Schweiz Tourismus: «Wir sind an einem Wendepunkt angelangt»

Reto E. Wild – 15. August 2024
Zum Ende der Sommerferien hat Schweiz Tourismus (ST) der Branche den Puls gemessen. ST-Chef Martin Nydegger spricht von drei Kernergebnissen und bereitet mit «Travel better» die Zukunft vor.

«Der Juni ist ins Wasser gefallen. Das hat uns stark getroffen», sagt Martin Nydegger ohne Umschweife an einem Mediengespräch in Zürich. Der Dauerregen habe zu Stornierungen geführt und Spontanbuchungen gehemmt, wobei der heimische Markt besonders wetterfühlig sei. Vor allem das Tessin, Teile von Graubünden und das Wallis seien von Stornierungen betroffen gewesen. Das sind Regionen mit teils relativ hohen Anteilen an Schweizer Gästen.

Der Juli hingegen sorgte für eine «zufriedenstellende Sommersaison», so Nydegger. Schweiz Tourismus habe allerdings festgestellt, dass die «Schweizer im Ausland interkulturelle Begegnungen suchen». Sprich: der Schweiz für Ferien den Rücken kehren. Der starke Franken habe diesen Trend verstärkt. «Nun hoffen wir, dass wir den Juni mit einem tollen Herbst kompensieren können.»

Die zweite Erkenntnis des obersten Schweizer Tourismuswerbers: Die Städte haben sehr gut gearbeitet. Basel stellte im ansonsten schwierigen Monat Juni einen neuen Rekord auf. Auch Zürich verzeichnet starke Sommermonate. Die Begründung für die unterschiedliche Entwicklung zu den Berggebieten und dem Tessin: «Die Städte haben eher einen höheren Anteil an Ferngästen, die nicht wetterabhängig sind. Je nach Markt freuen sie sich sogar über Wolken und Regen.»

Dabei stellen die amerikanischen Gäste den zweitwichtigsten Auslandmarkt und kommen immer näher an Deutschland ran. Asien hingegen kommt noch nicht an die Zahlen wie vor der Pandemie. Der chinesische Markt beispielsweise schafft nur etwa die Hälfte der Gäste wie vor Corona.

Nydeggers dritte Erkenntnis: Die Tatsache, dass es im Tessin an Ostern, Pfingsten und Auffahrt regnete, die Arbeiten am Basistunnel noch immer nicht abgeschlossen sind und zusätzlich die A 13 überflutet wurde, hat sich auf die Nachfrage entsprechend ausgewirkt. Angelo Trotta, Direktor Ticino Tourismus, sagt: «Im Vergleich zum Juni des letzten Jahres war der erwartete Rückgang spürbar, und auch für den Juli rechnen wir mit einem ähnlichen Ergebnis.» Von einem anspruchsvollen Sommer spricht genauso das Saisonmonitoring der Seilbahnen Schweiz für das Sommergeschäft der Bergbahnen bis Ende Juli 2024.

Hotelauslastungen steigern

Martin Nydegger möchte in Zukunft neben den Logiernächten die Hotelauslastungen in die Strategie einfliessen lassen. Die Schweizer Hotels seien übers Jahr gesehen nur zu 50 Prozent belegt.

«Wir haben noch viel zu tun.» Und schweift zu einem anderen Thema: «Wir sind an einem Wendepunkt angelangt. Der Wohlstand der Welt, die Gesundheit der Bevölkerung und die digitalen Informationen fördern die Nachfrage nach Reisen, das sich immer mehr Menschen leisten können. Doch die Konkurrenz ist gross. Es reicht für ST nicht mehr aus, nur die Nachfrage zu fördern.»

Die Tourismusorganisation müsse sich einer weiteren Disziplin aneignen: «dem Lenken. Das ist unser Credo. Wir werden fördern und lenken und nennen das Travel better.» Das Ziel müsse sein, die richtigen Gäste zur richtigen Zeit zu begrüssen und eben nicht nur zur Hochsaison. Es werde Jahre dauern, bis dies erreicht werde.

Roger Federer soll's richten

Doch es passt zu Nydegger, dass er nicht lange fackelt: Die Kampagne mit Roger Federer wird erstmals nicht im Frühling lanciert, sondern bewusst erst am 10. September, um den Herbst anzukurbeln.

Der ST-CEO kann bereits einen ersten Erfolg verbuchen: Vor der Pandemie war für den asiatischen Reiseveranstalter Kuoni Tumlare der August der stärkste Monat. Nun ist es der September. «Grundsätzlich haben wir in der Schweiz touristisch gesehen von Juni bis September Hochsaison. Also gibt es 8 Monate, wo wir richtig Gas geben müssen.»

Frankreich sei, so Nydegger, ein idealer Markt, um diese saisonale Verteilung herbeizuführen – mit Wein und Kulinarik und dem Programm «Grape Escapes», das 60 Unterkünfte in Weingebieten umfasst. «Ein guter Fünftel der französischen Gäste übernachtet inzwischen im Herbst», deutet er an, wohin die Reise für Schweiz Tourismus in Zukunft gehen soll.