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«Die Krise kann Anerkennung zurückbringen»

Benny Epstein – 14. Oktober 2020
Die Coronakrise zwang Andreas Caminada zum Reflektieren. Im Interview erzählt der Dreisternekoch, was er künftig anders machen möchte. Der Bündner verrät zudem, was er derzeit von der Schweizer Gastronomie hält und auf welche Beizen er gerne verzichten würde.

Andreas Caminada, im April hätte in Bangkok Ihr viertes Igniv-Restaurant eröffnen sollen. Corona machte Ihnen einen Strich durch die Rechnung. Nun wurde es Oktober. Wann fliegen Sie selbst hin?
Andreas Caminada: Es fehlen halt die ausländischen Gäste, aber dies wird voraussichtlich bis ins erste Quartal 2021 so bleiben, weshalb wir beschlossen haben zu starten. Dass ich baldmöglichst da hinfliege, ist ungewiss, ich müsste in Quarantäne. Ein halbes Jahr Verzögerung – wie haben Sie das mit dem Personal gelöst?
Küchenchef David Hartwig und Pâtissier Arne Riehn sind seit November 2019 dort. Es geht ihnen gut, sie wollten unbedingt bleiben. Nun reiste kurz vor der Eröffnung auch der Dritte im Bunde, der für den Service zuständige Fidelis Fässler nach Bangkok. Er musste in Quarantäne. Fidelis übernimmt während der ersten vier Monate den Service, um die Standards und die Qualität zu schulen. Wie haben Hartwig und Riehn die Zeit genutzt?
Sie lieben die dortige Lebensqualität und die Atmosphäre. Sie konnten Organisatorisches, aber auch Dekoration und Details vorantreiben. Natürlich waren sie nicht pausenlos beschäftigt. Wie sieht die arbeitsrechtliche Situation in Thailand aus? Sind Sie mittlerweile Profi im thailändischen Arbeitsrecht?
Nein, wenn das jemand wäre, dann meine Frau Sarah. Sie kümmert sich um die ganzen administrativen Angelegen­heiten. Sarah Caminada putzt neben uns einen Tisch in der Lounge der Casa Caminada. Sie geht mit gutem Beispiel voran und hilft zwischenzeitlich beim Frühstücksservice aus. Andreas Caminada: «Sarah, kannst du rasch erklären, wie es arbeitsrechtlich in Bangkok aussieht?» Sarah Caminada: Die von uns nach Bangkok geschickten Mitarbeiter erhalten eine Kurzarbeitsentschädigung von sechzig Prozent. Allerdings ist ein rechter Lohnbestandteil dort der «Service Charge», was einer Art Trinkgeld entspricht, welcher unter dem ganzen Hotel aufgeteilt wird. Und die Kurzarbeitsentschädigung bezieht sich nur auf den Fixlohn. Das erschwert die finanziellen Verhältnisse der beiden natürlich und wir haben beschlossen, den Lohnausfall mit den restlichen Prozenten zu ergänzen. Und wie steht es um die thailändischen Igniv-Mitarbeiter in Bangkok?
SC:
Ihre Verträge wurden vom Hotel gekündigt. Sie werden erst auf Arbeitsbeginn wieder eingestellt. Andreas Caminada bedankt sich und hilft im Gegenzug, die Kissen auf den Stühlen zu befestigen, ehe er sich wieder fürs Gespräch hinsetzt. Sie sind in Bangkok nicht präsent. Muss Hartwig mehr Verantwortung übernehmen als Ihre Igniv-Chefs in der Schweiz?
AC:
Nein, alle Chefs müssen das. Sie arbeiten zahlenorientiert. Sie sind mehr als nur Koch oder Restaurantleiter. Sie müssen nach gewissen Vorgaben wirtschaften und nehmen diese Herausforderung an. Die Coronakrise erschwert den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Woher holen Sie sich nun die nötige Inspiration?
Ich reise zwar sehr gerne und schaue gerne bei Kollegen, wie sie es machen. Zurück in der eigenen Welt muss man dann aber streng zu sich sein. Ich habe vielleicht etwas Spannendes, Tolles gesehen oder gegessen, aber dann muss ich mir oft sagen: «Nein, das passt nicht zu uns. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen und uns treu bleiben.» Inspiration hole ich mir durch den Austausch mit meinen Köchen, Lieferanten und Bauern, durch unterschiedliche Saisonalitäten und aus unserem eigenen Garten. Da soll ein richtiges Gartenlabor entstehen, in dem wir eine Vielfalt an Produkten und Sorten anpflanzen und austesten. Aber manchmal kommt eine Idee auch durch die Auswahl von neuem Geschirr. Bei welchem Kollegen haben Sie denn zuletzt gegessen?
Seit der Wiedereröffnung haben Sarah und ich das nur an unserem Hochzeitstag geschafft. Da waren wir bei Peter Knogl im Les Trois Rois. Es war super. Welche Restaurantbesuche stehen weit oben auf der Liste?
Immer wieder gerne zieht es uns in den Sonnenhof nach Vaduz zu Hubertus Real. Unsere Kids lieben seine Ravioli. Viele Restaurants haben halt dieselben Öffnungszeiten wie wir. Aber ich würde gerne bald zu Stefan Heilemann ins Zürcher Widder Hotel. Und ins Magdalena in Schwyz, zu meinem früheren Pâtissier Dominik Hartmann und seiner Frau Adriana, die bei uns im Service arbeitete, will ich auch bald hin. Die Corona-Zeit zwang Sie zum Reflektieren. Was kam raus?
Vieles. Wir haben nicht nur am Garten gebastelt. Letztes Jahr wurden wir von 50 Best Restaurants ja mit dem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Ich machte dazu zahlreiche Gedanken. Für mich geht es bei der Nachhaltigkeit nicht nur um CO₂, sondern auch beispielsweise darum, wie man mit den Mitarbeitern umgeht. In anderen Ländern wird ihnen bei Herausforderungen wie Corona einfach gekündigt. Bei uns hingegen funktioniert das System sehr gut. Und sonst?
