Tourismus

Innovationskraft und Qualität

Peter Grunder – 27. Juli 2017
Ob Fair-Preis-Initiative, Mehrwertsteuer oder Gewerbepolitik: Bundesrat Johann Schneider-Ammann nimmt Stellung.

Kurz vor der politischen Sommerpause hatte GastroJournal Gelegenheit für ein Interview mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann, dessen Departement viele gastgewerblich und touristisch relevante Bereiche berührt. Aus Termingründen wurde das Interview schriftlich geführt. GastroJournal: Laut Bundesamt für Statistik ist der Saldo der jüngsten Fremdenverkehrsbilanz negativ, laut Branchenspiegel von GastroSuisse schreibt die Mehrheit der Schweizer Hotels und Restaurants rote Zahlen, lebt also von der Substanz. Inwiefern erfüllt Sie das mit Sorge, inwiefern kann der Bund etwas zur Verbesserung beitragen? Johann Schneider-Ammann: Der Tourismus in vielen Regionen hat tatsächlich schwierige Jahre hinter sich, zahlreiche Betriebe erleben eine harte Situation. Vielerorts verläuft die Entwicklung hingegen positiv: In Städten und auch einzelnen Alpendestinationen floriert der Tourismus. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft eine attraktive und erfolgreiche Tourismusdestination sein werden. Die neusten Zahlen und die kurz- und mittelfristigen Aussichten

 «Es stimmt: Der starke Franken macht uns das Leben nicht einfacher»
liefern Grund zum Optimismus: Bereits dieses Jahr wird ein robustes Wachstum von 1,2 Prozent erwartet. 2018 beschleunigt sich das Wachstum sogar auf 2,3 Prozent, das ist mehr, als für die Gesamtwirtschaft erwartet wird. Auch die langfristigen Perspektiven sind vorteilhaft. Die UNWTO erwartet bis 2030 jährliche Wachstumsraten des weltweiten Tourismus von rund 3 Prozent. Aber der Erfolg kommt nicht von selbst, wir haben unsere Hausaufgaben zu machen, primär auch die Branche selbst. Zum Beispiel müssen Regionen und Betriebe die Chancen der Digitalisierung nutzen – und die damit einhergehenden Herausforderungen meistern. Der Bund unterstützt den Tourismus auf zwei Ebenen: Erstens müssen wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern. Zweitens setzen wir verschiedene Förderinstrumente ein, mit denen der Tourismus auch finanziell unterstützt wird. Der harte Franken oder der weiche Euro haben die internationalen Wettbewerbsnachteile von Gastgewerbe und Tourismus weiter verschärft. Gastgewerbe und Tourismus, aber etwa auch die Konsumentenschützer, werfen dem Bund dabei Untätigkeit hinsichtlich der Hoch- preisinsel vor – deshalb musste mit der Fair-Preis-Initiative zum Mittel der Volks­initiative gegriffen werden. Inwiefern können Sie den Unmut darüber nachvollziehen, dass sich die Politik hier nicht bewege, obschon etwa mit der parlamentarischen Initiative Altherr auch parlamentarisch Bewegung gefragt wäre? Zwar ist der Euro zuletzt etwas stärker geworden. Aber es stimmt: Der starke Franken macht uns das Leben nicht einfacher – das gilt für den Tourismus ebenso wie für die Exportindustrie oder den Detailhandel. Aber angesichts der grossen Marktkräfte, die hier spielen, ist eine Beeinflussung schwierig. Und vor allem ist für die Währungspolitik die Nationalbank zuständig; ihre Unabhängigkeit muss gewahrt werden. Der starke Franken zwingt alle betroffenen Branchen, noch innovativer und wettbewerbsfähiger zu werden. Der Schweizer Tourismus musste ja schon seit jeher mit einem starken Franken leben.
