«Food Save? Das sollte jeder Koch anstreben!»

Corinne Nusskern – 30. Juni 2022
Vom Feld direkt in den Müll? Nicht beim Nomad Design & Lifestyle Hotel in Basel. Dank Engagement, Eigenverantwortung und dem Projekt «Food Save Basel-Stadt» hat der Betrieb seine Lebensmittelverschwendung drastisch reduziert. Und eine Stange Geld gespart!

Kürzlich hatte Lukas Kaiser (32) diese wunderbaren Bundkarotten auf dem Schneidebrett und verarbeitete sie zu Babykarotten für die Vorspeise. Und das Grün? «Aus dem Karottengrün habe ich ein grünes und geschmacksintensives Öl hergestellt», sagt der Co-Küchenchef des Nomad Design & Lifestyle Hotel in Basel, ein Betrieb der Krafft-Gruppe. «Früher wäre es im Kübel gelandet.» Wo andere Abfall sehen, sieht Kaiser Potenzial. Die Teilnahme an der Food Save Basel-Stadt hat seine Sinne nochmals geschärft. Auch sein Co-Küchenchef-Kollege Bledar Kocibelli und das achtköpfige Küchenteam waren mit Eifer dabei.

«Food Save Basel-Stadt» ist ein Projekt des Vereins United Against Waste (UAW), das in Zusammenarbeit mit dem Kanton Basel-Stadt durchgeführt wird. 28 Gastrounternehmen von Gemeinschaftsverpflegung über Care bis zur Individualgastronomie nehmen am Grossprojekt zur wirkungsvollen Reduktion von Lebensmittelabfällen teil.

Die Umsetzung verantwortet Foodways, die Geschäftsstel­­le von United Against Waste. Alex Pabst (37), Berater im Food­service und operativer Projektleiter bei Foodways, erklärt: «Den Startschuss bildet eine Sensibilisierungspräsentation. Dann durchlaufen die Betriebe einen Food-Save-Management-Prozess, ein effektiver Ansatz zur langfristigen Abfallreduktion.» Mittels der von Foodways entwickelten Waste-Tracker-App messen die Betriebe während 28 Tagen ihre Lebensmittelabfälle. «Ich besuche die Betriebe, gehe auf Fragen ein, berate und rege zu Prozessen an.» So auch im Nomad, einem linearen Betonbau, im Innern dominieren die Materialien Stein, Beton, Eiche.

Nach einer Woche lief es fast von selbst

Die erste Messung, der Ist-Zustand des Food Waste, fand 2020 statt. Danach wurden die Massnahmen implementiert. Aufgrund von Corona erfolgte die Erfolgsmessung dann erst 2021. Trotz Verzögerung war es für Lukas Kaiser eine coole Sache. «Zu so etwas hat man im Alltag keinen Zugang. Es ergibt absolut Sinn, da mitzumachen.» Hoteldirektor und Mitinhaber Jonas Gass (34) ergänzt: «Er war sofort Feuer und Flamme.» Kaiser wiegelt ab. «Das sollte jeder Koch anstreben!»

Das Tracking des Food Waste ist in acht Lebensmittelkatego­rien eingeteilt: Fisch, Fleisch und Geflügel, Früchte und Gemüse (inkl. Rüstabfällen), Stärkebeilagen, Saucen und Suppen, Brot und Gebäck, Tellerrücklauf, Milchprodukte und Süssspeisen. «Wir stellten acht nach diesen Kategorien beschrifteten Abfallbehälter auf und sortierten alle Abfälle fein säuberlich», erklärt Kaiser. Sobald ein Kübel voll war, massen die Mitarbeitenden das Gewicht des Abfalls, notierten dieses, addierten abends alle Daten und gaben sie im Waste Tracker ein, plus die Anzahl Gäste. Im Durchschnitt verkaufen sie im Restaurant Eatery mit 120 Innen- und 90 Aussenplätzen je 80 Mittag- und Abendessen pro Tag plus 70 Frühstücke. «Klar, es ist ein Extraaufwand, man muss Gewohnheiten ändern und Automatismen überlisten. Zu Beginn braucht es täglich gut 30 Minuten», erzählt Kaiser. «Ab und an mussten wir auch mal etwas umsortieren.» Er lacht. «Aber nach einer Woche lief es.»

Wichtig sei, alle 55 Nomad-Mitarbeitenden mitzunehmen. «Lukas hat ihnen erklärt, wie und warum wir da mitmachen, vor allem den Teamleitern, die es dann ihren Leuten weitergaben», führt Gass aus. Man spürt, wie eng die zwei Basler zusammenarbeiten. «Auch der Service, der Runner, der zurückkommt, muss den Tellerrücklauf korrekt entsorgen.»

