Gastronomie

Lassen sich Magdalena und Anna wach küssen?

Benny Epstein – 20. Februar 2020
Zwei Teams wagen den Gang in die Selbstständigkeit. Eines in Rickenbach im Kanton Schwyz, eines in einem Zürcher Wohnquartier. Hilfe kriegen sie dabei von zwei grossen Namen aus der Schweizer Gastroszene.

Dominik Hartmann (27) ruckelt leicht am Kinderwagen. Seine Frau Adriana (28) und er sind frischgebackene Eltern von Ameo. «Adriana wird wohl ab und zu mit dem Baby im Tuch die Tische decken», erzählt Dominik Hartmann. Ihr zweites Baby steht kurz vor der Geburt: Mitte März kommt Magdalena zur Welt – so heisst ihr erstes eigenes Restaurant. Dritter Partner in diesem Bunde ist Marco Appert (27). Damit erfüllen Dominik Hartmann und Marco Appert einen Bubentraum. Schon als Primarschüler heckten sie diesen Plan aus. Später absolvierten die beiden zusammen die Koch- und auch die Konditoreischule. Während Marco Appert die Schweizerische Hotelfachschule Luzern besuchte, vertiefte Dominik Hartmann seine Küchenkenntnisse. Nach einer Wintersaison in der Patisserie des Aroser Fünfsternehotels Tschuggen erhielt er bei Andreas Caminada die Stelle als Commis Patissier im Schloss Schauenstein, ein Jahr später wurde er zum Chef-Patissier befördert. Nach einem weiteren Jahr im Dreisternebetrieb wechselte Dominik Hartmann nach Zürich, wo er in Fabian Fuchs’ Equitable (1 Stern, 17 Punkte) als Sous-chef arbeitete. Alles, um Erfahrungen für die Selbstständigkeit zu sammeln. Mit Unterstützung von Andreas Caminada
Und Adriana Hartmann? Nach dem abgeschlossenen Kunststudium wollte sie die Gastronomie-Welt beschnuppern, um einzuschätzen, ob auch sie dereinst Teil des Bubentraums werden könnte. Sie erhielt eine Praktikumsstelle in Caminadas Service-Team, später eine Festanstellung. «Und nun gehen wir das Projekt Magdalena zu dritt an», erklärt Dominik Hartmann. Der Kern des Hauses in Rickenbach SZ wurde um 1326 erbaut. Bis zu 70 Prozent des ursprünglichen Blockbaus sind erhalten geblieben. Als die Besitzerin starb, meldeten sich die drei Junggastronomen beim Erben. Ein Jahr später bat dieser sie um einen Businessplan. «Bei diesem halfen uns Andreas und Sarah Caminada», erzählt Dominik Hartmann. «Sie gaben uns eine Vorlage und diskutierten mit uns unsere Ideen.» Das Konzept: Mittags sollen einfache und doch nicht alltägliche Menüs für 20 bis 30 Franken die Arbeiter aus der Region anlocken. Dominik Hartmann: «Drei Vorspeisen, drei Hauptgänge, Dessert. Dazu noch ein paar Klassiker, falls jemand nur einen Hauptgang essen möchte.» Der Küchenchef ist gespannt, ob die Idee ankommt. «30 Franken sind hier in der Gegend viel Geld. Die meisten erwarten mittags ein Essen für 20 Franken oder weniger.» Abends will Dominik Hartmann mit einem Überraschungsmenü begeistern. Wahlweise gibt es drei (70 Franken), fünf (90 Franken) oder sieben Gänge (110 Franken). «Die Preise sind sehr moderat», weiss er. «Wir versuchen so, die Leute aus der Region anzulocken.» Zwar ist er Caminada für die Unterstützung sehr dankbar, doch diese habe auch einen Haken. «Viele Leute glauben, dass sie sich einen Abend bei uns eh nicht leisten können, wenn sie den Namen hören.» Der Hauptgang ist vegetarisch
