Spitzengastronomie für kleine Geniesser

Isabelle Buesser – 31. August 2023
Diesen Sommer hat das Maison Décotterd in Glion VD eine Juniorversion eines Degustationsmenüs eingeführt, das von einem Besuch in der Küche ­begleitet wird. Ein neuartiges Angebot in einer Umgebung, in der die Jüngsten manchmal mit Zurückhaltung empfangen werden. Das GastroJournal hat das Experiment mit dem Sternekoch im Waadtland getestet.

Für manche Betriebe sind Kinder ein Risiko: Lärm, Unruhe, Beschwerden von anderen Gästen. Für die Eltern heisst ein gemeinsamer Restaurantbesuch manchmal Stress und Angst, dass die Kinder zu unruhig sind, dass ihnen das Essen nicht schmeckt, dass das Angebot nicht gesund ist, ganz zu schweigen von den Kosten für ein Familienessen.
All dies führt häufig dazu, dass die Jüngsten in Restaurants, die eine qualitativ hochwertige Küche anbieten, de facto vom Genuss ausgeschlossen werden. Dabei sind «Kinder die Zukunft der Gastronomie, sowohl als Kunden als auch als Fachleute», sagt Stéphane Décotterd. Und für die Familien sind es schöne Erinnerungen und Emotionen, die sie mit ihren Lieben teilen.

Stéphane Décotterd, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Kindermenü zu entwickeln?
Stéphane Décotterd: Meine Frau und ich wurden durch einen Artikel in der französischen Presse auf die Frage aufmerksam, ob Kinder in Restaurants erwünscht sind oder nicht und dass immer mehr Restaurants in Frankreich, Belgien, aber auch in der Schweiz die Jüngsten aus dem Restaurant verbannen. «Sollte man seine Kinder mit ins Restaurant nehmen?» Wir haben uns diese Frage noch nie gestellt. Seit wir Eltern sind, ist unsere Tochter uns überall hin gefolgt. Für mich besteht das Wesen eines Gourmetrestaurants darin, dass es unseren Gästen und ihren Angehörigen einen Moment des gemeinsamen Essens bietet. Es erscheint mir abwegig, die Kleinen von diesem Moment auszuschliessen. Wenn wir wollen, dass die Gastronomie fortbesteht und weiterhin Personal rekrutiert, können wir den Jüngsten nicht sagen, dass sie nicht willkommen sind. Bei all den Schwierigkeiten, die wir heute in der Gastronomie haben, insbesondere was die Personalrekrutierung betrifft, ist diese Botschaft katastrophal. Es geht um die Kunden von morgen, um unsere Zukunft! Ausserdem kann man nicht nur Fastfood anprangern und den Zugang zu qualitativ hochwertiger Küche verweigern, sondern wir haben eine Vorbildfunktion und eine Bildungspflicht.

Sind Sie als Kind in Restaurants gegangen?
Ja, aber nicht in Gourmetrestaurants. Ich habe diese Welt erst entdeckt, als ich dort gearbeitet habe.

Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Es war jedes Mal ein besonderer Moment mit der Familie, bei dem niemand gestresst war, weil man Zeit zum Essen hatte. Zu Hause war immer jemand auf den Beinen, der gekocht oder serviert hatte. Es gibt nur wenige ruhige Momente, in denen die Familie zusammenkommt, ausser bei einem Essen an einem Tisch im Restaurant.

Wie haben Sie die Gerichte für das Kindermenü zusammengestellt?
Wir haben uns auf einfache Geschmacksrichtungen konzentriert. Die Beschränkung auf komplexe Geschmacksrichtungen ermöglicht es, die Bestandteile der Gerichte zu identifizieren. Dann haben wir mit den Kindern unserer Mitarbeitenden, die zwischen sechs und zwölf Jahre alt sind, ein Testessen veranstaltet. Dadurch konnten wir feststellen, dass einige Lebensmittel beiseitegeschoben wurden. Wir haben daher einige Zubereitungen weiter vereinfacht. Ausserdem ist die Optik sehr wichtig. Es muss schön aussehen, darf aber nicht zu weit gehen, um die kleinen Kunden nicht zu blockieren.