Foodwaste 021 DW 20220615 WEB

Der Hotelier Jonas Gass (l.) und der Co-Küchenchef Lukas Kaiser vom Nomad Design & Lifestyle Hotel in Basel haben beim Projekt «Food Save Basel-Stadt» extrem viel gelernt: «Man muss während der Arbeit einfach mitdenken und Food Save in den Alltag integrieren.» (Foto: Daniel Winkler)

Kreative Idee für verkochten Reis

Am schnellsten sparte die Nomad-Küche bei Früchten und Gemüsen ein, da die Mitarbeitenden brauchbaren Rüstabfall kon­sequent weiterverarbeiten. Sie reduzierten diesen um 29,8 Pro­zent, von 350 kg des Ist-Messwertes zu 245 kg bei der Erfolgsmessung. Eine Hammerzahl haben sie bei den Stärkebeilagen erreicht: 82,15 Prozent! Aus 73,94 kg Food Waste wurden 13,20 kg. Das meiste ist auf Über- und Fehlproduktion zurückzuführen. War der Reis verkocht, warfen sie diesen weg. «Aber, wenn man den so richtig weichkocht, zu einer Paste püriert, ausstreicht, trocknen lässt und frittiert, gibt dies luftige Chips, die wie Krabbenchips schmecken», sagt Kaiser. «Die servieren wir nun zur Ceviche oder zu unserer veganen Pokebowl.»

Auch die Zahlen zu den weiteren Einsparungen sind Augen öffnend: Tellerrücklauf 49,41 Prozent, Fleisch, Fisch und Geflügel 77,10 Prozent, Milchprodukte 6,7 Prozent, Desserts 74,34 Prozent, Saucen und Suppen 88,05 Prozent. Der erste Schritt dahin, ist laut Kaiser einfach. «Man muss bei allem weniger Quantität, dafür öfters produzieren. Das ist zwar mehr Aufwand, aber es lohnt sich!»

«Probiert es doch einfach mal aus!»

Und sie haben bei den Menüs die Mengen um einen Drittel reduziert, um die Lebensmittelverschwendung zu verringern. Das haben sie gegenüber den Gästen klar kommuniziert. Auch, falls jemand nicht satt sei, jederzeit ein Supplement bekomme. «Es kam kaum vor. Zu Beginn sagte ab und an jemand, es ist aber wenig auf dem Teller, aber sie hatten trotzdem genug», führt Kaiser aus. «Die Menschen sind optisch grössere Portionen gewohnt, die sie dann aber gar nicht aufzuessen vermögen.» Die Mitarbeitenden müssen es verstehen, um es verkaufen zu können. «Das hat Lukas ihnen super mitgegeben», sagt Gass. Nach kurzer Zeit war es bei den Gästen kein Thema mehr. Die Ausrede: ‹Das kann ich wegen der Gäste nicht machen›, zieht nicht», sagt Gass. «Probiert es doch einfach mal aus!»

Finanzielle Einsparung? Die Zahl ist unglaublich!

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der wirtschaftliche Gewinn ist überraschend hoch. Das Nomad hat innerhalb von 28 Tagen bei der Vollkostenrechnung (Warenkosten, Personalaufwand, Infrastruktur- und Entsorgungskosten) 9405 Franken eingespart!

Und die Investitionen? Ein paar Abfallbehälter, Zeit und 990 Franken, um bei Food Save Basel-Stadt mitzumachen. Die anderen zwei Drittel (rund 2000 Franken) hat der Kanton Basel-Stadt übernommen. Dazu Alexander Pabst von Foodways: «Die Zuschüsse und die Unterstützung für das «Food-Save»-Projekt sind von Kanton zu Kanton unterschiedlich, je nach Partnernetzwerk. Ohne kantonale Subventionen kostet es einen Betrieb rund 6500 Franken.» Basel-Stadt war das erste Projekt, inzwischen läuft Food Save auch im Berner Oberland und in Luzern, weitere Kantone sind interessiert.

14 Prozent des Food Waste verursacht die Gastronomie

Das Thema Lebensmittelverschwendung wird immer wichtiger. Rund ein Drittel aller essbaren Anteile von Lebensmitteln geht zwischen Acker und Teller verloren oder wird verschwendet. Gemäss einer Studie der ETH Zürich von Beretta und Hellweg (2019) sind dies in der Schweiz pro Jahr rund 2,8 Millionen Tonnen – etwa 330 Kilogramm pro Person und Jahr.

Laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) fällt am meisten entlang der gesamten Wertschöpfungskette in den Haushalten an (38 Prozent), gefolgt von der Verarbeitung (27 Prozent), Gas­tro­nomie (14 Prozent), Landwirtschaft (13 Prozent) und Gross- und Detailhandel (8 Prozent) . Die durchschnittlichen Vollkosten von Food Waste betragen für einen Gastronomiebetrieb, ge­mäss Studie der Berner Fachhochschule, etwa 24 Franken pro Kilogramm. Pabst von Foodways rückt die Zahl zurecht: «Wir gehen davon aus, dass aufgrund der Inflation und der steigenden Preise, die Vollkosten inzwischen bei 35 Franken liegen.»
Ein wichtiger Vorstoss ist die branchenübergreifende Vereinbarung zur Reduktion der Lebensmittelverluste. Diese wur­de am 12. Mai 2022 von Bundesrätin und Umweltministerin Simonetta Sommaruga und 28 Mitgliedern von United Against Waste (Führungskräfte von Unternehmen und Verbänden der Schweizer Lebensmittelwirtschaft) unterzeichnet – auch von GastroSuisse. Das Ziel ist die Halbierung der Menge an vermeidbaren Lebensmittelverlusten in der Schweiz bis 2030 gegenüber 2017. Dies im Einklang mit dem Ziel 12.3 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.

