Tourismus

Die neue Tourismusstrategie, der Bundesrat und der Präsident

Peter Grunder – 23. November 2017
Am 6. Tourismus Forum Schweiz hat Bundesrat Johann Schneider -Ammann die neue Tourismusstrategie des Bundes vorgestellt. GastroJournal hatte die Gelegenheit, nicht nur mit dem Bundesrat zu sprechen, sodnern auch mit Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse.

Bundesrat und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sei «die treibende Kraft hinter der Erneuerung der Tourismusstrategie», sagte letzte Woche am Tourismus Forum Schweiz der zuständige Bot­schafter Eric Jakob vom Staats­sekre­tariat für Wirtschaft Seco. Schneider-­Ammann widersprach in der Folge: «Ich glaube definitiv nicht, dass ich die treibende Kraft bin – aber ­interessiert.» GastroJournal: Herr Bundesrat, was sind Ihre besonderen Anliegen an die Unternehmer im Tourismus mit Blick auf die Strategie?
Johann Schneider-Ammann: Mein wichtigstes Anliegen ist, dass die Strategie wirkt. Das bedingt unter anderem, dass alle mitmachen und zusammenarbeiten. Und mir ist wichtig, dass sich die Unternehmer mit der Digitalisierung auseinandersetzen. Die Bedeutung der neuen Technologien nimmt zu. Sie sollen mithelfen, den Tourismus attrak­tiver zu machen, die Produktivität zu steigern und die Wettbewerbs­fähigkeit zu stärken.

«Die neue Strategie des Bundes fördert das Unternehmertum.»
Reicht das Instrumentarium, braucht es nicht auch Hebel wie einen Staatsfonds, der Investitionen in Infrastrukturen oder Start-ups erleichtert, die mangels klassischer Finanzierung sonst kaum eine Chance haben?
Wir fahren auf einer Schiene, die sich bewährt und die Schweiz erfolgreich gemacht hat: Der Staat kümmert sich um die Rahmenbedingungen, damit die Unternehmen möglichst frei agieren und die Märkte funktionieren können. Aber ich helfe derzeit als Schirmherr mit, die ‹Swiss Entrepreneur Foundation› auf die Beine zu stellen, mit einem ausschliesslich privat finanzierten Fonds von 500 Millionen Franken zur Förderung von Start-ups. Es gibt also bessere Lösungen als einen Staatsfonds.

Ist die Tourismusbranche in der Schweiz nicht zu ertragsschwach, als dass sie aus eigener Kraft innovativ sein kann?
Überhaupt nicht, viele Akteure unserer Tourismusbranche sind doch schon heute höchst innovativ! Es braucht ja nicht immer grosse Würfe. Aber jeder Einzelne muss die Hausaufgaben machen, damit er sich auf dem Markt behaupten kann. Wir unterstützen den ­Tourismus – unter anderem mit namhaften finanziellen Mitteln. Aber es wäre völlig falsch, einzelne Branchen vor dem Wettbewerb zu schützen, denn so geben wir den unternehmerischen Geist auf, der auch für Innovationen entscheidend ist. Die neue Strategie des Bundes fördert das Unternehmertum. Casimir Platzer, Gastgeber in Kandersteg und seit 2014 Präsident von GastroSuisse, weist seit Jahren immer wieder auf die Strukturkrise im alpinen Schweizer Tourismus hin. Er hat die existenziellen Heraus­forderungen, die weitgehend durch externe Faktoren wie die Lohn­kosten, die Währungs- oder die Witterungsbedingungen getrieben werden, immer wieder thematisiert – so auch seine Funktionen als Vorstandsmitglied beim Schweizer Tourismus-Verband (STV) oder bei Schweiz Tourismus (ST). Die neue Tourismusstrategie konnte er in einem Beirat von 16 Experten am Rand begleiten. GastroJournal: Herr Platzer, was sagen Sie zur neuen Tourismusstrategie?
Casimir Platzer: Nachdem wir einen Tourismusgipfel verlangt hatten und uns mit Bundesrat Schneider-Ammann zu einem runden Tisch treffen konnten, darf ich feststellen, dass mit der neuen Tourismusstrategie Anliegen der Tourismusbranche und des Gastgewerbes aufgenommen wurden – so bei der besseren Berücksichtigung der Unternehmen oder bei der Innova­tionsförderung. Das Wichtigste wird allerdings die Umsetzung unter Einbezug der Branchen sein – diesbezüglich erwarte ich einiges von den vorgesehenen Arbeitsgruppen.
«Das wichtigste wird die Umsetzung unter Einbezug der Branchen sein.»
Ist da nicht zu wenig Bodenhaftung?
Was die Digitalisierung angeht, müssen wir uns klar sein, dass in unserer kleinstrukturierten Branche viele nicht in der Lage sind, bei der Digitalisierung mitzuziehen –sogar Destinationen bringen diese Voraussetzungen oft nicht mit. Auch deshalb betone ich die Wichtigkeit der Umsetzung, wobei Schweiz Tourismus und der Bund eine zentrale Rolle spielen. Bei der Innovationsförderung wiederum würde ich mir mehr Engagement des Bundes wünschen. So kann es doch nicht sein, dass wir nicht bereit sind, in der Schweiz einen Staatsfonds zu erwägen, während ausländische Fonds in der Schweiz touristische Rosinen picken.

