Tourismus

Noch keine freie Fahrt

Johanne Stettler – 24. August 2017
Der öffentliche Verkehr in der Schweiz stützt sich auf rund zwanzig verschiedene Tarifsysteme. Für die Touristen ist es nicht ein-fach, sich in diesem Tohu­wabohu zurechtzufinden.

Kann in der Schweiz mühelos von einem Punkt A zu einem Punkt B gereist werden? Dank zahlreichen funktionsfähigen Infrastrukturen und der Pünktlichkeit kann diese Frage bejaht werden. Wer allerdings nicht im Besitze eines General- abonnements ist, mit dem man praktisch in der ganzen Schweiz umherreisen kann, muss für dieselbe Strecke ein, zwei oder sogar bis zu drei ­verschiedene Billette lösen. Was bereits für hiesige Konsumenten ziemlich kompliziert ist, wird für Gäste regelrecht zur Knobelaufgabe. Die Touristen werden allerdings nicht ohne speziell auf sie zugeschnittene Lösungen im Regen stehen gelassen. Wer die Schweiz auf und ab bereisen will, kann mit dem Swiss Travel Pass quasi das gesamte ÖV-Netz abfahren und zudem von Eintrittskarten zu Museen profitieren. Für diesen dreitägigen Schlüssel zur Freiheit müssen die Touristen jedoch 216 Franken hinblättern. Verschiedene Destinationen wie Lausanne, der Jura, Interlaken oder Davos-Klosters überreichen Gästen, die mindestens eine Nacht im Hotel buchen, eine Gästekarte mit freier Fahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer allerdings keine solchen Angebote hat, steht vor einer komplizierten Ausgangslage – der Schweizer ÖV war ums Jahr 2000 mit dem «Easy Ticket» an einer Vereinheitlichung gescheitert. Das Beschaffen von Fahrkarten könne «zum Hindernis werden und das Erlebnis trüben», erklärt denn auch Roland Schegg, Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Tourismus in Siders. Die Problematik der vielen verschiedenen Tarifsysteme in der Schweiz wurde kürzlich bei einer Konferenz im Walliser Städtchen thematisiert, wie Ueli Stückelberger bestätigt, Direktor Verband öffentlicher Verkehr (VÖV): «Diese Inkompatibilität stellt für den Kunden ein Problem dar. Je mehr die Tarife vereinfacht werden, desto einfacher gestaltet sich deren Verkauf.»

Marielle Müller studierte an der ­Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Bauingenieurwissenschaften. In ihrer Masterarbeit, die 2006 publiziert wurde, fasst sie die Situation zusammen: «Der öffentliche Verkehr (ÖV) in der Schweiz bietet eine sehr breite Palette an Produkten an, die von Intercitys zum S-Bahn-Netz, über Regionalzüge, Stadttrams, Busse, bis hin zu Schiffen oder Seilbahnen reicht. Die aktuellen Preismodelle und Tarifsysteme der öffentlichen Verkehrsmittel in der Schweiz sind oftmals kompliziert, und die Kunden haben grosse Mühe, sich hier zurechtzufinden. Wer mit dem ÖV reist, muss ein System bestehend aus Zonen, Radien und Kreisen erfassen können, aber auch Tarife verstehen, die abhängen von Distanz, Abonnement und Spezial- rabatten. In der Tat gibt es in der Schweiz zwei Haupt-Tarifsysteme. Einerseits das nationale Tarifsystem, der direkte Verkehr, bei dem die Preise je nach Anzahl zurückgelegter Kilometer variieren, andererseits die 18 regionalen Verkehrs- und Tarifverbunde wie Mobilis in Lausanne, ZVV in Zürich­ oder Libero in Bern und Solothurn, wo die Preise meistens nach Zonen berechnet werden. Sogar das Organ zur Koordination der verschiedenen Fahrkarten, ch-direkt, räumt ein, dass das helve- tische Modell vereinfacht werden könnte. «Die Systeme haben sich mit der Zeit gewandelt, doch haben sich auch die Mobilitätsbedürfnisse der Reisenden und die technischen Möglichkeiten verändert. Auch sind die Gültigkeitsbestimmungen anderer Unternehmen nicht deckungsgleich. Demzufolge ist es schwierig, die passende Fahrkarte zu wählen», erklärt Monika Moritz, CEO bei ­Direkter Verkehr Schweiz. Im Ausland statuiert Dänemark (siehe weiter unten) ein Exempel. Das nordische Land bringt bereits seit mehreren Jahren Klarheit ins ­Tarifsystem. Eine einmalige, wiederaufladbare Chipkarte ermöglicht den Einheimischen – sowie den Touristen aus dem Ausland –, sich bequem im ganzen Land fortzu­bewegen. «Eine solche Vereinheitlichung wäre auch für die Schweiz wünschenswert. Alle Ideen, die das Leben der Touristen vereinfachen, sind willkommen! Damit eine solche Karte entstehen kann, müssten sich alle Transportgesellschaften einig sein. Dies ist keine Utopie, denn für die Einwohner gibt es bereits den Swiss Pass», sagt Véronique Kanel, Mediensprecherin bei Schweiz ­Tourismus. Langsam, aber sicher kommt die Schweiz ihrem Ziel näher. Das ­dänische Konzept sei in unserem Lande jedoch nicht umsetzbar, sagt Monika Moritz: «Die Investitionskosten sind zu hoch.» Es werden aber andere Modelle geprüft. Die SBB, PostAuto und die BLS testen seit Juli die Applikation Lezzgo, mit der per Smartphone ein E-­Ticket gekauft werden kann. Beim Einsteigen startet der Fahrgast die App und stoppt sie wieder, sobald er die gewünschte Haltestelle erreicht hat. Die Reisekosten werden anschliessend direkt von seiner Kreditkarte abgezogen. Falls die Testphase erfolgreich ist, soll das System auf das ganze Land ausgedehnt werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob dieses Modell ebenfalls für Besuchende aus dem Ausland zugänglich ist. Was ist mit Personen, die während ihrem Aufenthalt keinen Zugriff auf ihr Smartphone haben (Roaming-Daten), oder die schlicht und einfach nicht über die nötige Technologie verfügen? «Für diejenigen, die sich nicht registrieren wollen oder die kein Mobiltelefon haben, werden die normalen Billette immer zur Verfügung stehen», antwortet Monika Moritz, CEO von ch-direkt. Unser Land ist also auf gutem Wege, doch es gibt noch viel zu tun.

