«Europa ist reif für ein neues Gastrokonzept»

Reto E. Wild – 19. Juni 2024
Der Niederösterreicher Hubert Wallner gehört mit seiner österreichisch-mediterranen Küche zu den erfolgreichsten Köchen Österreichs. Auf seiner Visite in Zürich gewährt er dem GastroJournal ein Interview ohne Scheuklappen.

Die Kärtner sollen lebenslustig wie die Italiener, traurig wie slowenische Lieder und ziemlich ordentlich wie die Österreicher sein. Im Bundesland Kärnten, der ersten internationalen «Slow Food Travel Destination», ist Hubert Wallner (48) vor über 20 Jahren «hängengeblieben», wie der Spitzenkoch sagt. Er kocht im gleichnamigen Restaurant am Wörthersee.

 

Hubert Wallner, Sie haben bei Ihrem Besuch im Restaurant Provisorium in Zürich Ihren 16-jährigen Sohn Sebastian mitgebracht. Wieso?
Hubert Wallner: Er startete vor vier Wochen mit einer Kochlehre in unserem Betrieb und hilft mir bei der Zubereitung des Abendessens.

 

Was sind die aktuellen Herausforderungen in der Gastronomie von Kärnten?
Der Mitarbeitermarkt ist schwieriger denn je. Früher hatten wir gute Mitarbeitende und nicht die Gäste, die das Verständnis für gehobenes Essen haben. Jetzt haben wir Gäste, die unsere Kulinarik immer mehr geniessen - und es scheitert an der Menge der Mitarbeitenden. Dann machen uns exorbitante Nebenkosten und die hohe Inflation zu schaffen. Sie lag in den letzten Jahren deutlich über fünf Prozent. Und schliesslich leiden wir unter unzähligen Verordnungen seitens der EU. Österreich ist mit dem Tourismus gross geworden. Da wird es oft vergessen, dass die Gastronomie ein Dienstleistungsgewerbe ist. Ich kann die Gäste nicht begeistern, wenn wir jedes Jahr teurer werden. Wir sind insgesamt um 15 Prozent günstiger geworden!

 

Wie haben Sie das angesichts des Umfelds geschafft?
Ich habe mit den wichtigsten Lieferanten verhandelt und die Preise für zwei Jahren gesichert. Damit wollte ich zeigen, dass - wenn man sich bemüht und sich was einfallen lässt - es durchaus möglich ist, zu einer Lösung zu kommen. Heute sind die Gäste bereit, für eine kulinarische Reise nach Kärnten zu kommen. Und wenn nächstes Jahr erstmals der Guide Michelin erscheint, dürfte das zusätzliche Interessenten anlocken.

 

Was machen Sie gegen den Personalmangel?
Wir bilden wieder aktiv Lehrlinge aus. Das sind drei Lehrlinge in der Küche, einen Servicelehrling sowie einen zweiten, der dann im September 2024 startet. Ich möchte zeigen, wie schön der Beruf als Koch ist. Wir bezahlen den ausgelernten Mitarbeitenden Unterkunft und das Essen. Sie erhalten gutes Trinkgeld. Wenn man alle diese Leistungen hochrechnet und mit dem Gehalt eines Versicherungsagenten vergleicht, sind unsere Löhne attraktiv. Das vergessen viele. Zudem kann man bei uns kreativ arbeiten. Die Mitarbeitenden sind weltweit gefragt. Österreich sollte das Verfahren vereinfachen, dass auch motivierte Mitarbeitende aus dem Ausland zu einer erleichterten Arbeitsbewilligung kommen. Dazu müsste man vom Kleinbeamtentum wegkommen und offener werden.

 

Weshalb haben Sie sich für eine Kochlehre entschieden, Sebastian Wallner?
Ich kenne den Beruf von klein auf und stand oft in Vaters Küche. Ich finde es spannend. Der Beruf liegt mir im Blut.

Wie viele Angestellten haben Sie, Hubert Wallner?
51. Zu Saisonbeginn waren es noch 62, 11 sind schon wieder weg.

