In Grosshöchstetten BE stehen alte Emmentaler Häuser einträchtig neben neuen Bauten. Hinter dem Kreisel am Dorfende wird die Schlosswilstrasse langsam schmaler, steigt etwas an, führt vorbei an Kirschbäumen und Kindern, die auf Leitern stehen und die gepflückten Früchte sorgsam in einen Korb legen. Unterhalb des Schlosses Wyl blickt man von der Terrasse des Restaurants Kreuz über eine sattgrüne hügelige Landschaft. An guten Tagen reicht die Sicht bis nach Bern. Eine Idylle. Grace Onyango lacht. «Ich bin eben ein Landmädchen», sagt sie.
Dabei stammt sie aus Nairobi, einer Drei-Millionen-Stadt. Die 38-Jährige hat in der kenianischen Hauptstadt als Reisejournalistin für den Guide einer Airline und als Eventmanagerin gearbeitet. Dort hat sie durch gemeinsame Freunde ihren Emmentaler Mann kennengelernt – seit sieben Jahren sind sie verheiratet und wohnen in Grosshöchstetten.
Letzten Herbst hat Onyango mit der Weiterbildung zur «Gästebetreuerin im Tourismus mit eidgenössischem Fachausweis» am BZI (Bildungszentrum Interlaken) begonnen. Dort holt sie sich den Feinschliff in Marketing und Kommunikation, im Projekt-, Event- und Produktmanagement, in der Gästebetreuung und im Kundenumgang sowie Organisieren und Planen von Dienstleistungen. Ihre Augen leuchten. «Ich wusste bereits, als ich in die Schweiz kam, dass ich weiterhin im Tourismus arbeiten möchte», sagt sie. «Diese Ausbildung ist perfekt für mich. Es lernt sich leicht in einem touristischen Ort wie Interlaken, und die Theorie ist mit viel Praxis verbunden.» Der Unterricht am BZI findet in Blöcken statt. So kann sie daneben als Sozialarbeiterin zu 60 Prozent in einem Wohnheim arbeiten.
Ohne Deutsch geht es nicht
Ab und an fragt Onyango nach einem Wort, doch ihr Hochdeutsch ist ausgezeichnet. Das war nicht immer so. Das erste Jahr in der Schweiz war schwierig, trotz grösster Unterstützung ihres Mannes, ihrer Schwiegermutter und Freunden. «Ohne Sprachkenntnisse geht nichts. So habe ich gleich zu Beginn intensiv Deutsch gelernt und gehe noch immer in den Deutschunterricht, denn nur wenn man die Sprache spricht, wird man ganz akzeptiert», erzählt sie.
Am Anfang war es sehr ungewohnt für Onyango, dass sie immer angeschaut wurde. Sie musste lernen, dass viele Schweizer eher vorsichtig sind, wenn sie Fremden begegnen – ob hell- oder dunkelhäutig – und oft Zeit brauchen, bis sie mit jemanden in Kontakt treten. «Sobald sie jedoch merken, dass ich Deutsch spreche, tauen sie auf und fragen interessiert nach meiner Kultur», sagt sie freudig. «Kinder hingegen sind sofort neugierig und offen. Viele haben vorher vielleicht noch nie eine schwarze Frau live gesehen», sagt sie schmunzelnd.
Wenn sie sich an ihre ersten Tage in Grosshöchstetten erinnert, muss sie lachen. Damals spazierte sie mit ihrem Mann durch das Dorf zum Schloss Wyl. «Da war niemand auf der Strasse», erzählt Onyango. «Ich fragte ihn: ‹Wo sind all die Leute?› Denn in Kenia sind die Menschen immer draussen!» Es war Ende 2009 und die Temperaturen lagen weit unter null. «Ich sah damals auch zum ersten Mal Schnee, das war fantastisch!»
Onyango ist in einem Aussenquartier Nairobis aufgewachsen, wo sie auch zur Schule ging. Ihre Mutter ist Sekretärin bei der Regierung, ihr Vater Automechaniker. Alles in allem empfand Onyango den Neuanfang im Emmental als nicht besonders schwierig, da sie bereits vorher oft geschäftlich in anderen Ländern wie Madagaskar, Tansania oder Dubai unterwegs war. «Klar, hier war alles anders, und ich startete ein neues Leben. Aber ich war neugierig», sagt sie, rührt in ihrem Cappuccino und schaut über das Grün der Hügel. Sie liebt das ländliche Leben im Emmental und kann sich gar nicht mehr vorstellen, woanders zu leben.
Gleiches Interesse: der Tourismus
Onyango ist fokussiert und weiss genau, wo sie beruflich hin will. Umwege liegen ihr nicht. Und sie ist begeistert von der Schweizer Pünktlichkeit. Vor allem schätzt sie, dass alles so gut organisiert ist. «Ich mag das sehr», sagt sie. «Gerade auf der Arbeit. Man ruft jemanden an, bestellt etwas und es wird schnell geliefert – ob das Waren oder Informationen sind.»