Der Bundesrat findet, dass die bestehenden Instrumente genügen?
Die bestehenden Instrumente sind gut und bewährt, und wenn wir die Digitalisierung herunter­brechen können, werden die Betriebe davon profitieren können. Die ­Ertragslage bleibt aufgrund von externen ­Faktoren wie Arbeits­kosten oder Währungsnachteile aber so an­gespannt, dass Investition und ­Innovation nicht aus eigener Kraft gestemmt werden können. Was nützt es, mit anderen Worten, wenn wir tolle Infrastrukturen haben, aber die Beherberger nicht mit­ziehen können. Die neue Tourismusstrategie des Bundes ist eher ein Leitfaden Mit der Strategie von 2010 habe der Bund «eine umfassende strategische Grundlage für die Tourismuspolitik des Bundes» vorgelegt, heisst es in der neuen Tourismusstrategie einleitend. Die neue Strategie wiederum stelle «die Tourismuspolitik des Bundes auf eine zeitgemässe Grundlage.» Das ermögliche es, «rasch auf die Herausforderungen der Branche reagieren zu können.» Zwar gibt es noch eine Vision: «Die Tourismuswirtschaft ist international wettbewerbsfähig, und der Tourismusstandort Schweiz ist attraktiv und leistungsfähig.» Aber im Gegensatz zu 2010, als strategische Tiefe, analytische Schärfe und der bizarre Titel «Wachstumsstrategie» manche eher überforderten, kommt das neue Papier einfacher daher – fast schon als Leitfaden. Der Bund definiert vier Ziele, setzt Schwerpunkte namentlich bei der Digitalisierung, konzentriert den Mitteleinsatz und will sich an der Umsetzung orientieren (vgl. Interviews oben). Der Bund steckt dafür acht Handlungsfelder ab – etwa ein «tourismusfreundliches Regulierungsfeld», «Investitionsförderung» oder «Grossevents als Impulsgeber». Zu diesen Handlungsfeldern formuliert er überdies konkrete Aktivitäten, darunter die «Kandidatur Sion 2026 aktiv begleiten», «MySwitzerland.com weiterentwickeln». 6. Tourismus Forum Schweiz Das «Tourismus Forum Schweiz» (TFS) ist ein konkretes Resultat der letzten bundesrätlichen ­Tourismusstrategie von 2010: «Die Schaffung der Austauschplattform ‹Tourismus Forum Schweiz› ist die wichtigste Massnahme zum Aufbau eines strategischen Issue Managements für den Tourismusstandort Schweiz», hatte es in dieser Strategie geheissen. «Im Rahmen des Touris­mus Forums Schweiz sollen frühzeitig Chancen und Risiken für den Tourismusstandort Schweiz erkannt und Lösungsansätze für dessen Stärkung erarbeitet werden.» Der Anspruch ist hoch, die bisherigen Foren sind ihm nur in Ansätzen gerecht geworden. Mit dem 6. Tourismus Forum von letzter Woche jedoch, bei dem Bundesrat Johann Schneider-Ammann persönlich die brühwarme Tourismusstrategie des Bundes vorstellte, sind ­Gehalt und Methodik in etwa dort, wo sie im Selbstverständnis der Veranstaltung sein sollten. Die gut 170 Teilnehmenden, die sich auf Einladung des Bundes für ­einen intensiven Arbeitstag in Bern ­trafen, bekamen einen hochstehenden und nährstoffreichen Mehrgänger serviert. Dies unter dem Motto «Chancen der Digitalisierung ­nutzen» – ein Schwerpunkt der neuen Tourismusstrategie und ­ein Steckenpferd von Bundesrat Schneider-Ammann. Zum Glück gehört zum TFS eine umfassende Dokumentation in den Webseiten des Seco (siehe ganz unten). Denn das Feuerwerk, das verschiedene Topleute am TFS zündeten, beeindruckte zu sehr und verglühte zu schnell, als dass die Informationen hätten haften können: Christian Laesser, Professor an der Universität St. Gallen, und Roland Schegg, Professor an der Fachhochschule Westschweiz HES-SO, fassten in einem rasanten Dialog die «Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung» zusammen. Fulminant präsentierte Jürg Schmid gleich danach an seinem letzten Arbeitstag als Direktor von ‹Schweiz Tourismus› «Strategien und Gedanken zur digitalen Kommunikation des Ferien- und Reiselandes Schweiz» – zu einer stehenden Ovation fehlte in der Folge nicht viel. Reto Gurtner, Laax, konnte seine Vorredner zwar nicht toppen. Doch sein wilder Ritt durch die digital abgestützten und real existierenden Geschäftsmodelle in der Weissen Arena setzte ein blendendes Glanzlicht aus der touristischen Unternehmenspraxis. Dass Simon Lehmann, Senior Advisor des touristischen Marktforschers Phocuswright den Abschluss machte, rundete die Referate grandios ab: Lehmann referierte «die Macht der Daten» als kühles Gegengewicht zu Gurtners heissem Run. Am Nachmittag ging es im Rahmen von Workshops ähnlich dicht weiter: Zu «neuen Geschäftsprozessen und -modellen» äusserte sich unter anderen Philippe Lathion von Mountain Resort Real Estate Fund SICAV, zu «Marktbearbeitung im digitalen Zeitalter» Pascal Schär von der Saastal Marketing AG. Auf einen wichtigen Punkt brachte es nicht zuletzt Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse, im erfrischend kurzen Podiumsgespräch: «Die Produktivität zu steigern, ist nicht einfach, wir sind eine Dienstleistungsbranche.»