 

Sind Sie so ein böser Chef?
Nein, im Gegenteil. Aber die heutige Jugend wird sehr verweichlicht. Das hat auch mit den stumpfsinnigen Verordnungen und der falschen Politik zu tun. Bei der Sicherheit und der Bildung zu sparen, ist der falsche Weg.

 

Sie haben drei Jahre in Romantik Hotel Sonne in Küsnacht ZH gearbeitet. Was ist der Unterschied zwischen der Schweiz und Österreich?
Die Lebenshaltungskosten sind in Österreich günstiger. Dafür verdienst Du in der Schweiz wesentlich mehr, was auf die Lebensmittel und die Krankenkassen geht. An der Schweiz gefällt mir, dass das Volk mehr in den politischen Prozess eingebunden ist als in Österreich. Beide Länder haben wunderschöne Landschaften, eine herausragende Sicherheit und Trinkwasserqualität, worüber interessanterweise kaum jemand Werbung macht. Wir haben Glück, hier in Europa leben zu dürfen.

 

Im Frühling 2024 haben Sie das Bistro Seensucht in Ihrem Betrieb eröffnet - neben dem Gourmetrestaurant. Wieso?
Ich habe sehr viele Neider, die sagen, den Wallner kannst Du Dir nicht leisten. Das stimmt nicht. Im Bistro Seensucht wollte ich zeigen, dass regionale Küche zu preiswerten Gerichten möglich ist. Die Leute erwarten schönste Teller, aufwändig eingerichtet, zu Tiefstpreisen. Das geht nicht. Aber in unserem Bistro gibt es ein Wienerschnitzel mit Kartoffeln und Preiselbeeren für 22 Euro. Der Erfolg gibt uns recht. Wir sind jeden Tag ausgebucht und haben den schönsten Seeblick und den schönsten Sonnenuntergang. Unser Spinatknödel mit brauner Butter sind die besten. Das bereitet am See niemand zu. Dafür gibt es Sushi, depperte Burger und Pizza... Ich habe mich im Bistro für die klassische österreichische Küche entschieden.

 

Hat dieser Entscheid auch damit zu tun, dass die Tage der Sterneküche gezählt sind?
Wir stehen vor einem Grundsatzentscheid. Das schönste Restaurant nützt mir nichts, wenn keine Gäste kommen. Die gehobene Mittelschicht wird immer kleiner. Dann muss ich mich schon fragen, ob mein Konzept noch zeitgemäss ist oder ob ich den Betrieb neu erfinden muss. Ich gehe davon aus, dass Ende Januar die Resultate des Guide Michelin bekanntwerden. Diese warte ich ab und habe danach zwei Monate Zeit, allenfalls ein neues Konzept im Markt einzuführen. «Casual fine dining» gibt es bereits. In Europa ist die Zeit reif für ein neues Gastrokonzept. Kopenhagen und andere machen es vor: Da gibt es nur zwei oder drei Produkte auf dem Teller. So kannst Du den Gast überzeugen, dass er zu Dir kommt. Zu Spitzenzeiten haben wir für unser Gourmetrestaurant 16 Köche, die für 32 Gäste kochen. Das muss sich finanzieren. Kommt dazu, dass im Service die Maximalarbeitszeit für Mitarbeitende 9 Stunden beträgt, was für mich zu enormen Nebenkosten führt.

 

Wie stehen Sie zu diesen Gedanken, Sebastian Wallner?
Ich wusste nicht, dass Papa so viel über die Zukunft nachdenkt. Ich finde es cool, neue Wege zu gehen. Ansonsten wird es irgendwann zweimalig.

 

Weshalb gab es eigentlich eine so lange Michelin-Pause in Österreich?
Ehrlich gesagt, habe ich nicht gerechnet, dass er nächstes Jahr eine Ausgabe für Österreich publiziert. Ich hoffe, dass fair getestet wird und die Küche, die wir in Österreich machen, verstanden und ehrlich bewertet wird. Österreich hat ein grosses Potential mit einer sensationellen Küche. Wir könnten die grösste Michelin-Dichte der Welt erreichen. Ich hoffe deshalb, dass der Michelin beim Bewerten nicht zurückhaltend sein wird.