Tourismus

Vom Rheinfall und Reinfällen

Peter Grunder – 10. Mai 2017
Schaffhausen steht sozusagen stellver­tretend für das gespaltene Verhältnis der Schweiz zum Wirtschaftszweig Tourismus. Trotz Topzielen hat der Tourismus in Schaffhausen einen geringen Stellenwert.

Mit seiner Altstadt und dem überragenden Munot, aber vor allem mit dem Rheinfall bietet Schaffhausen touristische Ziele von Weltklasse – und von einzigartiger Tradition: Die Wasserfälle gehörten im späten 18. Jahrhundert zu den ersten rein touristischen Zielen überhaupt. Doch so wenig die Bevölkerung der Alpentäler, die seit jeher Fremde über die Pässe geführt hatte, für die touristischen Müssiggänger Verständnis aufbrachte, so wenig vermochten die Schaffhauser dem Tourismus abzugewinnen. Akut wurde das schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung Tempo aufnahm: In Neuhausen am Rheinfall entstanden die Schweizerische Industrie-Gesellschaft und die Aluminium-Industrie-­Aktien-Gesellschaft, während die touristische Hotellerie schrumpfte. «Das Tourismusbewusstsein fehlt», bringt es Arnold Graf, in vierter Generation Gastgeber im Schaffhauser Hotel Bahnhof, auf den Punkt (vgl. Seite 7). Nach wie vor tut man sich schwer mit dem Tourismus, und zurzeit ist es besonders akut: Im Herbst 2015 nämlich schaffte es eine unheilige Allianz von rechten und linken Politikern, eine Mehrheit von 50,2 Prozent des Schaffhauser Stimmvolks gegen ein neues, sorgfältig erarbeitetes und austariertes Tourismusgesetz aufzubringen. In der Folge stand die Destinations- Management-Organisation (DMO) «Schaffhauserland Tourismus» vor dem finanziellen Kollaps, und nur Überbrückungshilfen von jeweils 250 000 Franken bewahren die DMO seither vor der Insolvenz. Angesichts eines Jahresbudgets des Kantons Schaffhausen von rund 700 Millionen Franken ist der schrille Widerstand gegen die Summen für den Tourismus eigentlich so lächerlich wie peinlich – zumal sich die vorbereitenden Arbeiten zum Tourismusgesetz jahrelang hinzogen und alle Anspruchs­gruppen einschlossen. Ums Geld geht es aber eben eigentlich gar nicht, sondern um grundsätzliche Vorbehalte. Das zeigt sich beispielhaft am Rheinfall: Während man ähnliche Topziele ­andernorts in Wert setzt und den Gästen also die Gelegenheit gibt, Geld auszugeben, ist der Rheinfall weitgehend ein öffentliches Gut. Dort kosten nur spezielle Angebote wie Schifffahrten, und als man ab 2008 für den Erlebnisweg etwas verlangte, passte das längst nicht allen. ­Insofern steht Schaffhausen stellvertretend für die Schweiz: Tourismus wird ungern als kommerzielle Industrie gesehen, sondern lieber als heimatlicher Mythos und kosten­loses Allgemeingut.

Touristische Fakten
2016 hat der Kanton Schaffhausen 26 geöffnete Hotels erfasst, die gut 156 000 Logiernächte bilanzierten – Nettoauslastung 33,5 Prozent. 2001 noch hatte es 36 Hotels gegeben, die aber bei einer Auslastung von 28,1 Prozent nur 118 000 Logiernächte schrieben. Ferienwohnungen weist «Schaffhauserland Tourismus» kaum 20 aus, Airbnb wiederum bietet gegen 70 Logements. Das weitaus attraktivste Ausflugsziel Schaffhausens ist der Rheinfall: Hier werden jährlich rund 1,3 Millionen Gäste gezählt, die aber nur für spezielle Angebote wie Schifffahrten oder den Erlebnisweg bezahlen. www.schaffhauserland.ch