Nachhaltiger Tourismus in Kopenhagen: «Die Schweiz kann davon lernen»

Oliver Borner – 23. Juli 2024
Mit Anreizen will Kopenhagen Touristinnen und Touristen dazu bewegen, sich vor Ort nachhaltiger zu verhalten. Tourismusexperte Urs Wagenseil von der Hochschule Luzern (HSLU) ordnet die Idee ein und sagt, ob sich diese auf Schweizer Städte anwenden liesse.

Am Montag startete die dänische Hauptstadt Kopenhagen ein Pilotprojekt für nachhaltigen Tourismus. Unter dem Namen Copenpay will die Stadt Touristinnen und Touristen vor Ort zu nachhaltigen Handlungen motivieren.

An diesem ersten Versuch, der bis zum 11. August dauert, beteiligen sich 24 verschiedene Serviceanbieter in der ganzen Stadt. Ein Restaurant offeriert beispielsweise allen, die zu Fuss oder mit dem Velo ankommen, ein kostenloses Frühstück. Weiter gibt es in einem Park am Nachmittag Gratisapéro für alle, die zuvor einen Sack voll mit Abfällen abgeliefert haben. Konkret wollen die Stadtbehörden erreichen, dass die Ortsbevölkerung den Tourismus nicht als Belastung, sondern als Bereicherung wahrnimmt.

Das GastroJournal hat bei Tourismusexperte Urs Wagenseil, Co-Leiter des Competence Center Tourismus der HSLU, nachgefragt, inwiefern das Anreizsystem erfolgsversprechend ist und inwieweit sich dieses auf Schweizer Städte anwenden liesse.

Urs Wagenseil, was halten Sie von der Idee eines Anreizsystems, wie es die Stadt Kopenhagen in den kommenden Wochen testet?
Urs Wagenseil: Es ist gut, dass touristische Orte und Städte sich bemühen, nachhaltiger zu werden. Das ist ganz im Sinne der globalen Ziele. Alle Aktivitäten hierfür sind willkommen.

 

Was überzeugt Sie am Konzept?
Mit Copenpay verdichtet die Stadt die nachhaltigen Aktivitäten vor Ort und macht sie einerseits für die Touristinnen und Touristen, andererseits auch für die einheimische Bevölkerung sichtbar. Dadurch erhöht sich die Sensibilisierung für ein nachhaltigeres Verhalten aller Menschen in der Stadt. Die Touristinnen und Touristen nehmen diese Eindrücke mit nach Hause und werden dadurch hoffentlich zum Nachdenken über nachhaltiges Verhalten auf Reisen, aber auch im eigenen Alltag angeregt.

 

Gleichzeitig konnte man in der letzten Woche in den Medien Kritik zum Pilotprojekt lesen. Es werde beispielsweise der teils klimaschädliche Anreiseweg nicht berücksichtigt. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Die Kritik ist meiner Meinung nach unberechtigt. Jede Destination und jeder Tourismusbetrieb muss mit Blick auf nachhaltiges Reisen primär das machen, was sie/er direkt beeinflussen kann. Beim Anreiseweg kann die Stadt Kopenhagen und die dortigen Tourismusbetriebe nur für eine nachhaltige An- und Rückreise sensibilisieren, aber einen direkten Einfluss haben sie nicht; der Gast entscheidet schlussendlich eigenständig, wie er/sie das Reiseziel erreichen will – dafür kann man niemanden anderen verantwortlich machen. Und zudem soll Kritik eher da angebracht werden, wo nichts getan wird.

 

Birgt das Projekt nicht die Gefahr, dass mehr Menschen nach Kopenhagen reisen? Schliesslich gibt es etwas gratis, wenn man sich nachhaltig verhält.
Nein, das glaube ich nicht. Die Strahlkraft eines solchen Programmes ist beschränkt und nicht darauf ausgelegt, mehr Gäste nach Kopenhagen zu lotsen. Es geht primär darum, nachhaltiges Verhalten der Menschen am Reiseziel zu verstärken.

 

Die städtischen Behörden sagen offen, dass sie mit ihrem Projekt andere Destinationen inspirieren wollen. Inwiefern ist Copenpay ein Modell für Schweizer Städte?
In gewisser Weise setzen Schweizer Städte, wie übrigens auch viele andere Destinationen, Elemente dieses Projektes schon um. Wir kennen sogenannte City-Cards für übernachtende Gäste, mit welchen man  beispielsweise den öffentlichen Verkehr gratis nutzen kann oder Rabatte bei Museen, Zoos etc. erhält. Explizite nachhaltigkeitsbezogene Inhalte in Kopenhagen hingegen sind sicherlich innovativ und nachahmenswert Es ist tatsächlich so, dass die Schweizer Destinationen in Sachen Nachhaltigkeit noch Luft nach oben haben. Mit dem Programm Swisstainable, bei dem seit 2021 bereits gut 2600 Betriebe und einzelne Destinationen mitmachen (z.B. Genf, Basel, Gstaad oder Luzern), ist die Schweiz auf einem vielversprechenden Weg. Das Potential ist aber längst noch nicht ausgeschöpft. Gut möglich also, dass Ideen, wie eben nun aus Kopenhagen, bald auch in Schweizer Destinationen auftauchen oder ortsspezifisch angepasst werden.

Urs Wagenseil

Urs Wagenseil ist Dozent an der Hochschule Luzern (HSLU). (Bild: zVg)