Claudio Del Principe: Der Amateur, der die besten Köche inspiriert

– 15. Juli 2021
Vom Blogger zum preisgekrönten Kochbuchautor: Claudio Del Principe zelebriert die traditionsreiche Koch- und Genusskultur seiner italienischen Wurzeln wie kein Zweiter. Der Baselbieter will Menschen zu wahrem Luxus und zur Liebe für Produkt und Handwerk zurückführen. Und zu gutem Fast Food.

«Heinz Rufibach will mit mir kochen? Im Ernst?» Claudio Del Principe (53) ist überrascht, als die Anfrage vom Sternekoch aus Zermatt kommt. «Rufibach & Friends» heisst die Serie. Die Liste der Gastköche liest sich wie eine Legenden- und Stars-Sammlung: Othmar Schlegel, Anton Mosimann, Antonio Colaianni, Laurent Eperon, Jacky Donatz, Irma Dütsch, Markus Gass – und eben Claudio Del Principe. Der Baselbieter ist nicht vom Fach. Wobei, nein, diese ist Bezeichnung falsch. Er ist kein gelernter Koch. Weil ihm klar war, wie anstrengend dieser schöne Beruf wäre, entschied er sich für die Modebranche und später fürs Texten. In der Kochszene machte er sich dennoch einen Namen. Über seinen Blog. Und mittlerweile über Kochbücher, von denen sich Profis ebenso inspirieren lassen wie Hobbyköche mit Flair fürs gute Produkt.

2007 war es, als die Idee vom Blog kam. Sein tägliches Geschwafel übers Kochen und Geniessen mit einem Grafiker in der Werbeagentur ging den übrigen Mitarbeitern dermassen auf den Zeiger, sodass sich Del Principe entschied: Reden ist Silber, Schreiben ist Gold. «Anonyme Köche» nannte er den Blog, weil er und sein Kollege wie anonyme Alkoholiker ständig euphorisch über ihre Liebe plauderten. Eine Liebe, die dem italienischstämmigen Schnauzträger seine Nonna und seine Mamma in die Wiege legten.

«Welche Pasta hättet ihr heute gerne?», fragte die Mutter Klein-Claudio und seine Geschwister am Vormittag. «Ma, es ist schon 11 Uhr. Mach dir doch jetzt keinen Stress.» Del Principe erinnert sich mit einem Lächeln auf den Lippen, wie seine Mamma jeweils entspannt antwortete: «Was ist denn da schon dabei?» Eine halbe Stunde später war die gewünschte Pastasorte frisch zubereitet. Claudio und seine Geschwister liessen sich verwöhnen.

«Das ist für mich Fast Food, guter Fast Food», sagt Del Principe. «Gutes Essen bedeutet nicht immer viel Aufwand.» Während sich auch so mancher Spitzenkoch am Feierabend hie und da einen Burger vom amerikanischen Imbiss-Giganten oder einen Kebab vom nächstbesten Stand gönnt, lehnt Del Principe entschieden ab. «Habe ich unterwegs mal einen Hungerast, kaufe ich mir einen Sack Pistazien. Die sind nahrhaft. Oder im Winter eine Portion Marroni – eine schmackhafte, gesunde Mahlzeit.»

Als ihn seine Mutter noch nervte

Aus dem Blog wurden Bücher. Anonyme Köche – das Buch zum Blog. Italien vegetarisch. Ein Sommer wie damals. Auf die ­ersten Werke folgte in den letzten Jahren eine Serie. A casa, al forno, a mano, all’orto. Zu Hause, im Ofen, von Hand, vom Gemüsegarten. Bücher zum Lernen über Produkte und übers Handwerk, Bücher zum Schwelgen und Träumen von Ferien in Italien, Bücher voller Ideen und Geschichten aus Del Principes Heimat. Die Fotos schiesst der Autor gleich selbst. Sie sind pur und echt wie die traditionsbewussten Rezepte, die Del Principe seiner Leserschaft präsentiert.

«Ich will Menschen die Freude am Kochen und am Genuss wieder schenken», erklärt Del Principe. «In Italien ist Essen so, so wichtig. Wir teilen dieselbe Leidenschaft wie die Japaner. Da gibt es erstaunliche Parallelen: die Regionalität, die Saisonalität, die Tradition, die Suche nach dem klaren Geschmack.» Del Principe redet sich in Euphorie. «Als Jugendlicher hatte ich meinen Mittagsteller noch nicht halb aufgegessen, da fragte meine Mutter: ‹Was möchtet ihr zum Znacht?› Damals nervte es mich. Gibt es denn gar kein anderes Thema, fragte ich zurück. Heute holt mich das alles wieder ein.» Del Principe zelebriert das geerbte Kulturgut. Was er isst und was nicht, wie er sich kleidet und wie nicht – eine Frage des Stils. Sein Grossvater war Herrenschneider und Hochzeitskoch. Ein Sandwich von der Tankstelle oder verwaschenes Shirt? Impossibile!

