Tourismus

Schweres Tief über der Schweiz

Peter Grunder – 18. Februar 2017
Tourismus ist aus globaler Sicht eine boomende Branche. Regional und national sieht es teilweise miserabel aus, und die Schweiz hat grundsätzlich keine guten Karten.

«Eine vergleichbare Phase fortgesetzten, soliden Wachstums hat es seit den 1960er Jahren nicht gegeben», hält die Welt-Tourismus-­Organisation (UNWTO) in ihrem aktuellen Welt-Tourismus-Barometer fest. 2016 war demnach seit der Finanzkrise um 2009 das siebte Jahr in Folge, in dem touristische Frequenzen und Umsätze weltweit zugenommen haben (siehe Grafik). Über 1,2 Milliarden grenzüberschreitende Ankünfte hat die UNWTO letztes Jahr bilanziert, 2005 waren es erst etwa 800 Millionen gewesen. Die entsprechenden Einnahmen von diesen ausländischen Gästen haben 2016 umgerechnet etwa 1,5 Billionen Franken erreicht, 2005 hatte man noch bei rund 850 Milliarden Franken gestanden. Tourismus ist mit diesen Zahlen laut UNWTO der weltweit drittwichtigste Exportzweig. Dies hinter der Chemie- und der Erdölbranche, die 2016 je etwa 1,9 Billionen Franken an Exporteinnahmen lösten, aber noch vor der Automobil- und der Lebensmittelindustrie – mit jeweils rund 1,3 Billionen Franken etwas weniger exportstark als der Tourismus. Vom guten Geschäftsgang weltweit scheint die UNWTO beinahe etwas überrascht: «Der Tourismus hat in den letzten Jahren ausserordentliche Stärke und Widerstandskraft bewiesen, und zwar trotz vielen Herausforderungen, namentlich bezüglich der Sicherheit.» Vorab Terrorregimes, Anschläge und Flüchtlingsbewegungen haben den Tourismus in den letzten Jahren teilweise enorm beeinträchtigt: So hat Ägypten innert fünf Jahren mehr als die Hälfte seiner Export-einnahmen aus dem Tourismus verloren – und die Türkei allein zwischen 2015 und 2016 knapp ein Drittel. Weil Europa ebenfalls einer der Brennpunkte ist, ist die Region nicht mehr der touristische Antriebsmotor früherer Jahrzehnte: So bleibt Frankreich mit über 80 Millionen Ankünften zwar immer noch das meistbesuchte Reiseland der Welt. Aber in den letzten zwei Jahren stockt es dort, bei den Einnahmen resultierte seit 2014 gar ein Minus von mehr als 10 Prozent. Die Schweiz steht auch nicht besonders gut da. Aktuell hat das mit Absetzbewegungen namentlich asiatischer Märkte zu tun – im letzten Sommer hat die Schweiz gut 22 Prozent der chinesischen Hotelübernachtungen eingebüsst. Die Schweizer Schwäche hat aber vorab grundsätzliche Ursachen. Tourismus ist für hochentwickelte Volkswirtschaften keine attraktive Branche. Denn im Tourismus ist vom Zuweisen bis zum Putzen immer viel ­Arbeit notwendig, die relativ wenig Qualifikation erfordert. Weil aber Arbeit in hochentwickelten Ländern immer teuer ist, hat es der Schweizer Tourismus im weltweiten Konkurrenzkampf schwer und immer schwerer. Die Preise bleiben hoch, aber die Margen so tief, dass Reinvestition fast unmöglich ist – ein dramatischer Teufelskreis, der noch verschärft wird durch die Unverschämtheit überhöhter Importpreise. Die grosse Arbeitsintensität im Tourismus und der harte internationale Wettbewerb bringen den Schweizer Tourismus in eine schwache Position auf dem hiesigen Arbeitsmarkt – was mit dazu führt, dass im Schweizer Tourismus so viele Leute aus weniger entwickelten Volkswirtschaften arbeiten. Handkehrum ist Tourismus interessant für wenig entwickelte Länder: Die Branche kann mit viel unqualifizierter Arbeit einiges eintragen, zumal Touristen grundsätzlich relativ wohlhabend und ausgabefreudig sind – die UNWTO empfiehlt denn auch Tourismus als wirtschaftlichen Entwicklungsmotor. In der Schweiz hingegen ist Tourismus nicht nur volkswirtschaftlich uninteressant, sondern auch politisch: Vorab mangelnder politischer Wille hat im 21. Jahrhundert dazu geführt, dass selbst die Schweizer Tourismusstatistik international abfällt: Als eines von ganz wenigen Ländern weltweit liefert die Schweiz bei den Frequenzen nur die Hotelübernachtungen an die UNWTO. Und obschon nach einem Unterbruch von etwa zehn Jahren inzwischen wieder hoheitliche Daten zur Parahotellerie vorliegen, sind diese nicht ins jüngste Tourismus-Barometer eingeflossen. Die Schweizer Zahlen zu den Frequenzen sind darum international so unbrauchbar wie peinlich. Das jedoch scheint der offiziellen Schweiz, die im 20. Jahrhundert quantitativ und qualitativ noch eine international hochgeachtete Tourismusgrösse gewesen war, egal zu sein – so egal wie die teilweise existenziellen Krisen im Schweizer Tourismus: Erst kürzlich hat Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann allen Ernstes erklärt, mit dem Schweizer Tourismus sei alles in Ordnung. www.unwto.org