«Importerleichterungen zur Bekämpfung der Hochpreisinsel Schweiz»
Auch was die Hochpreisinsel angeht, ist die Kritik schnell ausgesprochen – Lösungen sind hingegen umso schwieriger. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass Vorstösse wie derjenige von Alt-Ständerat Altherr in der Praxis kaum umzusetzen sind und letztendlich mehr schaden als nützen. Letztlich gibt es gegen die hohen Preise und Kosten in der Schweiz nur zwei Instrumente: den konsequenten Abbau von Handelshemmnissen sowie die stetige Verbesserung der Rahmenbedingungen. Mein Departement arbeitet derzeit an einem Massnahmenpaket für Importerleichterungen zur Bekämpfung der Hochpreisinsel Schweiz. In einigen Monaten wird der Bundesrat sich damit beschäftigen. Ebenfalls Unmut herrscht bei den Knebel-Verträgen von internationalen Buchungs- und Bewertungsportalen (OTA). Hier handeln alle umliegenden Länder, nicht jedoch die Schweiz. Warum nicht? Der Bundesrat und ich persönlich sind überzeugt: Wir sind schlecht beraten, wenn wir der neuen digitalen Konkurrenz mit Verboten und Einschränkungen entgegentreten. Die Buchungs- und Bewertungsportale sind ein interessantes Beispiel: Sie bringen den Schweizer Hotellerie- und Gastrounternehmen eine enorme Ausweitung der Reich­weite. Ein kleines Hotel in den Bergen hat plötzlich potenzielle Kunden auf der ganzen Welt – das kostet natürlich auch etwas. Wenn eine Plattform erfolgreich ihren Marktanteil ausbaut, dann sind zuerst die Konkurrenten gefordert, nicht der Regulator. Sollten wettbewerbliche Probleme im Einzelfall auftauchen, reicht unser geltendes Kartellgesetz aus, damit die Wettbewerbskommission angemessen auf diese reagieren kann. Aus Sicht des Bundesrates ist es deshalb zurzeit nicht nötig, in diesem Bereich weitere Regeln einzuführen. Wie Sie wissen, war der Ständerat anderer Ansicht. Warten wir die Debatte im Nationalrat ab! Beim Roaming hat sich jüngst ein weiterer Standortnachteil für die Schweiz ergeben, der besonders den Tourismus betrifft. Gibt es keine Möglichkeiten, dass der Bund hier aktiv wird, um den Nachteil zu beseitigen? Die Preise für Roaming in der Schweiz sind in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Im Rahmen der Revision des Fernmeldegesetzes prüft der Bundesrat dennoch Massnahmen gegen überhöhte Roaming-Gebühren. Der Bundesrat hat hierzu eine Vernehmlassung eröffnet. Zudem prüft die Verwaltung auch unilateral einzuführende Verbesserungen bei den Endkundenangeboten. Der Bundesrat wird seine Botschaft zum Fernmeldegesetz im Herbst dieses Jahres vorlegen. Inwiefern täuscht der Eindruck, dass sich der Bund ganz grundsätzlich und namentlich unter dem Druck der Grossverteiler und Bauernbürokratie wider besseres volkswirtschaftliches Wissen eher zum Protektionismus als zum Freihandel treiben lässt? Ich gebe Ihnen die Antwort in Form einer Liste: Indien, Indonesien, Ma- laysia, Mercosur und Vietnam. Das ist nur ein Auszug derjenigen Länder, mit denen wir derzeit Freihandels-Verhandlungen führen. Der Bundesrat ist überzeugt von der volkswirtschaftlichen Bedeutung offener Märkte. Der Freihandel gehört auch für mich persönlich zu den Prioritäten. In den letzten Jahren ist es uns gut gelungen, auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses auch mit der Landwirtschaft Lösungen zu finden. Zum Beispiel beim Freihandelsabkommen mit China. Die Landwirtschaft muss, wie alle Branchen, bereit sein, zu Lösungen beizutragen; das bringt auch ihr zusätzliche Chancen. Denn tatsächlich verdienen wir jeden zweiten Franken mit dem Ausland. Vom Export-Erfolg hängt unser Wohlstand wesentlich ab. Ob der gigantischen Reserven der Nationalbank, die quasi eine erfreuliche Kehrseite der unerfreulichen Wettbewerbsnachteile sind, mehren sich Stimmen, die einen Staatsfonds fordern, um Infrastrukturaufgaben einfacher zu bewältigen – und zwar nicht nur im Bereich Gastgewerbe und Tourismus, sondern auch im öffentlichen Verkehr, im Gesundheits- oder im Energiebereich. Wie beurteilt die Landesregierung diesen systemischen