Ich habe mich hinterfragt: Was ist wirklich wichtig, was weniger? Muss ich für jeden Event irgendwo hinfahren? Muss ich jede Anfrage annehmen? Ich will künftig selektiver sein und die freie Zeit im Kalender auch frei lassen. Dabei ging es also um persönliche Entscheidungen.
Auch, aber das beeinflusst ja unser tägliches Schaffen. Ich habe viele Anfragen für Gastkochauftritte. Aber das mache ich ja nicht für mich persönlich. Mein Ego braucht das nicht. Es geht dabei um unsere Bekanntheit in gewissen Ländern. Jedes Engagement war mit einem Hintergedanken verbunden: Dieser Auftrag ist gut fürs Schloss, dieser ist gut fürs Igniv, dieser ist gut für die Fundaziun Uccelin, et cetera. Da werden wir uns künftig stärker zurückhalten. Wir sind hier, die Leute sollen hierherkommen. Punkt, aus, Amen. Wer nicht kommt, kommt eben nicht. Mit dem vermehrten Verzicht auf Engagements im Ausland dürfte es schwierig werden, sich in den internationalen Ranglisten zu halten. Das mag sein. Aber wieso sollen wir denn rausgehen?
In der Schweiz ist es doch am schönsten, die Leute sollen zu uns kommen. Und wenn die Schweiz für sie nicht spannend genug erscheint, so ist dies nicht unser Problem. Da sind die Politik und Schweiz Tourismus gefordert. Ein Blick in den Guide Michelin und in den GaultMillau zeigt: Nirgends auf der Welt gibt es eine derartige Dichte an Top-Restaurants. Das ist eine Referenz. Ob wir nun auf der Liste der 50 Best Restaurants auftauchen, ist weniger wichtig. Dort geht es derart politisch zu und her, es wird gemauschelt. Man kann sich den Platz darin praktisch kaufen, indem man die Leute einfliegen lässt und Events organisiert. Aber ist das der richtige Weg? Haben Sie sich in der Vergangenheit zu sehr verausgabt?
Ich war in den letzten Jahren sehr viel unterwegs. Und wenn ich hier war, war alles zeitlich genau bemessen. Sechs, sieben Geschichten pro Tag. Das will ich nicht mehr. Hat die Qualität im Schloss Schauenstein darunter gelitten?
Ich glaube nicht. Abgesehen von drei Tagen war ich immer da, wenn das Restaurant geöffnet war. Und grundsätzlich motiviert es meine Mitarbeiter, wenn sie mal rauskönnen und an Events dürfen. An der Motivation darf es nicht scheitern: Wir haben täglich Gäste, die von uns Spitzenleistungen erwarten. Jeder Einzelne ist gefordert. Wie reagieren Sie, wenn ein Mitarbeiter nicht motiviert wirkt?
Das kommt nicht oft vor. Und wenn doch, dann gibt es ein Gespräch. Verbessert sich die Situation nicht, ist er am falschen Ort. Wie sehr standen Sie während des Lockdowns unter finanziellem Druck?
Wir haben uns über 17 Jahre gewisse Reserven und ein gesundes Unternehmen aufgebaut. Wir arbeiten seriös, Wirtschaftlichkeit ist uns wichtig. Wäre das noch lange so weitergegangen, hätten aber auch wir Mitarbeiter entlassen müssen. Das wollten wir unbedingt vermeiden und stockten allen die Kurzarbeitsentschädigung auf 100 Prozent auf. Die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Gut. Die Angst vor einem weiteren Corona-Winter ist gross. In St. Moritz haben Sie auch ein Igniv. Sind Sie besorgt?
Wir sind unsicher, haben uns aber entschieden, Mitarbeiter zu rekrutieren und das Restaurant zu öffnen. Gute Mitarbeiter in der Branche sind Mangelware. Gilt das auch für Caminada-Betriebe?
In der Casa Caminada sind wir zurzeit tatsächlich unterbesetzt. Ein, zwei Mitarbeiter würden wir gerne noch einstellen. Wir kriegen zwar Bewerbungen, wir sind jedoch relativ wählerisch. Die Qualität muss stimmen. Aber ja: Es ist tragisch, Graubünden ist voller Touristen, die sich auf die Terrassen setzen. Aber das Servicepersonal fehlt. Zurück zum finanziellen Druck: Sie hätten doch bestimmt finanzstarke Stammgäste, die Sie bei Problemen unterstützt hätten, um den Betrieb zu sichern.
Diese Hilfe hätte ich nie angenommen. Das ist Charaktersache. Wir wollen unabhängig sein. Wir haben das Unternehmen mit eigenen Händen aufgebaut, da steckt unser Herzblut drin. Ehe ich Geld angenommen hätte, hätte ich den Betrieb verkleinert. Sie betonen die Wichtigkeit des wirtschaftlichen Arbeitens. Man kann doch nicht einfach von sich sagen, wir kochen super, ohne aber die Zahlen im Griff zu haben. Dafür habe ich kein Verständnis. Und diese Message geben wir unseren Leuten auch für deren Zukunft weiter. Es ist das A und O. Sie sprechen sich auch für die Wiedereinführung des Wirtepatents aus.
Ja. Es gibt Gastronomen, die ihren Job nicht anständig machen. Damit meine ich etwa die Gastgeberkultur. Ich kann auch nicht morgen eine Anwaltskanzlei eröffnen. Es ist anmassend, wenn jeder das Gefühl hat, er müsse ein Beizli eröffnen. Vielleicht hat er das Geld, aber keine Ahnung von der Wirtschaftlichkeit. Keine Ahnung davon, ein Restaurant auf Vordermann zu bringen, es zu unterhalten, es voranzutreiben, kreativ zu bleiben, Mitarbeiter zu führen. All das ist so komplex. Und dann scheitern sie nach zwei Jahren kläglich. Was wir tun, ist kein Hobby. Die aktuelle Krise hat so auch ihr Gutes. Sie bereinigt, vielleicht bringt sie sogar die Anerkennung fürs Führen einer Beiz zurück. Wenn es die schlechten Betriebe nicht mehr gibt, ist das ganz okay.

