Gastro Journal
Gastronomie

Küche aus dem Zirkuswagen

Urs Oskar Keller – 23. Mai 2019
Er ist der unerschrockene Dompteur knurrender Mägen: Nour Eddine Oulouda, Küchenchef beim Circus Knie. Ein Besuch in der fahrenden Zirkusküche, wo er für 200 Mitarbeitende kocht.

Dampfschwaden strömen aus der Tür des weissblau bemalten Wagens. Küchen- chef Nour Eddine Oulouda grüsst auf der Wagentreppe. Der 59-Jährige zeigt ins Innere der rollenden, 30 m² kleinen «Feldküche». Improvisation ist für ihn das tägliche Brot: «Wenn mal der Wasseranschluss oder die Zuleitung in die Kanalisation Probleme macht, kann das mühsam sein», sagt er. Die gesamte Küchenanlage wie auch das Kochteam reisen mit zwei SBB-Extrazügen während neun Monaten fast 2600 Kilometer quer durch die Schweiz. Während Arbeiter frühmorgens das Zelt am neuen Spielort aufbauen und den Zoo bereitstellen, beginnt der Arbeitstag von Oulouda mit den Vorbereitungen fürs Frühstück: Wasser kochen, Croissants aufbacken, 30 Kilo Brot bereitstellen. Täglich arbeitet er bis 19 Uhr abends im Küchenwagen. Geht die 100. Knie- Jubiläums-Tournee nach 243 Tagen im November 2019 in Lugano zu Ende, wird er mit seinem fünfköpfigen Team 43 000 Hauptmahlzeiten, 22 000 Morgenessen und 5000 Zwischenverpflegungen zubereitet haben. Wie organisiert der Koch unterwegs in der Schweiz die Produktbeschaffung? «Den Menüplan erstelle ich wöchentlich und die Bestellungen erfolgen über unser Büro. Für kleinere Einkäufe gehe ich auch mal in den örtlichen Supermarktladen », sagt Oulouda. Doch die meisten der benötigten Lebensmittel werden fast täglich bei verschiedenen Grosshändlern der Nahrungsmittelbranche bestellt und geliefert. Inzwischen sind der zwölf Meter lange Küchenwagen mit Abwascheinheit und Wasseraufbereitung sowie auch die zwei Mannschaftsesswagen angeschlossen und betriebsbereit. Der Küchenchef würzt die Gurkensuppe, danach stellt er aus Mehl und Eiern eine Panade zum Frittieren der Tilapia-Buntbarsche her. Ein polnischer Koch bereitet den Salat und die Spareribs zu. Genügend Kalorien und Vielfalt sind in Knies Kantine gefragt. Es sei nicht einfach, den Geschmack aller Zirkusangestellten und Artisten zu treffen, sagt Oulouda. Denn diese kommen aus acht unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Um seinen Gästen gerecht zu werden, serviert er meistens zwei Sorten Fleisch und mehrere Beilagen: «Es gibt täglich zwei Menüs. Als Beilagen gibts heute Kartoffeln, Reis sowie Ratatouille. » Menüwünsche würden möglichst erfüllt. Oulouda: «Die Polen möchten am liebsten schon zum Frühstück Kartoffeln und Koteletts verdrücken, die Marokkaner essen dafür viel Lamm und Teigwaren.» Der absolute Renner sind aber Koteletts mit Pommes frites. «Ich arbeite seit 33 Jahren als Zirkuskoch, und die Zubereitung der verschiedenen Gerichte für unsere internationale Mannschaft ist für mich nicht mehr schwierig », sagt Nour Eddine Oulouda. Muslime essen zum Beispiel nur Gerichte, die «halal», also «rein» im muslimischen Sinne sind und verzichten deshalb unter anderem auf Schweinefleisch. Oulouda: «Ich habe einen Händler im zürcherischen Egg, der mir Halal-Fleisch aus Holland und Belgien liefert.» Während des islamischen Fastenmonats Ramadan (ab 