An ihrer Weiterbildung am BZI Interlaken interessiert sie sich am meisten für die Bereiche Eventmanagement, Corporate Functions und Produkteinführung. Auch Mystery-Checks liegen ihr sehr. Die seien spannend und extrem lehrreich, da man auf kleinste Details achten müsse. Auch das Organisieren von Events begeistert sie. Kürzlich unternahm die Klasse eine dreitägige Studienreise von Zermatt über Raron nach Leukerbad VS. Sie haben alles selber geplant, geführt und umgesetzt. Onyango war in ihrem Element, und die Zusammenarbeit mit den Mitstudierenden gefällt ihr: «Wir haben alle das gleiche Interesse: Tourismus. Das verbindet.»
Ende Jahr wird sie die Weiterbildung abschliessen. Sie verzieht leicht das Gesicht. «Ich habe Respekt vor den Prüfungen – wegen der Sprache», sagt sie. Unbegründet, sie wird den eidgenössischen Fachausweis «Gästebetreuerin im Tourismus» einstecken. Es wäre nicht Onyango, wenn sie nicht schon Pläne für danach hätte. «Ich würde sehr gern im Eventbereich oder in einem Hotel an der Rezeption mit Tourenorganisation arbeiten», sagt sie.
Zwischen der Schweiz und Kenia sieht sie keine grossen touristischen Unterschiede. Klar, in Kenia sei das Meer präsenter und in der Schweiz die Berge. «Aber die Gäste wollen hier wie dort einfach die Ferien geniessen», führt sie aus. «Eigentlich erwartet jeder Gast überall dasselbe: guten Service, Freundlichkeit, perfekte Organisation. Kundenbedürfnisse sind wichtig, die muss man schnell erkennen.»
Zu Hause im Emmental
Was definitiv anders ist: das Essen. Doch die Umstellung fiel Onyango leicht. «Es gibt so viele leckere Sachen in der Schweiz!», sagt sie. «Nur Milch und Käse war in der Menge neu für mich.» Ihr liebstes Schweizer Gericht ist Rösti und Kartoffelgratin. Sie vermisst aber das kenianische Hauptessen Ugali und Sukumawiki: weisses Maismehl mit Federkohl, welche zusammen mit Fleisch, oder was gerade da ist, verzehrt werden. Hier im Emmental kocht sie meist schweizerisch oder italienisch. Sie liebt auch Frankreich. «Irgendwo im Burgund zu sitzen und ein Glas Wein geniessen, wunderbar!», sagt sie strahlend.
Wie fest vermisst sie Nairobi? «Natürlich vermisse ich meine Familie und meine Freunde», sagt Onyango. Dank moderner Kommunikation spricht sie täglich mit ihrer Mutter, kürzlich war ihre Schwester zu Besuch und einmal im Jahr fliegt sie mit ihrem Mann nach Hause. «Ich wohne seit sieben Jahren hier, das ist jetzt mein Daheim. Ich bin angekommen. Auch wegen des Berufs, den ich bald wieder ausüben kann. Das habe ich mir lange gewünscht. Und es wird hoffentlich bald mit einer Stelle im Tourismus klappen.»
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★ Grace Onyango:
Die 38-jährige Kenianerin ist in Nairobi geboren und aufgewachsen, wo sie als Eventmanagerin und Reisejournalistin arbeitete. Seit 2012 ist sie im Emmental zu Hause. Die Tourismusbranche ist ihr eine grosse Herzensangelegenheit, deswegen absolviert Grace am BZI Interlaken (siehe Kästchen rechts) die Weiterbildung «Gästebetreuerin im Tourismus». Neben Deutsch und Englisch spricht sie Swahili, die Nationalsprache Kenias, sowie ihre Muttersprache Luo. Luo? Sie lacht. «Wir haben 42 Sprachen in Kenia und jede dieser Sprachen hat noch Dialekte.»
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GÄSTEBETREUER/IN IM TOURISMUS (mit eidgenössischem Fachausweis)
Die Weiterbildung des einjährigen Lehr- gangs am BZI (Bildungszentrum Interlaken) richtet sich an Berufsleute und Wiedereinsteiger der Tourismus-, Reise- und Freizeitbranche. Die Kosten inklusive Material und Prüfungsgebühren belaufen sich auf ungefähr 11 000.– Franken. Nach erfolgreichem Abschluss übernimmt der Bund etwa 40 Prozent an Subventionen. NEU: Die Schweizer Berghilfe bezahlt (bis Ende 2019) 50 Prozent an Weiterbildungs- lehrgänge, wenn sich der Arbeitgeber in einem Berggebiet befindet und weniger als 50 Vollzeitäquivalente aufweist. Der nächste Lehrgang startet am 24. Oktober 2019.
Hier gehts zur BZI Weiterbildung
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Hotellerie
Tourismus
Vom kenianischen City-Girl zum Berner Landmeitschi
Corinne Nusskern – 07. August 2019
Die Kenianerin Grace Onyango ist von Nairobi im Berner Emmental gelandet. Zurzeit lässt sie sich zur «Gästebetreuerin im Tourismus» weiterbilden. Sie erzählt, wie es dazu kam und was sie sich für ihre berufliche Zukunft wünscht.