Nicht wie Caesar an den Iden des März wurde Pierre Chambrin zum Opfer. Nicht im römischen Senat geschah die Tat, sondern im Weissen Haus, und nicht Messerstiche, sondern Federstriche fällten Chambrin, Kochkünstler aus Paris und von der Academie Culinaire de France für sein Lebenswerk ausgezeichnet: Am 3. März 1994 entschied Präsident Bill Clinton, Chambrin müsse seinen Platz als «Executive Chef» räumen – «geopfert auf dem Altar der ‹Nutrinional Correctness›», wie in der Folge zu lesen war.
Der Begriff von «Nutritional Correct- ness», leidlich zu übersetzen mit «korrekter Ernährung» und Pendant zur «Political Correctness», ist also nichts Neues: Festzumachen ist der Begriff schon vor Chambrins Rausschmiss aus dem Weissen Haus, und zwar ganz konkret am «Surgeon General’s Nutrition & Health Report» von 1988. Dabei handelte es sich um einen umfassenden Bericht der US-Regierung zu gesunder Ernährung im weitesten Sinn.
Gut eine Generation später sind die Forderungen von damals in allen entwickelten Gesellschaften angekommen. Der jüngste schweizerische Ausdruck davon ist das neue Lebensmittelgesetz. An dessen Umsetzung war unter dem Stichwort «Largo» auch das Gastgewerbe massgeblich beteiligt, und insgesamt ist die Branche mit den Resultaten einigermassen zufrieden.
Aber es geht weiter mit der korrekten Ernährung, und festzumachen ist das ebenfalls an einer aktuellen politischen Entscheidung in der Schweiz. Um den «schonenden Umgang mit Tieren» zu fördern, seien Panzerkrebse künftig vor dem Töten zu betäuben, teilte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen Anfang Jahr mit: «Das in der Gastronomie übliche Eintauchen nicht betäubter Hummer in siedendes Wasser ist somit nicht länger zulässig.»
Das Verbot ist seit Anfang März in Kraft, und es dürfte das weitgehende Verschwinden des Hummers von den Speisekarten bedeuten. Nun hat der Hummer kein Gehirn, mithin fehlt das Organ, das nach Lage der Dinge Schmerzen und andere Regungen jenseits des Bewegungsapparates und des Vegetativen erfasst.
«Nutritional Correctness» hat damit in doppelter Hinsicht eine grundsätzlich erweiterte Bedeutung angenommen.- Die neue «korrekte Ernährung» geht über den Menschen hinaus, der sich gesund ernähren soll und im Gesundheitsreport der US-Regierung von 1988 im Zentrum gestanden hatte. Ins Visier gerät vielmehr die Kreatur und ihre Regungen. Das Ziel ist nicht mehr nur die gesunde Ernährung, sondern auch jener «schonende Umgang mit Tieren», den die Eidgenossenschaft vorschreibt.
- Die neue «korrekte Ernährung» stellt sich letztlich radikal gegen den traditionellen Umgang mit der Tatsache, dass Tiere töten muss, wer Fleisch essen will: Rituale, die seit Menschengedenken in allen Gesellschaften das Schlachten, Zubereiten und Verzehren von Tieren begleiteten, zählen nicht mehr. Mit der Industrialisierung haben sie sich in ähnlichem Mass verloren, wie die grundsätzliche Bewegung gegen das Töten von Tieren gewonnen hat.
