Casimir Platzer, wie kann GastroSuisse in diesen Tagen den Mitgliedern überhaupt noch helfen?
Casimir Platzer: Wir bringen uns nach wie vor auf verschiedenen Ebenen ein, beispielsweise direkt im Bundesrat, der sich jedoch ziemlich resistent gegen gute Vorschläge zeigt. Wir stehen auch mit den Parlamentariern und den Kommissionen im Parlament in Kontakt, insbesondere bei der Umsetzung des Covid-19-Gesetzes und der Härtefallregelung. Auch stossen wir ständig Nachbesserungen an, etwa bei der Kurzarbeitsentschädigung und beim Corona-Erwerbsersatz – wie in der laufenden Frühlingssession geschehen. Und wir unterstützen unsere Kantonalverbände, damit sie die notwendigen Argumente bei ihren Kontakten mit den Kantonsregierungen haben.
War eine Restaurantöffnung per Anfang März ohne bundesrätlichen Segen, also eine Art landesweite Protesteröffnung, nie eine Option?
Dies haben ein paar Mitglieder von GastroSuisse verlangt. Es bringt allerdings nichts, wenn wir das nur für unser persönliches Ego tun, denn letztlich könnte unser Verband mit einer solchen vermeintlichen Machtdemonstration keine frühere Öffnung der Restaurants erzwingen. Kommt dazu, dass wohl die Mehrheit der Betriebe nicht wirklich mitmachen würde. Seien wir ehrlich: Ein solcher Aufruf zu Ungehorsam und Anarchie, wie das SVP-Nationalrat Roger Köppel vorgeschlagen hat, würde von vielen unserer Gäste verurteilt werden, was für das Image der Branche negativ wäre. Ich habe mich übrigens mit Herrn Köppel unterhalten. Er meint, als Journalist und Bürger habe er die Freiheit, Anregungen zu machen. Man könne diese aber auch verwerfen (schmunzelt).
Was ist denn politisch realisierbar?
Vergangene Woche stimmte die Mehrheit des Nationalrats für eine raschere Öffnung. Doch ist diese Mehrheit des Parlaments wirklich bereit, einen Aufstand gegen den Bundesrat anzuzetteln? Ich führte ein Gespräch mit einem Mitglied des Bundesrats über Demonstrationen. Der Magistrat meinte, damit würden wir nichts erreichen, weil in Bern täglich demonstriert wird. Einzelne Branchen-Lockdowns sind jedenfalls keine sinnvolle langfristige Strategie in der Bekämpfung der Pandemie. Das müsste auch der Bundesrat endlich einsehen.
Was ist sinnvoll?
Aus meiner Sicht hat der Bundesrat das Augenmass beim Bewältigen dieser Pandemie verloren und wägt seine Entscheide nicht genügend ab. Eine Alternative könnte deshalb sein, dass er bei den Lockerungen nicht mehr alleine entscheidet, sondern gemeinsam mit einem erweiterten Gremium. Wir dürfen nicht vergessen: Seit Beginn der Pandemie hat der Bundesrat die Lockdowns immer damit begründet, er wolle eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindern, und diesen Ansatz darf man nicht ändern. Die Entlastung des Gesundheitssystems ist der Regierung immerhin gelungen.
Ja, nun kann aber die Regierung nicht plötzlich sagen, die Wirtschaft müsse länger geschlossen bleiben, weil gewisse Annahmen von Epidemiologen möglicherweise stark steigende Infektionszahlen voraussagen, zumal die ersten Impfungen bei den Risikogruppen das Gesundheitssystem zusätzlich entlasten werden. Genauso falsch ist es, Massnahmen zur Stärkung des Gesundheitssystems mit den Fallzahlen zu begründen. Denn diese sind abhängig von der Zahl der Getesteten. Und positiv Getestete, die keine oder milde Symptome zeigen, sind kein Anlass für einen Lockdown, unter dem ganze Branchen leiden. Sie gehen derzeit in Bern ein und aus.
Mit wem sprechen Sie in diesen Tagen vor allem?
