesellschaft.

Noémie Bernard, was raten Sie, wie sollen junge Köchinnen ein hohes Karriereziel am besten angehen?
NB: Durchhalten und Gas geben. Respektvoll miteinander umgehen. Es braucht einen starken Willen. In den ersten zwei Jahren meiner Selbstständigkeit musste ich mich jeden Tag immer wieder aufs Neue bestätigen. Jetzt, im vierten Jahr, ist die Akzeptanz klar gestiegen.

Tanja Grandits, welchen Tipp haben Sie für junge Köchinnen auf ihrem Weg zur Spitze?
TG: Offen sein. Klar sein. Wissen, was man will. Das ist das Wichtigste. Ich bin jetzt 14 Jahre hier. Zu Beginn war ich vielleicht etwas naiv, aber ich war damals so überzeugt, von dem, was ich mache. Heute weiss ich, dass meine Sachen funktionieren und dass es weitergeht. Es ist ein permanenter Wandel, trotz Beständigkeit mit dem gleichen Team. Es ist ein stetes Fortschreiten.
NB: Diesbezüglich konnte ich sehr viel von Tanja lernen. Man muss jeden Tag Entscheidungen treffen, immer hundert Prozent geben. Den eigenen Weg gehen, sich nicht beirren lassen, egal was die anderen sagen. Dass es funktioniert, zeigt sich an den Gästen, die immer wieder kommen. Ein Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
TG: Das ist das Allerwichtigste. Alle Auszeichnungen und Medienberichte sind toll und äusserst hilfreich. Aber am Ende des Tages zählt nur, dass das Restaurant voll ist und die Gäste glücklich sind. Das ist die schönste Bestätigung.