Ansatz? Der Bundesrat hat sich in den letzten Jahren verschiedentlich mit der Frage eines Staatsfonds auseinandergesetzt und ist stets zum Schluss gekommen, dass dies keine angemessene Lösung ist. Hinsichtlich der Nationalbank habe ich deren Unabhängigkeit schon hervorgehoben – daran gibt es nichts zu rütteln. Nicht zuletzt würde ein Staatsfonds auch in Konkurrenz zu privaten Investoren treten und einen Teil des Risikos auf den Bund übertragen. Das lehnt der Bundesrat ab. Ich habe selber als Schirmherr in den letzten Monaten intensiv mitgeholfen beim Projekt Swiss Entrepreneurs Foundation. Es soll ein privat finanzierter Fonds zur Start-up-Finanzierung entstehen, 500 Millionen Franken sind das Ziel. Solche Initiativen aus der Wirtschaft sind zielführend, nicht staatliche Fonds, mit denen dann zwangsmässig Industriepolitik betrieben wird. Seit die Mehrwertsteuer 1995 in Kraft getreten ist, weist das Schweizer Gastgewerbe zum einen auf einen Systemfehler hin: Ein Grossteil der gastgewerblichen Leistungen werden an auslän- dische Gäste verkauft und müssten also als Export von der MwSt befreit sein. Zum anderen kann ein Grossteil der internationalen Konkurrenz teilweise ex- trem reduzierte MwSt-Sätze abrechnen. Inwiefern können Sie unseren Eindruck nachvollziehen, der Bund wolle gar nicht handeln, weil im Allgemeinen der Königsweg zum Einheitssatz zu mühsam ist und weil es im Speziellen letztlich wenig politisches Interesse am wahltaktisch unbedeutenden und unproduk- tiven Gastgewerbe gibt? Halt, jetzt müssen Sie schon genau hinschauen, statt einfach dem Bund die Schuld zuschieben. Der Bundesrat nahm mehrmals Anlauf zum Mehrwertsteuer-Einheitssatz, wurde aber vom Parlament gebremst. Das Gastgewerbe selber profitiert ja
«Ich teile die Einschätzung nicht, dass die KMU keine Stimme in Bern haben»
von einem reduzierten Sondersatz, den die Eidgenössischen Räte eben für die nächsten zehn Jahre wieder festschrieben. Die Vereinfachung der Mehrwertsteuer ist ein liberales Anliegen, für das ich seit Jahren auch persönlich eintrete. Ein Einheitssatz würde das Gewerbe administrativ massiv entlasten. Weil auch der Tourismus wenig produktiv ist, behaupten viele, die Schweiz habe gar keine Tourismuspolitik – und dass Ihre letzte grosse touristische Standortbestimmung mitten in einer Strukturkrise als «Wachstumsstrategie» daherkam, stützte diese Behauptung eher. Wie man hört, arbeiten Sie jedoch an einem neuen Tourismuskonzept. Verzeihen Sie die polemische Frage: Simuliert der Bund hier Aktivität oder was ist zu erwarten? Der Vorwurf, der Bund habe keine Tourismuspolitik und interessiere sich erst noch nicht
«Wir engagieren uns seit vielen Jahren für den Tourismussektor»
für die Branche, ist aus meiner Sicht weit hergeholt: Wir engagieren uns seit vielen Jahren für den Tourismussektor. Die Unterstützung wurde in der Botschaft zur Standortförderung 2016–2019, die Mittel von rund 460 Millionen Franken zur Verfügung stellt, mit einem zusätzlichen Impulsprogramm über 210 Millionen Franken noch verstärkt. Zudem wurde das Zusatzdarlehen von 100 Millionen Franken an die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit bis Ende 2019 verlängert. Was die Strategie angeht, will ich nicht rückwärts, sondern nach vorne blicken: Das SECO erarbeitet zurzeit in meinem Auftrag eine neue Tourismusstrategie, die dem Bundesrat im Herbst vorgelegt wird. Im Vordergrund stehen die Themen Digitalisierung, Unternehmertum und Rahmenbedingungen. Zur Begleitung und Unterstützung hat das SECO eine Begleitgruppe eingesetzt. Sie setzt sich aus Vertretern der Tourismusbranche und deren Verbände, der Kantone, der Politik und der Wissenschaft zusammen. Damit stellen wir auch sicher, dass die neue Tourismusstrategie breit abgestützt ist. Der Tourismus steckt aktuell in einem mindestens so schwerwiegenden Umbruch wie in den 1990er Jahren, als der Bund weitsichtig handelte: Es kamen das Qualitätsgütesiegel, Innotour, eine Neupositionierung der SGH oder die Umwandlung der SVZ in Schweiz Tourismus. Jetzt steht