Tourismus

Schweiz: kein Tourismusland

Peter Grunder – 12. Juli 2017
Zum ersten Mal überhaupt war 2016 die Tourismusbilanz der Schweiz negativ. Ein Alarmzeichen, das kaum jemand wahrnimmt.

Etwas laufe «grundlegend schief», hatte der langjährige St. Galler Nationalrat und Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger schon 2015 gewarnt: «Für ein Tourismusland wie die Schweiz ist das schlicht ein Desaster», hielt er mit Blick auf die Tourismusbilanz fest. Sie näherte sich damals dem Nullpunkt – und 2016 hat sie nun die Grenze durchbrochen und ist negativ geworden. Konkret bedeutet dies, dass die Schweiz per Saldo kein Tourismusland mehr ist: Ausländische Gäste bringen weniger Geld in die Schweiz, als Schweizer Touristen ins Ausland tragen. Die Massenmedien haben die unerfreuliche Premiere zwar vermeldet. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der beunruhigenden Entwicklung jedoch findet kaum statt, jenseits von weichem Euro, hartem Franken und hohen Kosten sind nur vereinzelt Grundsatzdiskussionen auszumachen. Wie beim brutalen, aber schleichenden Strukturwandel im alpinen Ferientourismus dürfte dies vorab damit zusammen­hängen, dass die Krise nicht augenfällig ist:

  • Mit 16 Milliarden Franken erreichten die Einnahmen von ausländischen Gästen in der Schweiz 2016 den zweithöchsten Wert aller Zeiten. Nur 2014 war es noch etwas mehr gewesen (16,3 Mia.) – und der Blick zurück aufs Jahr 2000 (11,2 Mia.) oder 1980 (4,1 Mia.) lässt unsere Zeit gar als goldene Epoche für den Schweizer Tourismus erscheinen.
Dabei geht einerseits unter, dass der langfristige Zuwachs schlicht die Entwicklung der Wirtschaft in der Schweiz und auf der Welt widerspiegelt. Und dabei ist die Zunahme im Schweizer Tourismus im internationalen Vergleich mit anderen Tourismusländern und im nationalen Vergleich mit anderen Branchen miserabel (vgl. Grafik). Erst auf den zweiten Blick ist an­dererseits erkennbar, wie schlecht die Schweizer Entwicklung im entscheidenden Tourismus übernachtender Gäste ist:
  • Volle 130 Millionen Franken fehlen zwischen 2015 und 2016 von ausländischen Gästen, die in der Schweiz übernachteten. Um bei dieser wichtigsten ausländischen Gästegruppe noch weniger Ausgabefreudigkeit festzustellen als 2016 (10,3 Mia.), muss man bis ins Finanzkrisenjahr 2009 zurückgehen (10,1 Mia. Franken).
  • Dieser Rückgang im allgemeinen Zuwachs weist nicht nur auf die Krise alpiner Destinationen hin. Die innert Jahresfrist weg­brechenden 130 Millionen Franken von übernachtenden Gästen deuten auch auf den Preiskampf schweizerischer Beherberger hin.
Dieser Preiskampf ist besonders im Gruppengeschäft mit Asien zermürbender Alltag, zumal noch teilweise extreme Mehraufwände auf der Etage oder am Frühstücksbuffet hinzukommen. Statistisch aber ist auch dieser Kampf kaum erkennbar – und wie die ganze Strukturkrise im Tourismus kaum ein Thema. aaaaa Grafik11 Für eine vergrösserte Ansicht der Grafiken, klicke auf diese. Tourismus hat der Schweiz jahrzehntelang netto rund zwei Milliarden Franken jährlich eingebracht. Das ist vorbei. 2016 resultierte erstmals ein Verlust.

aaaaa Grafik 22 Die beiden roten Linien zeigen, wie Wirtschaftskraft und Beschäftigung im Schweizer Tourismus gegenüber der Gesamtwirtschaft zurückfallen.
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