Irgendetwas ist immer und ist es nur eine eingerissene Dichtung beim Kühlschrank. «Hantiert man da beim Reinigen mit Lappen und Messer, kommt es meist nicht gut», sagt Hans-Jürg Rodel (58), Lebensmittelinspektor und stellvertretender Sektionsleiter des Lebensmittelinspektorats im Kanton Aargau. Ausser solch kleiner Beanstandungen kann ein Betrieb aber hygienisch absolut einwandfrei sein. Es sei um die Hygiene in der Schweizer Gastronomie und Hotellerie generell gut bestellt. Unterschiede jedoch sind normal. «Da sind die, die es nie begreifen. Jene, die es dann begreifen, und solche, die es sofort verstehen», ergänzt Rodel schmunzelnd.
Am meisten bemängelt wird die Selbstkontrolle sowie der Täuschungs- und Kennzeichnungsbereich. War es früher den meisten Gästen egal, woher etwa das Poulet im Chörbli stammt, wird heute auch von dieser Seite her vermehrt auf die Lebensmittelherkunft geachtet. «Letztes Jahr unternahmen wir im Kanton Aargau eine Täuschungskampagne», erzählt Rodel. Da wird kontrolliert, ob der Gast das, was auf der Karte steht, auch serviert bekommt. «Wenn da Champagner steht, muss es auch Champagner sein – und nicht Sekt.» Die Hälfte der kontrollierten Betriebe verfehlten das Ziel. Ganz oben auf der Liste: Parmesan. 68,7 Prozent jener Lokale, die Parmesan anboten, servierten stattdessen Grana Padano oder einen anderen geriebenen Käse. Bezüglich Parmaschinken mussten 11 von 26 kontrollierten Betrieben getadelt werden, bei Fisch 6 von 12. Die wenigsten Gastronomen handeln böswillig, das meiste passiere aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit.
Die Kontrolleure tauchen zu 99 Prozent unangemeldet auf. Ihr Erscheinen erfreut nicht alle. «Aber es gibt auch jene, die sagen: ‹Auf Sie habe ich gewartet, Herr Rodel, ich habe Fragen›, führt der Aargauer aus. «Die meisten aber haben mehr Freude, wenn ich wieder gehe.» Rodel erinnert sich an die Zeit, als er selbst noch wirtete. «Da versorgt man immer noch schnell etwas, bevor der Kontrolleur die Küche betritt.»
Er ist in der Gastronomie aufgewachsen. Seine Eltern führten drei Betriebe in Grenchen SO, dann das Restaurant Frohsinn in Niederlenz AG. Rodel lernt Koch, absolviert die Servicelehre sowie die Hotelfachschule Belvoirpark Zürich und wirkt bald als Vizedirektor im Motel Egerkingen SO. Aufgrund gesundheitlicher Probleme seines Vaters führt er mit seiner Frau den Frohsinn weiter. 2006 folgt der Wechsel zum Lebensmittelkontrolleur, seit 2016 ist er Lebensmittelinspektor und Teamleiter. «Das heisst mehr Innendienst als früher, aber ich mache im Jahr noch 70 Inspektionen.»
«Es kostet nichts, aber erspart vieles»
Rodel folgt bei seinen Inspektionen dem Warenfluss: von der Anlieferung über die Lagerung (Kühlkette) und Verarbeitung bis hin zur Abgabe im Gastraum und zur Kontrolle der Mitarbeitergarderobe und -toilette. Sollte mit den heutigen Möglichkeiten zur Selbstkontrolle nicht jeder Betrieb hygienetechnisch in Ordnung sein? Rodel zieht die Augenbrauen hoch. «Theoretisch ja.» Manche Wirte fänden aber kaum Zeit zum Lesen und Umsetzen der GVG (Leitlinie gute Verfahrenspraxis im Gastgewerbe). Oder sie liegt unauffindbar in einer Schublade. Auf der Gastro Suisse-Webseite kann sie gratis heruntergeladen werden. «Es kostet nichts, aber erspart vieles», ermuntert Rodel. Für jene, die nicht gut Deutsch verstehen, steht das Merkblatt «5 Keys for safer food» der WHO in 80 Sprachen zur Verfügung.
Auch Hans Jürg Rodel versteht vieles nicht bei seinen Inspektionen. Etwa, wenn ein Koch einen Block gefrorenes Fleisch direkt in die Kasserolle legt. Da blutet ihm das Kochherz. «Aber hygienetechnisch geht es mich nichts an.» Er hat auch schon spontan Risotto gekocht, weil die Wirtin wegen der Inspektion so nervös und zu nichts mehr fähig war. Viele Betriebe machen ihm jedoch Spass. Oft wird er von Betrieben um Rat angefragt, um Unsicherheiten auszuräumen. «Vor allem vor Umbauten lohnt es sich», sagt er. «Wir sind nicht nur die Polizisten, wir wollen gute Betriebe.» Die Mehrheit reagiert bei Beanstandungen anständig. Andere versuchen zu verhandeln. «Das geht natürlich nicht», sagt er. «Wir sind nicht pingelig, wir versuchen stets das Augenmass einzusetzen.»