Die Küche wird von Dominik Hartmanns Zeit im Schloss Schauenstein und im Equitable geprägt sein. «Ich finde es mega cool, wie die Speisen im Equitable angerichtet sind. Sehr simpel, geschmacklich perfekt, nordisch, reduziert. Aber Andreas’ Stil finde ich ebenso schön: kleine, spannende Komponenten, Gels. Das kennen hier viele Leute noch nicht. Die Abwechslung wird es bei uns ausmachen.» Als Beispiel nennt er einen Hauptgang, den es im Magdalena im stilvollen Serax-Geschirr geben wird: Randen mit Zwiebel. «Die Randen werden erst geschmort, dehydriert und einen Tag lang angetrocknet. Dann brate ich sie und arrosiere sie schön. Das Anrichten des Gerichts dürfte an meine Zeit im Schloss Schauenstein erinnern: Gels, Pickles, ein Püree. Es ist quasi ein Randensteak, man hat fast das Gefühl, man esse Fleisch.» Der Hauptgang wird stets vegetarisch sein. Im Siebengänger gibt es allerdings auch ein Fisch- und ein Fleischgericht. «Ein reines Vegi-Restaurant würde in Rickenbach nicht laufen.» Die Produkte will Dominik Hartmann mehrheitlich aus der nächsten Umgebung beziehen. Milch, Käse, Honig und Co. dürften direkt aus Rickenbach stammen, fürs Obst und das Gemüse sind Gespräche mit einem lokalen Biobauern im Gange. Auch beim Wein berücksichtigt das Magdalena-Trio eine lokale Händlerin: Neben Cultivino und Smith & Smith beliefert auch Irene Huwyler aus Rickenbach das neue Restaurant. Dominik Hartmann: «Die Weine aus der Bündner Herrschaft, die Adriana so liebt, beziehen wir direkt bei den Winzern.» Auf einen ausgebildeten Sommelier wird aus Kostengründen verzichtet. Marco Appert und Adriana Hartmann, die gemeinsam mit einer Hotelfachschul-Praktikantin das Service-Team bilden, kümmern sich um den Wein. Drei im Service, drei in der Küche: Sous-chef Noah Bachofen und Mike Suppiger als Gardemanger und Patissier unterstützen Dominik Hartmann. «Noah lernte ich via Instagram kennen, er machte als Wettbewerbskoch auf sich aufmerksam. Mike arbeitete zuletzt im Zweisternebetrieb Focus im Park Hotel Vitznau unter Patrick Mahler. Einen Spüler habe ich nicht. Das Geld sparen wir uns.» Jeder Franken wird zweimal umgedreht
140'000 Franken investierten Adriana und Dominik Hartmann und Marco Appert im Magdalena. Beim Geld ausgeben drehen sie jeden Franken zweimal um. «Bei Dingen, die der Gast sieht, machen wir keine Abstriche. Geschirr, Gläser, Lebensmittel, da gibt es kein Pardon. Aber unser Regal in der Küche muss nicht das beste sein.» Für den äusserst gelungenen Neubau des lichtdurchfluteten Gebäudes und die Möblierung musste das Trio kein Geld in die Hand nehmen. Um Baby Ameo werden sich in nächster Zeit vermehrt dessen Grosseltern kümmern. Privat wollen sich die beiden bewusst Zeiten schaffen, zu denen das Berufliche kein Thema ist. Dominik Hartmann: «Unsere Familie ist mir wichtiger als das Restaurant. Vor dieser Überschneidung habe ich Respekt.» Der Vorschlag von Mentor Antonio Colaianni
Die gleichen Bedenken hat auch Stefano Corrado (31). «Wir müssen es von Anfang an hinkriegen, in der Freizeit das Restaurant auf der Seite zu lassen», sagt der Koch. Auch er steht gemeinsam mit seiner gleichaltrigen Freundin Maria Ventola vor dem grossen Schritt in die Selbstständigkeit. Bis zum letzten Wochenende war er vier Jahre Küchenchef im Aurora, einem mediterran geprägten Restaurant an der Zürcher Bahnhofstrasse. «Ich war schon länger am Überlegen, wie der nächste Schritte aussehen