Ich führte mit einigen Bundesräten Gespräche. Während der Session bin ich im direkten Kontakt mit vielen Parlamentariern. Die Mitglieder der Wirtschaftskommissionen beider Räte habe ich alle persönlich angeschrieben. Die Anzahl Parlamentarier, die uns unterstützen wollen, nimmt deutlich zu. All das hilft, dem Bundesrat aufzuzeigen, dass Lockerungsschritte angebracht sind.
Erlauben Sie trotz Ihrer Bemühungen die Frage: Ist Gastro Suisse zu wenig auf die Hinterbeine gestanden?
Wir haben nichts unversucht gelassen und nehmen auf allen Ebenen Einfluss. Im Parlament stehen wir vor dem Dilemma, dass uns die bürgerlichen Politiker unterstützen, wenn es darum geht, die Restaurants zu öffnen. Wenn es aber um Entschädigungen geht, bremsen die gleichen Politiker. Und die Linke unterstützt uns bei den Entschädigungen, aber sie tun alles, um eine rasche Öffnung zu verhindern. Für mich unverständlich ist, dass der Bundesrat mit fünf bürgerlichen Mitgliedern die Interessen der Wirtschaft nicht stärker gewichtet. Es scheint so, dass die Mitglieder aufs Departement Berset hören und dem Gesundheitsminister nicht reinreden wollen, weil er dort den Lead hat. Nochmals: Der Bundesrat müsste viel mehr zwischen nötigen Massnahmen und deren Verhältnismässigkeit urteilen. Jetzt wird mit den Mutanten argumentiert.
Was vermuten Sie dahinter?
Ich weiss nicht, ob damit versucht wird, gewisse Unterlassungen zu kaschieren. Die Schweizer Impf- und Teststrategie ist ein Trauerspiel. Das Contact Tracing funktioniert auch nicht richtig. Und so bleiben Restaurants einfach geschlossen, obwohl es keinen Nachweis gibt, dass es dort vermehrt zu Ansteckungen kommt. Endlich hat der Bundesrat nun letzte Woche in der Schweiz Schnelltests zugelassen, die in Europa in den meisten Ländern schon seit Langem verwendet werden. Es braucht allerdings einen konsequenten Strategiewechsel, weg von der Lockdownstrategie und hin zur vollständigen Öffnung mit sinnvollen Schutzmassnahmen. Der Verband scheint sich im Vergleich zum Frühling 2020 gegenüber dem Bundesrat weniger durchsetzen zu können.
Wieso?
Die politischen Prozesse in der Schweiz haben sich komplett verändert. Der Bundesrat ignoriert mehrheitlich die Vorschläge und Ideen des Parlaments und Inputs der Wirtschaftsverbände. Vergangenen Frühling hatte der Bundesrat ausgewogener entschieden. Fragwürdig sind die Grundlagen für die Entscheide des Bundesrats: Der R-Wert musste Mitte Februar 2021 massiv nach unten korrigiert werden. Und selbst die WHO erachtet es als falsch, Menschen, die positiv getestet wurden, aber keine Symptome zeigen, in die Coronazahlen einzuschliessen.
Wieso wird nicht breiter diskutiert, dass es keine wissenschaftlichen Gründe gibt, das Berufsverbot für die Gastronomen zu verlängern?
Medien spielen eine unglaubliche Rolle in der ganzen Pandemie. Aus meiner Sicht informieren die Hauptmedien nicht objektiv. Sie sind abhängig vom Staat.
Wie meinen Sie das?
Die Informationen laufen meist über das BAG. Da will man es mit dem Bundesamt nicht verscherzen, um weiterhin an Informationen aus erster Hand zu kommen. Und teilweise werden die Medien mit ganzseitigen Inseraten vom BAG unterstützt. Letztlich spielt auch die politische Gesinnung der einzelnen Journalisten eine Rolle. Dazu nur ein Beispiel: Vergangene Woche behauptete der Tages-Anzeiger, die Schweizer Bevölkerung stehe hinter der Regierung. Was im Text nicht steht, dass sich der Artikel auf eine alte Studie von Anfang November beruft. Bei der für den Artikel benützten Online-Befragung ging es nicht um die Frage, ob die Bevölkerung mit der aktuellen Politik einverstanden ist. Und ob es die Einwohner wünschen, dass die Restaurants früher öffnen, wurde gar nicht thematisiert. Das fragte 20minuten.ch vergangene Woche: Fast 60 Prozent von über 36 000 Abstimmenden wollten eine sofortige Öffnung oder eine per 22. März 2021. Das widerspricht den Aussagen des Tagis und zeigt ein ganz anderes Bild! Das ist doch eine Steilvorlage für den Verband.