«Klar, der Frust ist riesig»
Der Job verlangt neben Fachkenntnissen auch Verständnis und Respekt. 7500 inspektionspflichtige Betriebe betreuen die Kontrolleure im Kanton Aargau, vom Kiosk über Gewerbebetriebe und Läden bis zur Lebensmittelindustrie. Während seinen 15 Jahren beim Lebensmittelinspektorat musste Rodel zwischen 15 und 20 Bertriebe wegen Gesundheitsgefährdung sofort schliessen oder ein Benützungsverbot für die Küche aussprechen. Nicht alle nehmen dies freundlich an.
Ein Wirt sagte ihm einst, hätte er seinen Betrieb sofort geschlossen, hätte er das Sturmgewehr geholt. «Da erschrickt man und fragt nach.» Es stellte sich heraus, dass der Wirt an jenem Tag eine Reservation für ein Leidmahl hatte. Rodel inspizierte das Menü. «Die Nierstücke und Salate waren frisch», führt er aus. So erklärte er dem Wirt: «Gut, bereiten Sie das Leidmahl zu. Danach gibt es ein Küchenbenutzungsverbot und Sie bringen alles in Ordnung.» Das Sturmgewehr blieb im Schrank.
Auch Corona brachte manche Gastronomen an ihre Grenzen. Deswegen gingen Rodel und seine Kollegen die Inspektionen nach den Lockdowns behutsam an. Dennoch trafen sie auf einige ungeputzte Küchen. «Das haben wir nicht verstanden, im Lockdown war doch Zeit dafür», meint Rodel. «Klar, der Frust ist riesig. Sie haben das Messer am Hals und dann kommen wir noch.» Seit Corona gibt es ein zusätzliches Kontrollformular für die Schutzmassnahmen auszufüllen. Dies läuft problemlos. «Die Mehrheit macht dies tipptopp.» Trotz langer Gastrokarriere fehlt Rodel das Wirten nicht. «Das Kochen hingegen, habe ich lange vermisst», räumt er ein. «Ab und zu träume ich nachts immer noch davon.» Vor seinem Berufswechsel war er zudem Präsident von GastroLenzburg und im Vorstand von GastroAargau.
Wie reagierten damals die Berufskollegen, als er «die Seiten» wechselte? Rodel lacht. «Unterschiedlich. Einige sagten, super, das hätte ich auch gemacht. Viele verstanden es nicht. Arbeiten muss man auch auf dem Inspektorat, aber als ich das erste Wochenende frei hatte, fühlte es sich wie Ferien an.»
Auch nach 15 Jahren liebt Rodel seine Arbeit, und das rund 13-köpfige Team im Lebensmittelinspektorat in Aarau sei super. «Das Weitergeben von Erfahrungen ist etwas Schönes», sagt der Vater von zwei erwachsenen Kindern. So amtet er auch als Dozent für den Wirtekurs und bildet kantonal Pilzkontrolleure aus.
«Frisch aus dem Tiefkühler?»
Ungewöhnliche Momente trifft Rodel manchmal bei Neueinsteigern an. Einst betrat er eine Küche, deren Boden komplett mit Schaum bedeckt war. Grosses Schulterzucken, die Abwaschmaschine schäume so stark. «Kein Wunder, sie füllten diese mit Handwaschmittel!», sagt Rodel. Diese Unwissenheit tut ihm manchmal weh. Bei einer schmutzigen Aufschnittmaschine wies er daraufhin, diese doch mal auseinanderzuschrauben. «Wie, die kann man auseinanderschrauben?» Rodel nimmt sich dann die Zeit und zeigt, wie.
Betritt Hans-Jürg Rodel ein Restaurant privat, sei der erste Eindruck essenziell. Schaut er in die Speisekarte, sieht er die fehlende Fleischherkunft sofort. Er kann nicht anders. «Ich frage auch, ob die Sauce selbst gemacht ist», sagt er. «Die meisten sagen: ‹Selbstverständlich!› und dann kommt eine Beutelsauce. Für das Selbermachen gibt es verschiedenen Ansichten – für manche ist frisch aus dem Tiefkühler auch frisch!»
Tipps, um gänige Fehler zu vermeiden
- Lagerung im Kühlschrank: Reines von Unreinem trennen. Die Grundregel ««ungewaschen und nicht gerüstet unten – gerüstet oder gekocht oben und gedeckt/verpackt» beachten.
- Gekochte Lebensmittel aktiv abkühlen und bei unter 5 °C aufbewahren. Haltbarkeitsfristen einhalten.
- Auch unter und hinter Geräten und Einrichtungen regelmässig putzen.
- Vermehrt die Kennzeichnungen (Täuschungsschutz) auf den Speise- und Getränkekarten beachten.
- Bei Fragen: Inspektorat anfragen! Kostet nichts, aber erspart Ärger.
- Zu jedem Hygieneaspekt gibt es auf der Webseite der Lebensmittelkontrolle Merkblätter, die jederzeit gratis abrufbar sind.
- Vieles passiert aus Unwissenheit: Mal wieder einen Hygienekurs besuchen, um auf dem neuesten Stand zu sein.