Gastronomie

Mehr Mut und weniger Krankheiten

Marco Moser – 04. März 2017
Wie wirkt die Schweizer Küche? Ein ­Gespräch mit Roland Trettl.

In der Küche verdiente er sich seine Sporen ab, mit seinem Buch «Serviert: Die Wahrheit über die besten Köche der Welt» schüttelte er die internationale Kochszene durch. Roland Trettl nimmt kein Blatt vor den Mund und fordert die Gastgeber zu mehr Mut auf. GastroJournal: Wie haben Sie letzte Nacht geschlafen?
Roland Trettl:
Danke gut. Aber für knapp 500 Euro die Nacht habe ich auch nichts anderes erwartet. Für uns Südtiroler ist das brutal ­teuer. Und dann diese Mini-Bar. Ich ­übernachte in einem 5-Sterne-Hotel in Zürich, zahle mehrere hundert Euro und in der Mini-Bar steht eine einzelne Flasche Mineralwasser. «So muss sich wohl Einsamkeit anfühlen», postete ich auf Facebook. Wie nehmen Sie die Schweiz als Koch wahr?
(Zögert) Die Schweiz ist stark, weil sie noch von der Vergangenheit zehrt. Mit all den Grandhotels hat sich die Schweizer Gastronomie wirklich was aufgebaut. Während meiner Lehrzeit musste man als Koch einmal in der Schweiz ge­arbeitet haben: Die Küche war modern und doch nicht so arrogant wie die französische. Früher gingen Köche in die Schweiz, um etwas zu lernen, heute nur noch, um mehr Geld zu verdienen.

«Die Schweizer waren modern und nicht so arrogant wie die Franzosen»
Was raten Sie Schweizer Gastgebern?
Mut ist ein wichtiges Thema. Jeder sollte regelmässig aus seinem System ausbrechen. Ich habe vor drei Jahren mit knapp 40 das «Ikarus» in Salzburg verlassen, habe Praktika bei einem Tischler und einem Schneider absolviert – jetzt möchte ich noch Saxophon spielen lernen. Und Mut in der Küche?
Letztes Jahr hatte ich 200 Personen zu verpflegen. So als Test habe ich 200 Schweinebäuche genommen und in einem Erdloch auf einem Berg 24 Stunden gegart. Ich wusste nicht,d wie es rauskommt. Nach 24 Stunden waren die Schweinebäuche noch roh. Ich musste sie aufschneiden und grillieren. Das Sichere langweilt mich. Also einfach ausbrechen?
Ausbrechen und dann wieder zurückkommen, um im angestammten Beruf besser zu werden. Im Praktikum beim Tischler habe ich mir eine Holzschatulle geschreinert. Die hat doch für mich einen ganz anderen Wert, als wenn ich mir für teures Geld etwas Fertiges gekauft hätte. Es geht hier um den Respekt vor dem Handwerk.
«Ausbrechen und dann wieder zurückkommen, um besser zu werden»
Viele in der Schweiz sind mutig, erfüllen sich ihren Traum und eröffnen ein Restaurant.
Halt! Ein gesundes Mass an Naivität und Mut sind nützlich. Aber die Naivi­tät darf nicht in Blödheit ausarten. Und um zurück auf die Frage zu kommen: Es wäre schön, wenn der ganze Misthaufen an Restaurants ausgemistet würde – scheisse, jetzt hab’ ich’s wieder gesagt.

Ein Lieblingsrestaurant

GJ09 Alacarte Steirereck b

«Es gibt so viele gute Restaurants. Im Bereich des Fine Dining ­liebe ich das Wiener Steirereck. Im Südtirol bietet der Patscheiderhof perfekte klassische Küche. Und als Konzept finde ich das Zuma spannend: Es bewirtet 300 Gäste auf hohem Niveau mit einer sensa­tionellen Intelligenz, weil der Gast bereits beim Apéro 30 Euro liegen lässt.»