Uccelin-Stiftung

Um die Qualität des Nachwuchses in der Spitzengastronomie zu fördern, riefen Andreas und Sarah Caminada vor fünf Jahren die Fundaziun Uccelin ins Leben. Sie unterstützt Talent in Küche und Service beim Aufbau ihrer Karriere. Ausgewählten Stipendiaten steht das Tor zu den besten Restaurants und Produzenten der Region und der Welt offen. Die aktuellen Stipendiaten sind aufgrund der Coronakrise zurückgebunden. Die neue Bewerbungsphase läuft. Einmal pro Jahr lädt Caminada einen namhaften Gastkoch zum Four-Hands-Dinner zugunsten der Stiftung ins Schloss. Massimo Bottura, Gaggan Anand und Virgilio Martinez kochten so bereits im Domleschg. Aufgrund der Coronakrise steht dieses Jahr am 20. Oktober eine Schweizer Version an: Mit Caminada kochen Dreisternekoch Franck Giovannini (Restaurant de l’Hôtel de Ville, Crissier VD) und Zweisterneköchin Tanja Grandits (Stucki, Basel). www.uccelin.com

Persönlich

Andreas Caminada (43) ist seit Jahren das Aushängeschild der Schweizer Kulinarik. 2010 verlieh der GaultMillau seinem Schloss Schauenstein in Fürstenau GR 19 Punkte, ein Jahr später erhielt er vom Guide Michelin den dritten Stern. Diese Leistungen bestätigten Caminada und seine Mitarbeiter (45 im Schloss Schauenstein, 15 in der Casa Caminada, weitere in den Igniv-Betrieben) Jahr für Jahr.