Im Nomad setzt man flächendeckend auf Nachhaltigkeit, auch im Hotelbetrieb (55 Zimmer). «Dank Lukas stieg das Bewusstsein im ganzen Team», sagt Gass. Die Wegwerfmentalität im Hotelbereich einzudämmen, sei sinnvoll. Etwa im Verbrauch von Betriebsmaterial. Lohnt es sich, den Lappen auszukochen, oder soll man ihn wegwerfen? «Bei uns im Team schwappt es sogar aufs Privatleben über», ergänzt Kaiser. «Manche kaufen weniger industriell produzierte Lebensmittel, andere ziehen plötzlich aus Tomatensamen Pflanzen, und jemand benutzt Geschirrscherben als Pflanzenkübel.»

Food Save braucht Auseinandersetzung. Die Umstellung im Be­trieb überfordert manchen Gastronomen. Es fehlt an Kennt­nis, Zeit und Manpower. Doch gerade in der Gastronomie kann bei Lebensmitteln bezüglich Nachhaltigkeit am meisten erreicht werden. Auch für das Portemonnaie, wie die Zahlen schonungslos zeigen. Laut Kaiser helfe es extrem und sei moti­vierend, an einem professionellen Projekt wie jenem der «Food Save Basel-Stadt» mitzumachen, da es klar vor Au­gen füh­re, wie hoch die Zahlen sind. «Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der wir viel zu lange weggeworfen haben, was noch verwendbar gewesen wäre.» Gass nickt. Beide Männer sind erst kürzlich Vater geworden. Das hat ihre Perspektive auf die Zukunft und die nächsten Generationen noch weiter geöffnet.

Das zweite Leben der Wassermelonenschale

Da spielen auch Ressourcen wie Energie und Wasser mit. Sind in der Küche die Fritteuse und der Kombisteamer nicht in Gebrauch, sind sie abgestellt. «Als kürzlich ein Wasserhahn tropf­te, stellte unser Spüler, einen Messbecher darunter», erzählt Gass. «Er kommt aus dem Senegal, wo Wasser sehr wertgeschätzt wird. Er rechnete dies hoch, um zu zeigen, wie viel Wasser und Geld es verbraucht. Wir bestellten sofort den Sanitär.»

Es passiert auch, dass etwas nicht funktioniert. «Für einen Asia-Event stellten wir aus schwarzem Sesam eine Glace her, die in Korea ziemlich verbreitet ist», erzählt Kaiser. Das Überschüssige bot das Restaurant dann im Alltagsgeschäft an – bis ein Gast sagte: «Das schmeckt so stark nach Eisen, es ist, als ob man einen Löffel Nägel isst.» Kaiser lacht. «Es stimmte!»

Er denkt an seine nächste Food-Rettung, die Schalen von Wassermelonen. «Da möchte ich den weissen Teil picklen oder ein Chutney herstellen.» Er sieht es bereits vor sich: Ein Wassermelonenschalen-Chutney zum Mittagsfisch. Er möchte die Messungen in Zukunft sporadisch wiederholen, um auf Kurs zu bleiben – und weiterführen. Im September steht eine Konzeptänderung an, Kaiser möchte noch stärker aus sogenannten Rüstabfällen kreative Komponenten herstellen. Für die Küche einen Mehraufwand, der sich aber – wie alle Erfolgsmessungen zeigten – in allen Bereichen auszahlt. «Leute mit Engagement sind essenziell. Ohne sie füllt sich der Kübel weiterhin», sagt Gass. «Es braucht Menschen wie Lukas, die vorausgehen.»

Tipps zur Lebensmittelrettung von Lukas Kaiser

• Den Lebensmittelabfall visualisieren, um Potenziale zu erkennen, etwa mit der Waste-Tracker-App (Foodways).

• Weniger Quantität, dafür öfters produzieren.

• Aus Gurken- und Tomatengehäuse: Gazpacho herstellen.

• Geraten geröstete Mandeln zu dunkel: im PacoJet fein pürieren und zu Nougatglace verarbeiten.

• Gurkenabschnitte picklen, pürieren und als Säurekomponente zum Tatar servieren.

• Gemüse- und Frucht-Rüstabfälle trocknen und pulverisieren: Die Pulver lassen sich vielfältig einsetzen.

• Fleisch: die Parüren für Fonds und Saucen verwenden.

• Joghurt: bei der Verarbeitung zu Labneh die aufgefangene Flüssigkeit mit Gurkenabschnitten zu einer kalten Sommersuppe vereinen.

• Wassermelonenschalen zu einem Chutney verarbeiten.