6. Mai) sollen gläubige Moslems zwischen Sonnenaufgang und -untergang auf Essen und Trinken verzichten. Deshalb kochen beispielsweise die Marokkaner dann abends selbst – der Küchenchef auch. Nour Eddine Oulouda ist in der marokkanischen Hauptstadt Rabat geboren und aufgewachsen. Dort liess er sich später zum Koch ausbilden. In seiner Jugend ging er regelmässig an den Atlantik fischen. «Wir fingen vor allem Sardinen. Meistens grillierten wir sie am offenen Feuer am Strand.» Zu Hause half er oft seiner Mutter beim Kochen. «Schon damals war mir klar: Ich möchte Koch werden! Und Fisch koche ich bis heute am liebsten.» 1986 steckte er sich bei Knie mit dem Zirkusvirus an. Täglich Zirkusluft zu schnuppern, immer auf Achse zu sein und jedes Jahr neue Artisten kennenzulernen, dies seien seine Privilegien. «Und hier in der Kantine bin ich mein eigener Herr und Meister», sagt er. Arbeitsbedingungen und Verdienst für die Saisonstelle seien gut, deshalb sei er auch beim Schweizer National-Circus tätig. Bis zu 48 Stunden arbeitet er pro Woche. An den freien Tagen besucht Oulouda seine Familie in Zürich, spielt Fussball und erholt sich in den Grünanlagen der Stadt. Zu Hause schwingt seine Frau die Kochlöffel, während er sich den zehnjährigen Zwillingen widmet. Über 200 Essen bereitet das Küchenteam – drei Marokkaner, zwei Polen – pro Tag zu. Für die Zeltarbeiter und Tierbetreuer ist Kost und Logis im Lohn inbegriffen. Oulouda: «Den Mitarbeitern werden für die Verpflegung rund 22 Franken pro Tag verrechnet, damit komme ich gut klar.» Gekocht wird für die Mitarbeitenden, die keine eigene Infrastruktur im Wohnwagen haben. Alle anderen verpflegen sich in der Regel autonom und besorgen sich die Lebensmittel selbst. Eine Ausnahme bilden asiatische Gastartisten. Knie stellt ihnen, da sie ganz andere Essgewohnheiten haben, eine eigene Küche ohne Koch zur Verfügung. Die meisten der 37 Artistinnen und Artisten und Angestellten aus der Schweiz kochen selber. ________________________________________________________________________ ★ Tipps: Multikulturell kochen
Wie kann man internationale Gäste und Mitarbeitende kulinarisch zufriedenstellen? Kochen zu Ehren von Buddha, Allah, Jahwe, Krishna und Christus ist nicht einfach. In islamischen Ländern und in Israel spielen beispielsweise Humus und Falafel eine wichtige Rolle. Bei Buddhisten darf Reis nicht fehlen. Jede Religion hat ihre Spezialitäten.

Interkulturelle Kompetenz: «Interkulturalität im Betrieb und im Leben sollte man als Stärke und als Chance für Kreativität und Wertschöpfung verstehen», sagt Zirkuskoch Oulouda. Er rät zum Respekt und zur Wertschätzung anderer Kulturen, Weltanschauungen und Religionen. Andersartigkeit sollte man tolerieren.

Besondere Beachtung: Speisevorschriften je nach Kultur, Fastenzeiten (Ramadan) und mehr berücksichtigen.

Einkauf und Hygiene: Genaue Planung der Speisen und des Einkaufs der Lebensmittel, damit für verschiedene Religionsangehörige keine Probleme entstehen.

Anforderungen ans Küchenteam: Das Personal sollte sehr flexibel sein. Beispielsweise Beilagen wechseln, andere Saucen servieren, glutenfreie Lebensmittel verwenden und Vegetarisches anbieten. Wünsche der Gäste im Menüplan integrieren.