Hotellerie

Unsere Geschichte, unser Erbe

Christine Bachmann – 24. August 2017
Seit März 2008 existiert das Hotelarchiv Schweiz, das sich zur Aufgabe gemacht hat, gastgewerblich Historisches zu archivieren, auszustellen und für den Alltag nutzbar zu machen.

Was hat historischen Wert? Was soll aufbewahrt werden, was nicht? Und wie kann ein Gastgeber Historisches aus seinem Betrieb für sein Marketing nutzen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Evelyne Lüthi- Graf, Archivarin und Geschäftsführerin des Hotelarchivs Schweiz. «Viele gastgewerbliche Betriebe besitzen geschichtlich weit zurückreichende Archive sowie historisches Mobiliar, wissen aber nicht, was sie damit anfangen sollen. Ich kann ihnen aufzeigen, wie sie ihre Schätze für die Nachwelt bewahren und für ihren Betrieb nutzbar machen können, indem sie deren Geschichte erzählen», hält Lüthi-Graf fest. Ein aktuelles Projekt-Beispiel hierfür sei die Erschliessung (Anm. d. Red.: Archivierung) historischer Tapeten im Hotel Nest- und Bietschhorn im Lötschental (nominiert für den Hotel Innovations-Award 2016). «Die Gastgeber dort sind beim Umbau auf kunstvolle, alte Tapeten gestossen, und jetzt sind wir daran, diese der Nachwelt zu sichern, sowie herauszufinden, woher sie stammen. So ein Fund ist doch eine wunderbare Geschichte für ein Hotel, denn Gäste mögen Geschichten, das dürfen wir nicht vergessen.»

Von der Geschichte vor Ort zu jener des Hotelarchivs Schweiz, das seine Entstehung einer wissenschaftlichen Arbeit von Evelyne Lüthi-Graf verdankt. In dieser war die Archivarin der Frage nachgegangen, «wie man mit dem Schweizer Hotelerbe umgehen und es institutionalisieren soll». Denn Tatsache sei: «Viele alte Archive und Bestände in der Hotellerie, aber auch Gastronomie sind in den letzten Jahrzehnten verlorengegangen oder werden noch verloren gehen», bedauert Lüthi-Graf.

Doch eine theoretische Arbeit schafft noch kein Archiv? «Nein, dafür brauchte es noch einiges an Effort sowie Unterstützung personeller wie auch finanzieller Art», bestätigt Lüthi-Graf. Eine ganz wichtige Person sei damals der Autor und Historiker Roland Flückiger-Seiler gewesen, der sich mit Lüthi-Grafs Masterarbeit unter dem Arm auf die Suche nach finanziellen Mitteln für die Umsetzung machte – und sie auch fand. «Dank einer grosszügigen Anschubfinanzierung durch Hotelleriesuisse und diversen anderen Unterstützern konnten wir 2008 das Projekt Hotelarchiv Schweiz starten. » Seither hat sich einiges getan: Neben 59 abgeschlossenen Projekten, 35 laufenden sowie 21, die sich noch in der Warteschlaufe befinden, konnte auch eine digitale Datenbank aufgebaut werden, die mit viel Herzblut von Archivarin Graziella Borelli täglich betreut wird.

«Dass wir in den letzten Jahren so viel erreichen konnten, verdanken wir vor allem auch der Unterstützung von Innotour (SECO)», hält Lüthi-Graf fest. Denn ohne diese wäre es nicht möglich gewesen, so viele Bestände zu erschliessen, «insbesondere auch solche von Betrieben, die sich unsere Arbeit vor Ort nicht hätten leisten können». Denn eigentlich könne es nicht sein, dass historisch Wertvolles verloren gehe, nur weil die Eigentümer die finanziellen Mittel zur Erschliessung nicht haben.

Budget für die Erschliessung ihres Archivs haben nicht viele Betriebe. Das Prestige-Objekt des Hotelarchives, das Badrutt’s Palace in St. Moritz, ist da eine Ausnahme. «Hier geniessen wir ein Dauermandat und sind pro Jahr drei bis vier Mal vor Ort», erzählt Lüthi-Graf. Das Badrutt’s Palace sei ausserdem der einzige Betrieb, der sich zwei professionelle Archivräume bauen liess. «Denn wichtig: Wir lassen das archivierte Material in den Betrieben. Einerseits, weil wir gar keinen Platz dafür hätten, und andererseits, weil es dort hingehört und auch dort genutzt werden sollte, wo es entstand», sagt die Archivarin. Und was bewahrt man nun wie lange auf? «Es gibt Dinge, die für eine gewisse Zeit, andere, die für immer einen Wert haben», erklärt Lüthi-Graf. Gewisse Zeit, da rede man beispielsweise von Bau- und Umbauplänen. Diese seien wichtig, aber nicht alle. Hier gelte es zu sondieren. «Für immer aufbewahren würden wir, für die Aussenwelt wahrscheinlich erstaunlich, einzelne bestimmte Rechnungen, Lieferschiene, die häufig weggeworfen werden.» Denn durch sie könne vieles rekonstruiert werden.

In die Betriebe kommt Evelyne Lüthi- Graf «entweder weil ich gerufen werde oder mich selber melde, wenn ich an den Objekten interessiert bin, oder wenn Betriebe verkauft oder geschlossen werden». Momentan sei letzteres ein grosses Problem, «weil ich gar nicht die Zeit finde, so viele Betriebe abzuklappern». Neben den zeitlichen und finanziell knappen Ressourcen haben Lüthi- Graf und Borelli auch mit zu wenig Platz zu kämpfen. Denn dort, wo die erschlossenen Gegenstände nicht vor Ort gelagert werden können, gehen sie an das Hotelarchiv Schweiz über. «Wir besitzen ein Lager mit rund 300 m2 historischem Mobiliar, das aber inzwischen aus allen Nähten platzt», bedauert Lüthi-Graf.

Hier finden sich Schätze wie beispielsweise ein Haus-Tennis-Turnier-Pokal des Royal Savoy in Lausanne: «Der Pokal steht symbolisch für die Geschichte der Tennis-Turniere in der Zwischensaison in den Vorkriegsjahren 1911 bis 1915. Hoteliers haben damals Tennisprofis in ihre Hotels eingeladen und sie gegen die Gäste spielen lassen.» Um für solche und auch andere Gegenstände Platz zu finden, sucht das Hotelarchiv Schweiz zurzeit nach neuen Möglichkeiten – auch online unter www.territet2018.ch. «Denn das Archiv ist unser Erbe, unsere Geschichte », betont Lüthi Graf.

Historische Gasthöfe gesucht!
«Die Gasthöfe in der Schweiz waren die ersten Hotels», erzählt Geschäftsführerin Evelyne Lüthi-Graf und begründet damit ihr Interesse, weshalb sie langfristig auch alte, historische Gasthöfe, «am liebsten ab 1648», im Hotelarchiv Schweiz erfassen möchte. «Vor allem Betriebe, die sich an der Schweizer Grenze befinden, wären hochspannend für uns.» Gastgeber von historischen Gasthöfen, die ihr Archiv öffnen möchten, sollen sich deshalb bitte melden unter: www.hotelarchiv.ch