sollte.» Dann fragte ihn Antonio Colaianni, unter dem er im Mesa und im Clouds gearbeitet hatte, an, ob er das Restaurant Anna übernehmen möchte. Anna, ein Lokal in Zürich-Unterstrass, wurde erst im vergangenen Jahr eröffnet. Doch die Baugenossenschaft Frohheim, der das Gebäude gehört, musste bald einsehen, dass die ersten Restaurantbetreiber hier auf keinen grünen Zweig kommen. Als Stammkunde im mittlerweile geschlossenen Sternerestaurant Gustav bat ein Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft Gustav-Chef Colaianni um Rat. Das Risiko, bequem zu werden
Wie viel Geld Küchenchef Stefano Corrado und Gastgeberin Maria Ventola in ihr neues Baby steckten, verraten die beiden nicht. Lieber spricht Corrado über die Gründe für die Annahme dieser Herausforderung. «Die Selbstständigkeit ist einerseits ein Traum von vielen, anderseits ist sie mit einem hohen Risiko verbunden. Aber die Gefahr als Angestellter ist gross, dass man bequem wird und die Ambitionen verliert. Deshalb wagen wir den Schritt.» Corrado vergisst aber nicht, zu betonen, dass die Ausgangslage ein Glücksfall ist: «Wir übernehmen ein schönes, fast neues Restaurant mit einwandfreiem Mobiliar. Wir mussten nur ein paar Interieur-Sachen und neue Küchengeräte kaufen: einen Salamander, eine Grillplatte, einen Holdomat und einen Pacojet. Dazu leisteten wir uns neue, hübsche Teller. Die sind für mich etwas vom Wichtigsten im Restaurant.» Hinzu komme das Glück, Colaianni als Unterstützung zu wissen. «Er hilft uns beim Weinangebot, wird mit mir am einen oder anderen Anlass kochen und bringt uns so gewiss Gäste ins Restaurant.» Wie Colaianni ist auch Stefano Corrado ein grosser Fan der mediterranen Küche. Ein Fine-Dining-Restaurant soll Anna allerdings nicht werden. «Meine Küche ist puristischer und weniger verspielt als jene von Antonio. Frische, hausgemachte Pasta, feines Fleisch, saisongerechte Kreationen – unsere Gäste sollen bei lockerer Atmosphäre sehr gut essen.» Für diese Atmosphäre sorgen auch der moderne Sichtbeton und die schlichte, aber liebevolle Einrichtung. Dem kleinen, aber feinen Mittagsangebot steht abends ein Fünfgänger gegenüber, der knapp unter 100 Franken kosten soll. «Die Produkte werden hochwertig sein und mehrheitlich aus der Schweiz stammen. Ohne Luxusprodukte und unter Beachtung einer vernünftigen Portionengrösse schaffen wir es mit diesen fairen Preisen.» Ein paar À-la-carte-Gerichte ergänzen das Angebot. Das Gemüse bezieht Stefano Corrado bei Marinello, den Fisch bei Bianchi, den Kaffee bei Henauer, für italienische Spezialitäten verlässt er sich auf Trüffelhändler Tin Jurcic. Für den passenden Fleischlieferanten hat er sich noch nicht entschieden. Bei den Softgetränken verzichtet Corrado auf die bekannten Grossen und setzt auf kleine, lokale Produzenten. Am Samstag bittet Anna auch zum Brunch mit unkom­plizierten Gerichten wie Focaccia mit Mortadella und Spiegelei oder einem Egg Benedict. «Und wer an der Bar einfach nur ein Bier trinken will, kriegt das auch und kann dazu noch ein Plättli bestellen, wenn er möchte. Vielleicht gefällt ihm das Restaurant ja so sehr, dass er beim nächsten Mal zum Dinner kommt. Wir sind um jeden Gast froh.» Der Koch weiss: Leute aus der Umgebung in ein Restaurant in der Nähe zu locken, ist keine einfache Aufgabe. Zudem steht das Restaurant Anna nicht mitten im Stadtzentrum, sondern eben im Wohnquartier Unterstrass. Zur Vorbereitung in der Küche, dann im Service
