Gastronomie

«Jeder Tag ist der Beste, wir leben das Hörnli»

Corinne Nusskern – 07. Mai 2020
Bobby und Bea Wespi haben in 40 Jahren als Gastgeber des ­Restaurants Hörnli in Illnau ZH viel erlebt und sich keiner Krise gebeugt – denn ihre Freude ist gleichzeitig Berufung.

40 Jahre und dann sowas: Am 1. Mai hätte die grosse Jubiläumsfeier stattfinden sollen, doch das Coronavirus hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bea (68) und Bobby (69) Wespi wirten seit 1980 in fünfter Generation im Restaurant Hörnli, einem denkmalgeschützten Haus gegenüber der Kirche in Illnau ZH. Es ist eine Beiz für alle, und sie kennen ihre Gäste. Es fällt eher auf, wenn jemand eintritt, den sie nicht kennen. «Ich bin in Effretikon aufgewachsen und wohne seit 1966 in Illnau. Ich kenne viele Leute. Aber die Gäste kommen von überall her», sagt Bobby Wespi, der viele Jahre als Sektionskassier von GastroSuisse amtete. Gastfreundschaft ist das A und O für die Wespis. Sie nehmen sich Zeit für ihre Gäste, sie hören viel, und sie hören zu. «Ein Restaurant hat einen gros­sen sozialen Auftrag innerhalb einer Gemeinde», sagt Wespi. «Bei uns sind alle Tische Stammtische», ergänzt seine Frau. Aber im Hörnli wird auch gegessen. Der Klassiker, quasi ihr Signature Dish, ist Hörnli, Ghackets und Öpfelmues, das haben die Wespis 1980 eingeführt. Wespi kocht gut bürgerlich vom Siedfleischsalat bis zum Züri-Geschnetzelten, passt die Karte saisonal an, Spargelzeit, Wild, Sommergrilladen. «Nicht Tausende von Sachen, lieber klein und fein. Dadurch kann ich frisch kochen», erklärt er. Er freut sich bereits auf die Grillsaison. «Mit echtem buechigem Holz seit 40 Jahren, kein Gas, keine Holzkohle», sagt Bobby Wespi schmunzelnd. Das Hörnli gibt es schon ewig
Das Hörnli hiess schon immer Hörnli. 1832 erhielt es das Weinschenkpatent, 1881 erwarb Bobby Wespis Ur-Ur-Grossvater mütterlicherseits das Gasthaus. «Mei­ne Mutter und ihr Bruder, der das Hörnli später übernahm, wuchsen hier auf», erklärt Bobby Wespi. Ihm liegt das Kochen in den Genen. Nicht von seiner Mutter. «Sie war keine gute Köchin, aber meine Grossmut­ter», sagt er. «Kaum kam ich von der Schu­le, guckte ich in die Töpfe und putz­te den Rand sauber, wenn etwas am Einkochen war.» Die Hörnli-Übernahme schien eine Frage der Zeit. 1979 war er mit seiner Frau in Südamerika auf Hochzeitsreise, 1980 übernahmen sie das Hörnli. Kennengelernt haben sie sich auf dem Luxusschiff MS Vistafjord der Nor­wegian American Line. Er war Steward, sie Zahlmeisterin, und zusammen befuhren sie das Nordkap, das Mittel- und das Schwarze Meer sowie die Karibik. Bobby Wespi fuhr 14 Monate zur See, seine Frau zwei Jahre. «Eines Tages sagte ich zu ihr: <ent­->», erzählt der Patron. Kurz danach hat er sie in Hamburg abgeholt. Bea Wespi lacht. </ent­-> Das Paar hat eine klassische Auf­gabenteilung: Bea ist an der Front, Bob­by in der Küche und im Büro. Das gemütliche Beizli mit den 30 Plätzen dient auch als Fumoir. Das Haus ist gross. Hinten liegt das Stübli mit 20 Plätzen und der Garten (30), oben der Saal (70) und nebenan der umgebaute Chuestall mit 60 Plätzen. Er ist beliebt für Apéros, Events und Fussball: Während der WM oder EM laufen hier die Partien über eine Grossleinwand. Prominenz und der Lauf der Zeit
