Tourismus

Richtige Dinge richtig machen

Peter Grunder – 14. September 2017
Urs Wohler hat einen interessanten Berufswechsel gemacht: von einer Tourismusorganisation in ein Tourismusunternehmen.

Er habe es 25 Jahre lang «mit Herzblut gemacht» und hätte nach 11 Jahren im Unterengadin wohl noch dort bleiben können, sagt Urs Wohler. Ende letzten Jahres aber verliess er die «Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG», eine Destinationsmanagementorganisation (DMO), die er mit aufgebaut und gut aufgestellt hatte. «Von Zeit zu Zeit stellt man sich Fragen», erläutert der verheiratete Vater heranwachsender Kinder – persönliche Fragen, berufliche Fragen. Das Inserat der Niesenbahn habe ihn angesprochen: «Eine erfolgreiche Firma, eine klare Strategie, ein wichtiger Arbeitgeber, ein attraktives Produkt.» Jeder Schritt bedeute zwar grundsätzlich Unsicherheit. Beunruhigt habe ihn der Wechsel von einer DMO zu einem Leistungsträger aber nicht: «Das Risiko ist kalkulierbar, wenn es strategisch und operativ gut läuft.» Das sei bei der Niesenbahn gegeben, schliesslich gebe es das Unternehmen schon seit 110 Jahren. «Eine DMO hat einen anderen Auftrag als eine Bergbahn, das darf man nicht gegeneinander ausspielen», stellt Wohler klar: «Eine DMO verkauft das, was es bei ihr gibt, während ein Unternehmen für seine Angebote, Produkte und den Verkauf selber zuständig ist – das nimmt einem niemand ab.» Tourismusorganisationen hätten zwar teilweise eigene Einnahmen aus Verkäufen und teilweise machten sie auch bei der Angebots- und Produktegestaltung mit. «Aber Gäste zu holen, ist nicht der Job der DMO, sondern mein Job als Leistungsträger», findet Wohler. Die allgemeinen touristischen Angebote, meist finanziert durch kommunal erhobene Kurtaxen, fielen damit letztlich in die Verantwortung der Gemeinden, und die buchbaren Produkte seien Sache der Leistungsträger. Die DMO wiederum bleibe territorial verankert, dürfe sich aber nicht mehr aufs Territoriale beschränken. Grundsätzlich wirke sie als «Dienstleister für die Leistungsträger». Die Dienstleistung bestehe vorab darin, die Produkte der Lei­stungsträger und die Angebote im Gebiet einer DMO «möglichst raffiniert zusammenzufassen und zu bewerben». Diese Aufgabe gebe der DMO einen «wesentlichen Einfluss auf das Gesamtbild eines Destinationsraumes». Weil eine DMO ihre Marktsicht einbringe und mit unterschiedlichsten Anspruchsgruppen zu tun habe, setze sie auch unweigerlich Impulse – und deshalb komme den Chefs der DMO auch nach wie vor eine grosse Bedeutung zu. Die Niesenbahn erwarte insofern von ihrer DMO, aber auch von den übergeordneten BETourismus und Schweiz Tourismus eine «Erhöhung der Reichweite». Dort, wo die Niesenbahn mangels Masse nicht hinkomme, aber potenzielle Gäste seien, sollen die Marketingorganisationen die Niesenbahn auch gegen Bezahlung mitnehmen. «Wenn man gemeinsame Nenner hat, geht das einfach», drückt Wohler grosse Worte gelassen aus. Zwar seien Leistungsträger eher einem Aktionariat oder anderen Eigentümern verpflichtet, während Tourismusorganisationen kompliziertere Anspruchsgruppen hätten. Aber alle stünden eigentlich vor derselben Aufgabenstellung: Sich zu fragen, wo sie stehen, wohin sie gehen und wie sie das anstellen. Ob Tourismusorganisation oder Tourismus­unternehmen: Bei Schwierigkeiten sei es jeweils dienlich zu schauen, ob die Hausaufgaben gemacht seien. «Die operative Ebene ist kaum je das Problem, es ist fast immer die strategische Ebene», weist Wohler auf einen systemischen Haken nicht nur im Tourismus. Es gehe ihm «nicht um Tourismuskritik», betont er: Die Tourismusorganisationen und die Leistungsträger arbeiteten in der Regel gut – und manchmal auch zusammen. Aber als strategisch Verantwortlicher die richtigen Dinge zu machen, und als operativ Verantwortlicher die Dinge richtig zu machen, sei nie eine einfache Sache. Und das Tempo wie auch die Dynamik auf den Märkten erleichtere die Arbeit auch nicht. Grundsätzlich helfe es, wenn man sich in einer DMO als Firma verstehe – und in einer Firma versuche, gegenüber der Destination anschlussfähig zu bleiben: «Ideal ist eine zielgerichtete Absprache zwischen den Vermarktungsorganisationen und denjenigen Akteuren, die Handlungsspielraum haben». Die Niesenbahn hat diesen Spielraum: Das Unternehmen operiert nur im Sommer, arbeitet seit jeher überwiegend auf dem Schweizer Markt und ist gut erreichbar. Unter Verwaltungsratspräsident Daniel Fischer, einst DMO-Erfinder in Saas-Fee, unter Wohlers Vorgänger Roger Friedli sowie der gastgewerblichen Leitung von Maria Hari hat sich die Niesenbahn zudem so breit aufgestellt, dass die letzten Jahre sehr erfolgreich waren, zumindest bei schönem Wetter. Den Schweizer Tourismus sieht Urs Wohler da in einer schwierigeren Lage: Die Logiernächte stagnieren seit Jahrzehnten, die Perspektiven im Euroraum bleiben unsicher, die Märkte insgesamt launisch. Im Winter wiederum fallen die Preise, während die Kosten steigen und die Nachfrage strukturell nachlässt. Daraus ergeben sich Mehrklassengesellschaften, und zwar sowohl bei Bergbahnen wie auch bei Destinationen – hier überlaufene Topziele, dort stille Tourismusorte mit sterbenden Betrieben: «Das Marktumfeld bleibt extrem anspruchsvoll.»