Das Anna-Team ist noch kleiner als jenes im Magdalena: Stefano Corrado kocht mit seinem Cousin Marco Ranieri, der zuletzt im Gustav arbeitete. Nico Bühler, sein Sous-chef aus der Aurora-Zeit, hilft ihm bei der Vorbereitung der Gerichte. Während dem Service wird dieser Maria Ventola unterstützen. Beim Wein – es soll für jedes Budget etwas dabei sein – setzt man auf die Zusammenarbeit mit den Händlern Brancaia und Baur au Lac Vins. Stefano Corrado: «Wir werden eine grössere Auswahl an Schweizer Weinen auf der Karte haben. Dann folgen Italien und ein paar gute Franzosen und Spanier. Beim Weisswein dürfen auch deutsche und österreichische Tropfen nicht fehlen.» Maria Ventola bietet den Gästen eine Weinbegleitung zum Menü an. Die mit modernster Technik ausgestatteten Seminar- und Banketträumlichkeiten bedeuten eine zusätzliche Herausforderung. Hier dürften punktuell zusätzliche Servicekräfte als Verstärkung hinzugezogen werden, falls dieser Geschäftszweig zum Laufen gebracht werden kann. Anna wird am 24. März eröffnet. Schlaflose Nächte vor der Eröffnung
Magdalena und Anna – lassen sich die beiden Restaurants von den ambitionierten Junggastronomen wach küssen? Bis zur Eröffnung stehen wohl noch einige schlaflose Nächte bevor. Wie reagieren die potenziellen Gäste auf das Angebot? Nehmen Zürcher die 45-minütige Auto- oder die anderthalbstündige Zugfahrt nach Rickenbach auf sich, um sich einen Abend im Magdalena zu gönnen? Wie fest wirkt sich der Vorgänger-Flop im Anna auf die neuen Betreiber aus? Wären GaultMillau-Punkte oder gar ein Michelin-Stern eher Fluch oder Segen? Wie gut lässt sich Berufliches und Privates noch trennen? Klar ist: In beiden Fällen gehen Teams mit fundiertem Fachwissen ans Werk. Im Hintergrund stehen ihnen grosse Namen der Schweizer Restaurant-Szene mit Rat zur Seite. Nun gilt es, sich zu beweisen. Mit Mut und Demut, mit Tatendrang und Respekt. Auch Andreas Caminada und Antonio Colaianni haben mal klein angefangen. ----------------------------------------- ★ Restaurant Magdalena
Die drei Betreiber des Restaurants Magdalena in Rickenbach SZ, Dominik und Adriana Hartmann und Marco Appert, sind Einheimische. Maximal 50 Gäste haben im Restaurant Platz, bei einem Bankett bis zu 70. Hinzu kommen die Weinstube (20 Plätze) und die Terrasse (30 Plätze). In der Weinstube und bei schönem Wetter auf der Terrasse gibt es am Wochenende tagsüber Kaffee und Kuchen oder unkomplizierte Gerichte wie Hotdog und Pommes frites. Um auch Gastronomen als Gäste begrüssen zu können, ist Magdalena von Donnerstag bis Montag geöffnet. ★ Restaurant Anna
Der im Bündnerland aufgewachsene Italiener Stefano Corrado sagt, er könne sich privat wie auch beruflich keine andere Partnerin als die Deutsch-Italienerin Maria Ventola vorstellen. Im Restaurant Anna in Zürich-Unterstrass kochen und servieren sie für maximal 40 Gäs­- te, hinzu kommt der ­Ban­kett- und Seminarbereich. Er ist für Fimen­events, ­Familienfeiern und Hochzeiten geeignet. Das Restaurant ist von Dienstag bis Freitag mittags sowie von Dienstag bis Samstag abends geöffnet. Am Samstag gibt es ab 10 Uhr einen Brunch. In zwei Jahren soll der Betrieb selbsttragend sein.