Das dänische Modell: ein interessantes Beispiel

Dänemark bietet ein interessantes E-Ticket für Bus, Zug oder Metro verschiedenster Transportun­ternehmen. GastroJournal hat mit Maj Katja Rose vom Marketing der Gesellschaft Rejsekort A/S gesprochen, die das staatlich abgestützte System betreibt. GJ34 grosplan danemark GastroJournal: Wie funktioniert diese Karte genau?
Maj Katja Rose: Es handelt sich um eine kontaktlose Chipkarte, die den Reisenden einerseits als E-­Ticket, andererseits als Zahlungsmittel dient. Die Kunden können eine ­sogenannte «Rejsekort» kaufen und sie auf der Online-Plattform oder an einer Säule selber aufladen. Der Kauf und das Aufladen erfolgen demnach eigenhändig. Der Check-in und der Check-out wird an einer Säule beim Eingang der öffentlichen Verkehrsmitteln abgewickelt. Die Fahrkosten berechnen sich nach der zurückgelegten Distanz und werden direkt vom Guthaben auf der Karte abgezogen. Welche Vorteile ergeben sich für die Kunden?
Die Konsumenten verfügen über ein praktisches E-Ticket, das überall anwendbar ist und weniger kostet als ein normales Billett. Zudem funktioniert die Karte anonym. Wie gelang es Ihnen, diese Idee um­zusetzen?
Alle öffentlichen Verkehrsbetriebe haben gemeinsam ein nationales Fahrkartensystem entworfen. Um die «Rejsekort» umzusetzen und zu betreiben, wurde die gemeinsame Tochtergesellschaft Rejsekort A/S geschaffen. Seit 2012 sind die ­nationalen Züge im System mit eingeschlossen und die Reisekarte im ganzen Land anwendbar. Seither kamen die lokalen und regionalen Busse von Jutland und Fugen etappenweise dazu. Heute sind sogar einige Zugstationen in Malmö in Schweden sowie in Deutschland mit von der Partie. Wie fällt das Feedback der Kunden aus?
Gemäss einer im letzten Jahr bei unseren Kunden durchgeführten Umfrage sind die Nutzer der ­öffentlichen Verkehrsmittel sehr zufrieden. Über 80 Prozent finden die Idee gut oder sehr gut, und für über 70 Prozent hat sich das ­Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln dank dieser Karte ver­einfacht. Bis heute wurden über 2 Millionen Karten ausgestellt und 66 Prozent der Kunden benützen für Fahrten mit den öffentlichen Verkehrs­mitteln ausschliesslich diese ­«Rejsekort». www.rejsekort.dk