Zwei Heimweh-Italos im Rausch

«Claudio fasziniert mich, ich habe all seine Bücher», lobt Antonio Colaianni. Mehr Anerkennung geht nicht. Der Sternekoch vom Zürcher Restaurant Ornellaia ist der vielleicht beste Chef der Cucina Italiana in der Schweiz. Auf Basis der französischen Küche interpretiert er italienische Klassiker in Perfektion. Colaiannis Gerichte sind nie abgehoben oder fancy. Im Fokus stehen tolle Produkte und Handwerk – wie bei Del Principe. «Ich stöberte vor vielen Jahren in seinem Blog herum», erinnert sich Colaianni, «und war begeistert von den Emotionen, die Claudio rüberbringt. Dazu sind die Rezepte sehr präzise und seine Teller sehr ästhetisch, aber ohne Schnickschnack. Von seinem Wissen könnte sich manch ein Koch eine Scheibe abschneiden.» Und so kommt es, dass sich die zwei Heimweh-Italiener in einen Rausch reden, wenn sie sich austauschen. «Ich merkte sofort, dass wir vom Gleichen reden. Die Gerichte in seinen Büchern sind mir alle bekannt.

Aber in jedem Dorf oder Städtchen bereitet man sie ein wenig anders zu. Das ist spannend und inspirierend.» Besonders beeindruckt ist Colaianni, wie sich Del Principe ins Thema Sauerteig vertiefte. «Kaum eine Bäckerei kriegt so ein geniales Brot hin.» Del Principe zieht die Schultern hoch: «Das ist keine Zauberei.» Lievito Madre heissen die beiden Nicht-Zauberworte. Klingt einfach schöner als der deutsche Begriff Sauerteig. «Das hier, das ist nicht einfach ein Brot», schreibt Del Principe in seinem Blog. «Es ist der Beweis, dass ich dafür etwas zum Leben erweckt habe, das mein Leben überdauern könnte und danach womöglich an die nächste Generation übergeht: Mein eigener Lievito Madre.» Del Principe hegt und pflegt ihn, nimmt ihn in die Ferien mit, damit er überlebt. Er ist seine Basis für Brot, Pizza und Focaccia. «Und damit wir uns gleich richtig verstehen, wir sprechen hier von echtem Brot», führt Del Principe aus. «Aus einem Teig, der es in sich hat. Nämlich dutzende Arbeitsschritte, geübte Handgriffe, Beobachtungsgabe, Erfahrung und Zeit. Sehr viel Zeit. Manchmal 48 Stunden.» Dabei entwickelt der Teig laut Del Principe einen unvergleichlichen Geschmack, eine besondere Textur und eine bessere Verträglichkeit. «Kein Vergleich zum flachen Geschmack von Brot, das husch-husch mit gekaufter Frischhefe gebacken wird. Von Industrie- und Supermarktbroten reden wir schon gar nicht. Mit all den haarsträubenden Zusätzen, ihrer schwammigen Konsistenz und ihrer geschmacklichen Leere.» Keine Zauberei, dafür aber viel Liebe und eine gute Portion Erfahrung bedarf es für so ein Brot.

Colaianni schwärmt, Rufibach kocht mit ihm, Tanja Grandits buchte ihn für einen Brot- und Pastaworkshop. Es sind interessanterweise mehrheitlich Spitzenköche, die sich von Del Principe inspirieren lassen. Dies, obschon der Buchautor nicht nur eine Leidenschaft für die Gourmetküche, sondern ebenso sehr eine Passion für die einfache, aber gute Küche hegt. Tortellini in brodo, gefüllte Teigtäschchen in einer klaren Brühe, können in ihm unbeschreibliche Gefühle auslösen.

Auswahl? Extrawünsche? Kein Thema.

Del Principes Werke geben dem Leser Halt. Jenen Halt, der durch das Verlangen nach mehr und mehr Möglichkeiten zu jeder Zeit und an jedem Ort verloren ging. Spargeln im Dezember, Erdbeeren im Februar, Tomatensugo aus der Dose, Pasta aus der Kartonschachtel. Dabei liebt der Feriengast in Italien doch eigentlich die Osteria, in welcher der Gastgeber an den Tisch kommt und erzählt, was es heute zu essen gibt. Vielleicht mit einer vegetarischen Alternative, vielleicht nicht. Auswahl? Extrawünsche? Kein Thema. Dafür weiss der Gast aber mit Sicherheit, dass jene wenigen Gerichte mit viel Wissen, Zeit und Hingabe zubereitet werden. Luxus bedeutet da nicht die Qual der Wahl zwischen zehn oder zwanzig Hauptgängen. Luxus heisst, an einem Ort geniessen zu dürfen, an dem ein Menü gekocht wird, dessen Produkte und Handwerk tief verwurzelt sind. Tradition, Geschichten, Emotionen. Geschmackserlebnisse und Momente, die für immer im Gedächtnis bleiben.

Del Principes nächstes Buch erscheint im Herbst. Darin erzählt er die Geschichte zweier in der Schweiz aufgewachsener Italiener. Die beiden Cousins bauten ihr Familienunternehmen mit italienischen Spezialitäten nach jenen Traditionen auf, die sie von ihren Müttern im Land der Pasta und Amore seit ihrer Kindheit eingeflösst kriegten. Uralte Rezepte, Erzählungen aus abgelegenen Örtchen und die faszinierende Start-up-Story garantieren Lesespass und Inspiration. Nicht nur für Sterneköche.