bei ST ein personeller Umbruch an. Wäre die Zeit nicht jetzt reif und günstig, die Weichen neu zu stellen und von ST über Präsenz Schweiz bis zum Agro-Marketing Schweiz auf Bundesebene eine integrierte Standortförderung anzustossen, wie sie verschiedene Kantone und Städte verfolgen und wie sie die eidgenössischen Räte vor gut zehn Jahren zuletzt versucht haben? Die Tourismusförderung des Bundes ist gut aufgestellt. Das belegen die regelmässigen Überprüfungen. Aber in einem derart dynamischen Umfeld gibt es selbstverständlich immer wieder Anpassungsbedarf. Die Koordination der Tourismuspolitik ist ein gutes Beispiel. Wir haben sie bereits in den vergangenen Jahren verstärkt, sie soll aber weiter ausgebaut werden. Zum einen mit den anderen Sektoralpolitiken des Bundes, zum anderen mit den Kantonen und den Branchenakteuren. Wir dürfen uns aber nicht verzetteln oder bürokratische, ineffiziente Strukturen schaffen, die es gar nicht braucht. Deshalb sollen die bestehenden Gremien genutzt und weiterentwickelt werden. Bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) hat das Gastgewerbe ebenfalls den Eindruck, wenig Gehör zu finden, obwohl kaum eine Branche mehr davon betroffen ist und mehr Erfahrung hat mit ausländischen Arbeitnehmenden. Inwiefern täuscht dieser Eindruck? Diesen Vorwurf weise ich zurück. Das Gastgewerbe wurde in die Erarbeitung der Verordnungsanpassungen zur Umsetzung von Art. 121a BV eingebunden. GastroSuisse war in der Arbeitsgruppe zur Stellenmeldepflicht unter der Leitung des SECO vertreten und konnte so die Erfahrungen und Anliegen des Gastgewerbes stark einbringen. Der Bundesrat hat nun seinen Verordnungsentwurf verabschiedet. Im Rahmen der nun laufenden Vernehmlassung sind auch die Verbände des Gastgewerbes eingeladen, ihre Stellungnahme zum Vorschlag abzugeben. Verschiedene Bundespolitiker sagen, gewerbliche Positionen hätten es in der Schweiz immer schwerer; für früher Selbstverständliches müsse heute gekämpft werden, und bei den Banken habe das Gewerbe praktisch keinen Kredit mehr – und das Gastgewerbe gar keinen. Manche finden sogar, das Gewerbe habe aufgrund von Entwicklungen etwa im Bereich Lobbying, wo das Gewerbe wegen seiner Kleinstrukturiertheit systemisch behindert ist, politisch den Anschluss komplett verloren – obschon es volkswirtschaftlich nach wie vor tragend ist. Was meinen Sie? Mir macht durchaus auch Sorgen, dass in der Schweiz die Rahmenbedingungen gerade für KMU teilweise verschlechtert statt verbessert werden. Oft geht es zum Beispiel bei der Bürokratie einen Schritt vorwärts und dann wieder zwei Schritte zurück. Dagegen wehre ich mich. Ich teile Ihre Einschätzung aber nicht, dass die KMU keine Stimme in Bern haben. Ihre Branchenverbände ebenso wie der Gewerbeverband SGV wissen sich durchaus Gehör zu verschaffen!
«Digitalisierung und Globalisierung bringen viel Unsicherheit mit sich»
Aus meiner Sicht sind zwei andere Faktoren massgeblich: Einerseits geht es uns wirtschaftlich insgesamt immer noch sehr gut. Auch in der Politik sind sich zu viele nicht bewusst, dass wir für den Erfolg weiterhin hart arbeiten müssen. Und zweitens bringen Entwicklungen wie Digitalisierung und Globalisierung viel Unsicherheit mit sich. Da ist der Gedanke nah, durch mehr Regulierung und Verbote Sicherheit zu schaffen. Wie ich hinsichtlich der Buchungsportale ausführte, halte ich das aber für den falschen Weg. Inwiefern sind Sie zuversichtlich für das Gastgewerbe und den Tourismus in der Schweiz, inwiefern nicht? Ich bin zuversichtlich, weil ich an die Innovationskraft und die Qualität unseres Gastgewerbes und unserer Tourismuswirtschaft glaube! Ich erlebe in vielen Gesprächen eine anpackende und optimistische Stimmung. Da wird unternehmerisch gehandelt, statt auf Hilfe aus Bundesbern zu warten. Nachdenklich stimmt mich, wenn vereinzelt die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden. Digitalisierung ist eine Realität und wird immer mehr auch den Tourismus prägen. Das bietet der Schweiz grosse Chancen – nutzen wir sie!