Was sind in Ihren Augen die Erfolgs­faktoren für ein gelungenes Restaurant?
Herzlichkeit steht sicher ganz oben. Und authentisch muss es sein. Wir Gastgeber müssen an das glauben, was wir machen. Das bedingt, dass wir vor dem Start mit wichtigen Partnern sprechen; dass wir uns nicht von kleinen Windstössen ablenken lassen, und dass wir dem Konzept treu bleiben. Dabei hilft es natürlich, wenn du was kannst. Das Berücksichtigen von Trends gehört nicht dazu?
Das nervt mich – Trends nerven mich. Weil, ich frage mich, welchen Trend müssen wir als Nächstes ertragen? Ich tue mich sehr schwer mit Trends.
«Wir müssen nicht jedem Gästewunsch entsprechen»
Nennen wir es anders: Eingehen auf die Kundenwünsche.
Auch so ein Unding. Wir brauchen die Gäste, und wir müssen auf sie eingehen, aber wir müssen nicht jedem Wunsch entsprechen. Ernährungsformen wie Vegetarismus oder Veganismus müssen Sie als Koch doch berücksichtigen.
In Bozen hatte ich einen Anlass mit 160 Gästen. Da war kein Vegetarier oder Veganer dabei. Komischerweise habe ich nie Vegetarier oder Veganer bei mir. Das war ein einmaliger Anlass. Wie sähe dies bei einem Restaurant aus? Und was machen Sie mit den Allergien und Intoleranzen?
Es gibt wohl den einen oder anderen Allergiker, aber nicht so viele, wie es heute einige vorgeben. Und als Unternehmer erwarte ich, dass sich Allergiker bei der Reservation als solche zu erkennen geben. Dann kann ich allenfalls noch etwas ­machen. Und wenn wir schon dabei sind: Ich würde auch gegen diese Unsitte der No-Shows vorgehen. Ich würde, wie bei einem Konzert, vorgängig Tickets verkaufen. Oder gehe ich zu weit, wenn ich den Gast beim Wort nehme, dass er an jenem Abend bei mir essen möchte? Das klingt nach einfachen Rezepten. Warum macht es niemand?
Kein Gastgeber traut sich. Und weil wir es zulassen, haben wir dann eben die komplizierten Gäste. Die bewerten uns dann ja noch im Internet. Warum drehen wir den Spiess nicht um und bewerten künftig die Gäste, Blogger und selbst ernannten Gourmet-Tester? Man muss sich als Koch ja nicht alles gefallen lassen. Wie kann ein Gastgeber gegen diese Missstände vorgehen?
Mit Mut! Mut für neue Lösungen und Mut, Althergebrachtes in Frage zu stellen. Denn Traditionen können einem auch im Wege stehen. Ich stelle beispielsweise vieles infrage: Warum servieren wir dem Gast Brot? Ich selber liebe Brot, aber ich serviere es dem Gast nicht mehr. Meist füllt er sich beim Warten vor einem 6-Gänger mit Brot den Magen. Ich hingegen lasse das Brot weg und schicke schnell etwas zu essen. Oder das Salatbuffet wie vor 40 Jahren. «Feel at home», sage ich und stelle die Salatschüssel auf den Tisch. Klingt überraschend und weit weg von der hohen Kunst des Fine Dining.
Ja eben. Dieses Gestellte und Steife in einem 3-Sterne-Restaurant, das will doch niemand mehr. Diese Zeiten sind vorbei. Beispielsweise die «Bullerei» von Tim Mälzer in Hamburg zeigt, dass gutes Essen auch locker sein kann. Das ist die Zukunft, und da gehen auch die Jugendlichen hin.
«Dieses Gestellte und Steife, das will doch niemand mehr»
Ähnliche Konzepte waren nominiert im Rahmen des «Best of Swiss Gastro».
Das ist eine tolle Sache. Genau solche Publikumsvotings gehören in die heutige Zeit. Es wäre gut, wenn es mehr davon gäbe, auch im Ausland. Gerne würde ich jeden ausgezeichneten Betrieb besuchen – so viel Innovation würde man in der Schweiz gar nicht erwarten. Im Rahmen des «Best of Swiss Gastro» letzten November verlieh Roland Trettl den Master-Award. Dessen Organisatoren ermöglichten dieses Interview, dies auch als Startschuss für die neue «Chef-Sache», die sie unter den Branchengrössen diesen Frühling lancieren.