Statt zu demonstrieren, möchten wir Betriebe und unsere Gäste in unsere Kommunikation einbeziehen. Wir planen eine Kampagne, mit der wir aufzeigen wollen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz auf einen baldigen Restaurantbesuch freut. Das spüren wir und dies zeigen auch zahlreiche Zuschriften. Wenn der Bundesrat sich aber im Gegenteil durchsetzt, nach zwei Monaten die Terrassen in den Skigebieten zu schliessen, hat das nichts mehr mit Pandemiebekämpfung zu tun. So wird nur die Bevölkerung verärgert.
Wieso steht der Bundesrat gegenüber Restaurants so auf der Bremse? Ist das Willkür oder eine politische Abrechnung?
Wahrscheinlich ist das durch Ängste und Emotionen getrieben. Sicher aber berücksichtigt der Bundesrat nicht alle Fakten und Aspekte. Seit fast zwei Monate redet er von Mutanten, ohne zu wissen, ob sich diese wirklich explosionsartig verbreiten. Nur immer davon zu reden, es könnte eine Katastrophe geben, ist keine sachliche Politik. Sicher ist es nötig, auch diesen Aspekt in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, aber eben nur als einen unter mehreren.
Falls die Restaurants am 22. März öffnen: Wie gross ist der Schaden, den der Bundesrat mit seinem Coronaregime angerichtet hat?
Laut GastroSuisse mussten 20 Prozent der Betriebe aufgeben, weitere 20 Prozent stehen kurz davor.
Die Umfrage hat gezeigt, dass an vielen Orten die Entschädigungszahlungen angelaufen sind und das ist positiv. Sie sind aber bedeutend weniger hoch als angekündigt und erweisen sich als langwierig und sehr langsam. Im Frühling 2020 hat der Bundesrat mit den Covid-Krediten gezeigt, dass es auch schneller gehen kann, und so ein grösseres Drama verhindert. Wenn nun die Betriebe am 22. März öffnen, brauchen sie allerdings nach wie vor eine Unterstützung, denn im besten Fall erreichen die Restaurants aufgrund der zu erwartenden Auflagen 50 Prozent des normalen Umsatzes. Wenigstens hat der Bundesrat die Voranmeldefrist bei der Kurzarbeit aufgehoben, was letztlich auch ein Verdienst von GastroSuisse ist.
Wie stark wird es die Branche wirklich treffen?
Wenn die versprochenen Härtefallgelder wirklich ausbezahlt werden und die Wirte in den nächsten Wochen arbeiten dürfen, hoffe ich sehr, dass wenigstens die 20 Prozent, die schon mit einem Bein vor dem Aus stehen, sich noch retten können. 2020 gingen in der Branche 40 000 Arbeitsstellen verloren. In dieser Zahl sind die Auswirkungen des zweiten Lockdowns noch nicht berücksichtigt. Der fing am 22. Dezember an. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Arbeitsplatzverlust massiv zugenommen hat. Ende Oktober 2020 warnten wir von der Gefährdung von rund 100 000 Arbeitsplätzen. Ich befürchte, dass wir nun nicht mehr weit von dieser Zahl entfernt sind.
Ein paar Gastronomen sagten, sie wollen nur noch Geimpfte in ihren Restaurants empfangen. Wie urteilt der Verband?
Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft. Zudem ist das in der Umsetzung auch mit den digitalen Möglichkeiten nicht einfach, weil der gastgewerbliche Unternehmer nicht noch Polizist spielen kann. Das gesetzlich vorzuschreiben, ist für mich ein absolutes No-Go. Die Diskussion ist ja sowieso verfrüht, weil erst rund fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung gegen Corona geimpft ist.