Viele Jahre kehrte im Hörnli die Jassprominenz von Jürg Randegger über Sepp Trütsch bis zu Monika Fasnacht ein. «Mein Freund André-Pierre Müller, welcher SRF-Redaktor beim Samschtig- und Mittwochjass und Wetten, dass...? war, brachte sie mit», sagt Bobby Wespi. Heute kommen sie nicht mehr. Aber das Wirtshausschild «Zum scharfe Egge» aus der Sendung hängt seither an der Aussenfassade des Hörnlis, ein Geschenk von Jürg Randegger. «Das war das einzig echte in der Sendung, alles andere war Kulisse», sagt Wespi lachend. Das Hörnli hat einen guten Namen für Bankette, hier werden Taufen, Hochzeiten und Firmenessen gefeiert und Leidmahle abgehalten. Das Hörnli spiegelt das Leben. Aber, es ist weniger ge­wor­den. «In 40 Jahren starben auch viele weg», sagt Bea Wespi. Vieles hat sich verändert, vor allem die Jüngeren verpflegen sich anders. Mit den Tankstellenshops begann es. Auch Vertreter besuchten kaum mehr Restaurants, sondern konsumieren ein Sandwich beim Fahren. Zudem gäbe es überall Fertigmenüs zu kaufen. Bobby Wespi sagt es klar: «Verpflegen und essen, das sind doch zwei komplett verschiedene Angelegenheiten!» Die einschneidendste Veränderung in 40 Jahren war aber die Promillesenkung von 0,8 auf 0,5. «Da fielen subito 200 bis 300 Franken pro Tag weg», erklärt Bobby Wespi. Und dann kam Corona
Vielleicht hat Corona ja auch etwas Positives, dass die Leute wieder verstehen, was eine Beiz wie das Hörnli bedeutet – nicht nur als Dienstleister, son­dern als sozialer Treffpunkt. Bobby nickt. «Die Leute brennen doch darauf, endlich wieder in die Beiz zu kommen. Wo sollen sie denn sonst ihre Kollegen treffen und sich im echten Leben austauschen?» Wirtschaftlich ist es für die Wespis hart. «Auf einen Chlapf fehlen die Ein­nah­men», sagt der Hörnli-Wirt. Ein Vorteil ist, dass ihnen das Haus gehört. Für die drei Mitarbeiter haben sie Kurzarbeit angemeldet. Den Lockerungen des Lockdowns in der Gastronomie ab 11. Mai sehen sie mit Skepsis entgegen. «Wäh­rend der Coronazeit leben wir in der Schweiz noch immer im Paradies, mit genug zu essen und zu trinken. Wir können an der Sonne sitzen oder spazieren gehen», führt Wespi aus. «Was fehlte, war sich umarmen zu können, Wärme geben. Das unterschätzte man im Lockdown.» Die Wespis haut so schnell nichts um. Sie räumen auf, putzen, erledigen Büroarbeiten oder jäten. Beide sind im Pensionsalter, wie es weitergeht, steht in den Sternen. Von den zwei Söhnen arbeitet keiner in der Branche, die vier Enkel sind noch zu klein. «Vielleicht schliessen wir in Zukunft einen Tag mehr oder öffnen nur abends. Wir werden sehen», sagen sie. Nun ist das grosse Jubiläumsfest ins Wasser gefallen. Es wird nachgeholt. Was ist das Beste, das sie in 40 Jahren Wirten erlebt haben? Sie schauen sich an. «Jeder Tag ist der Beste, wir leben das Hörnli einfach.» Bobby Wespi lächelt und fügt an: «Wir haben so viel erlebt, aber Enkel sind das Dessert des Lebens!» _________________________________________________ TIPPS, Um Über Jahrzehnte Erfolgreich zu wirten:
• Gastfreundschaft ist das Wichtigste. Da muss man nicht mal über das Essen diskutieren, ob es gut ist oder nicht. Gastfreundlichkeit ist ein Un- terscheidungsmerkmal, durch das man sich von anderen absetzen kann.
• Durchhaltewillen, nicht zu früh auf­ge- ben. Den muss man stets im Kopf haben. Zu wissen, dass man ar­beitet, wenn die anderen frei haben.
• Freude an Menschen und Begeisterung für die Arbeit haben. Das kann man nicht lernen, das lebt man.
• Jedem Gast das Gefühl geben, dass er Gast und herzlich willkommen ist.
_________________________________________________ ★ Bobby und Bea Wespi
Bobby Wespi (69), ein gebürtiger Effre- tiker, wurde das Kochen in die Wie­ge gelegt. Er ist in fünfter Generation im Hörnli. Nach der Kochlehre machte er das Handelsdiplom, besuchte die Hotelfachschule Lausanne, arbeitete in den Hotels Palace in Gstaad BE und im Carlton in St. Moritz GR. Er ist in der G-RPK von GastroZürich und Delegierter bei GastroSuisse und war Sektionskassier von Gastro Zürcher Oberland. Bea Wespi (68) stammt aus Romanshorn, be­suchte die Handels- und Wirte­schule, arbeitete als Aupair in Paris und Boston. Seit 1980 führt das Paar das Restaurant Hörnli in Illnau ZH. Sie haben zwei erwachsene Söhne und vier Enkel.