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Nächtliche Entdeckungstour mit Beat Caduff

Benny Epstein – 06. September 2019
Die Produktkenntnisse des Bündner Spitzenkochs sind einzigartig. Er ist stets auf der Suche nach den besten Produkten. Das GastroJournal begleitete ihn auf den Grossmarkt.

4.36 Uhr, stockfinstere Nacht. Nicht so beim Engrosmarkt an der Aargauerstrasse 1 in Zürich-West, hier herrscht, vom Sonntag abgesehen, täglich emsiger Betrieb ab 4.15 Uhr. Beat Caduff geht voran, in seinem Schlepptau hat er vier aus seiner Kochbrigade. Als er an den rund 30 parkierten Autos vorbeischlendert, meint er achselzuckend: «Schon schade. Früher standen da zahlreiche Produzenten. Heute sind es nur noch ein paar wenige.» Er grüsst die letzten Mohikaner auf dem Produzentenmarkt, sie grüssen zurück. Mit Namen. Man kennt Caduff, den Bündner Spitzenkoch, der seit 21 Jahren die Wineloft in Zürich führt. Nächstes Jahr wird der 60-Jährige sein Lebenswerk beenden. Die Suche nach einem Nachfolger ist im Gange. Die Auswahl auf dem Produzentenmarkt ist sehr überschaubar. Ein paar Salate, Gurken, Zucchetti, Randen, Karotten und mehrfarbige Radieschen. Mehr zu sehen gibt es in der Markthalle. Gemüse und Früchte von nah und fern, getrocknete Morcheln aus Kanada, frische Pilze aus Osteuropa. Wie soll man sich da zurechtfinden? Wie will man da wissen, welche Ware die beste ist? «Das sind die Falschen»
«Die musst du probieren», sagt Caduff einem seiner Köche. Er deutet auf eine Kiste mit grünen, kugeligen Pflaumen. Reine-Claude heisst die Sorte. Caduff zückt sein japanisches Messer, das in einem ledernen Etui an seinem Hals baumelt und halbiert eine Frucht. Saftig, aromatisch, leicht säuerlich ist sie. Anfang September zeigt sie sich am schönsten. Caduffs Commis, der erst seit einem knappen Monat in der Wineloft arbeitet, macht grosse Augen und nickt: «Sehr lecker.» Dann weist Caduff auf den Karton gleich daneben hin: «Die nehmen wir nicht. Das sind die Falschen.» Die Falschen? Die sehen doch genau gleich aus. «Nein, schau, die sind etwas gelblicher. Die sind mehlig.» Auch auf den zweiten Blick ist kaum ein Unterschied zu erkennen. Doch der mit 16 GaultMillau-Punkten ausgezeichnete Koch hat recht: Im Vergleich mit der ersten Reine-Claude fühlt sich diese im Mund mehlig an, sie ist weniger saftig und hat weniger Säure. «Stell mir bitte eine Kiste Reine-Claude bereit», verlangt Caduff vom Händler. «Aber eine mit richtig reifen Früchten.» Sie enden schliesslich auf der Dessertkarte als Reine-Claude- Kuchen mit Vanille-Doppelrahm. Caduff probiert von den Muscat-de-Hambourg-Trauben, zeigt seinen Köchen, welches der beste Kürbis ist und warnt vor Gemüse, das zwar schön aussieht, geschmacklich aber lau sei. Hier und dort fragt er nach der Qualität der Produkte und nach vorhandenen Mengen in den kommenden Tagen, erzählt seinem Team, wo er die Amalfi-Zitrone mit ihrem tiefen pH-Wert einsetzt und wofür er hingegen lieber gewöhnliche Zitronen verwendet. Alle drei, vier Wochen besucht Caduff den Engrosmarkt. Er erklärt: «So bleibe ich am Ball, weiss aus eigener Hand, welche Produkte gerade am besten sind und welche noch nicht ganz reif sind oder ihren Zenit schon überschritten haben.» Andere Köche habe er hier in all den Jahren noch nie angetroffen. «Vielleicht bin ich immer da, wenn sie nicht da sind», wirft Caduff mit einem schelmischen Grinsen ein. «Die Gespräche mit den Leuten sind spannend, man hat nie ausgelernt.» Die Jahresgebühr, die für den Zutritt berechtigt, kostet gerade mal 30 Franken. Kaffee und Pflaumen
Gastrolieferant Tiziano Marinello ist zwar beschäftigt, lädt Caduff und seine Köche aber rasch zum Kaffee. «Einen Moment, Beat, ich muss dir was zeigen», sagt Gemüse- und Früchte-Spezialist Marinello. Er beliefert nicht nur zahlreiche Betriebe rund um Zürich täglich mit Frischware, sondern versendet auch noch jeden Mittwoch einen persönlich geschriebenen Marktbericht-Newsletter mit Hinweisen über Saisonalitäten und spannende Produkte. Augenblicke später ist Marinello wieder bei seinem Stand. Caduffs Köche bedienen sich derweil an der Kaffeemaschine. Marinello bringt Obst mit: Bühler Zwetschgen vom Enikerhof und Löhrpflaumen. Caduff ist begeistert und bestellt sogleich. Frühschicht am freien Tag
Dann fachsimpeln die beiden über den Markt, Marinello erzählt von seiner letzten kulinarischen Enttäuschung in einem Spitzenrestaurant, und beide lamentieren über die Bewertungsplattform Tripadvisor. Es ist 6.10 Uhr, Caduff verabschiedet sich auf dem Parkplatz von seinen Köchen: «Wir sehen uns um 10 Uhr.» Er geniesst heute seinen freien Tag. Dann macht er sich auf den Heimweg und freut sich auf drei Stunden Schlaf. Davor chauffiert er seinen Commis an den Hauptbahnhof. «Tschüss, dich sehe ich ja erst morgen wieder.» Der Neuling im Wineloft-Team geniesst einen freien Tag. Für die Erfahrung auf dem Engrosmarkt stand er dennoch kurz vor 4 Uhr auf. Er dürfte es nicht bereut haben. _____________________________________________________________ ★ Für Beat Caduff ist nur das Beste gut genug. Dank seiner überragenden Produktekenntnisse, weiss der Bündner genau, wo auf der Welt es zu welcher Saison die besten Produkte gibt. Mal kommt der Lachs von den Färöer Inseln, mal aus Norwegen – je nach Jahreszeit. Pilze aus Kanada, Kartoffeln von der französischen Atlantikinsel Noirmoutier. Das Wild schiesst der passionierte Jäger am liebsten selbst. Oberhalb von Arosa errichtete er 1978 mit einem Jugendfreund eine Jagdhütte. Hier tankt Caduff Energie, von hier aus geht er auf die Pirsch. Die Wildwochen in Caduffs Wineloft sind weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt. Seine andere Passion gilt dem Wein. Im Keller liegen die besten gereiften Burgunder und deutschen Rieslinge.