Glauben Sie, dass eine schöne Erfahrung im Restaurant Berufe schaffen kann?
Wir haben nicht wirklich darüber nachgedacht. Aber es stimmt! Wenn es uns gelingt, den Sinn für Gastfreundschaft zu vermitteln, ist das vielleicht der beste Weg, um Berufe zu schaffen. Vor allem in Bezug auf die Berufe in der Gastronomie, die bei jungen Leuten, vor allem in der Schweiz, nicht sehr beliebt sind.

Haben Sie seit der Einführung dieses Angebots Anfang Juli schon viele kleine Gäste gehabt?
Im Juli haben wir etwa zehn Kinder betreut. Dazu gehörte auch ein Geburtstagsessen mit einer grossen Familie. Mein Ziel ist es jedoch nicht unbedingt, mehr Kinder in unser Restaurant zu locken, sondern ein Angebot für Familien zu schaffen, die einen Moment bei uns verbringen möchten.

 

Wie ist Ihr Feedback zum Menü?
Das Feedback ist sehr gut. Ausserdem sind wir flexibel: Die Eltern können die Anzahl der Gerichte selbst bestimmen oder aus der Bistrokarte wählen, wenn ihnen das Menü zu komplex erscheint.

Wie ist das Zusammenleben zwischen den Familien und den anderen Gästen? Spüren Sie, ob manche Leute genervt sind?
Wir hatten noch nie Probleme. Mit den Familien, die wir verwöhnt haben, ist es immer gut gelaufen. Die Person, die die Reservierung für das Geburtstagsessen mit mehreren Kindern gemacht hat, hatte ein bisschen Angst, dass sie stören könnte. Aber wir haben sie in einem Teil des Restaurants untergebracht, den wir bei Bedarf abtrennen können. Die Kinder hatten ihren eigenen Tisch mit Spielen, die sie mitgebracht hatten. Am Ende haben sie niemanden gestört!

Wie hat Ihr Team auf dieses Konzept reagiert? Hat es Spass daran, diese Gerichte zu kreieren?
Im Grossen und Ganzen wurde die Idee sehr gut aufgenommen. Es ist immer schön, ein neues Projekt zu starten. Am begeistertsten waren jedoch diejenigen, die selbst eine Familie haben. Junge Leute bleiben manchmal lieber bei einer Küche, die für ein klassischeres Publikum bestimmt ist.

Welches Gericht kommt am besten an?
Die Amuse-Bouches und die Vorspeise sind sehr beliebt, aber auch der panierte Barsch. Wir dachten zuerst, dass der Fisch im Ganzen einige Kinder abschrecken würde, aber letztlich ist es das Gericht, das am besten ankommt!

Welche Elemente sind für ein Kindermenü unerlässlich?
Was die Optik angeht, sollte es schön und erkennbar sein. Die Geschmäcker sollten nicht zu kompliziert sein. Es bringt nichts, zu exotische Produkte zu verwenden. Es geht nicht darum, die Kinder zu verunsichern, sondern darum, dass alle Spass haben. Das ist wirklich eine Priorität! Als wir im Le Pont de Brent in Montreux arbeiteten, hatte ich für ein kleines Mädchen Herzen aus Gemüsepüree zubereitet. Es hat ihm sehr gut gefallen, und es hat sogar gesagt, dass es fortan sein Lieblingsrestaurant sei!

Wie haben Sie den Preis festgelegt?
Wir haben zuerst den Preis pro Gericht festgelegt und dann zusammengerechnet. Der Preis sollte der Arbeit in der Küche entsprechen, aber nicht zu hoch sein. Wir wollten nicht, dass der Preis über 100 Franken liegt. Zurzeit kostet das komplette Menü bei uns 90 Franken für sechs Gänge inklusive der Amuse-Bouches. Man kann auch nur einen Teil des Menüs bestellen, je nach Appetit und Alter der Kinder. Bei Bedarf können wir immer ein Pastagericht zubereiten. Der Preis ist ein heikles Thema. Man vergisst schnell, dass Qualität eben auch ihren Preis hat.