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«Stärkere Regulierungen wären gerade für das Gastgewerbe verheerend»

Reto E. Wild – 07. November 2019
Im zukünftigen Parlament sitzen vier Mitglieder von Gastro­Suisse: Esther Friedli von der SVP und Andri Silberschmidt von der FDP ziehen neu als Nationalräte nach Bern, Nik Gugger (EVP) und Alois Gmür (CVP) erneut. Die neuen Parlamentarier, die beide Gastronomen sind, über die Herausforderungen des Alltags und wie sie diese mit der Politik verbessern wollen.

Andri Silberschmidt, seit gut zwei Wochen wissen Sie, dass Sie als FDP-Nationalrat im neuen Parlament sitzen werden. Mit welchen Gefühlen verbinden Sie Ihr erstes politisches Engagement auf nationaler Ebene?
Andri Silberschmidt (AS): Mit viel Freude. Ich bin nun fast vier Jahre lang Parteipräsident der Jungfreisinnigen und habe in dieser Funktion immer über nationale Themen debattiert. Aber nun von Anfang dabei zu sein, wenn ein Gesetz ausgearbeitet wird, ist was ganz anderes. Ich freue mich ausserdem, dass viele Junge den Sprung ins Parlament geschafft haben. Wir sind offener, um über Parteigrenzen hinweg eine Lösung zu finden. Esther Friedli, sind Sie als SVP-Mitglied bereit, mit der FDP zusammenzuspannen?
Esther Friedli (EF): Es ist sehr wichtig, wenn wir mit Parteien mit ähnlichen politischen Anliegen den Kontakt suchen. Ich werde mich mit unserer Partei und zusammen mit der FDP vor allem für wirtschaftspolitische Themen zusammentun, denn von links-grün kommen nun so viele Forderungen für den Arbeitsmarkt, die wir nur gemeinsam verhindern können. Stärkere Regulierungen wären gerade für das Gastgewerbe verheerend. Wir brauchen Flexibilität. In einer ersten Stellungnahme gegenüber dem GastroJournal sagen Sie, Andri Silberschmidt, Sie möchten sich gegen hohe Abgaben und ausufernde Bürokratie in der Gastronomiebranche wehren. CVP-Nationalrat Alois Gmür vermutet aber, dass die neue Zusammensetzung des Parlaments für noch mehr Vorschriften und Auflagen sorgen wird.
AS: Das ist tatsächlich eine Gefahr. Wichtig ist, dass wir allen die Augen öffnen, was Bürokratie im Alltag wirklich heisst. Letztlich sind es die Konsumenten, vor allem aber auch Arbeitsplätze, die als Folge davon auf der Strecke bleiben. Ich bin kein Lobbyist. Aber ich kann mit meinem Wissen aus der Gastronomie Verständnis schaffen, damit die anderen Ratsmitglieder gegenüber der Branche positiv eingestellt sind.
EF: Wenn die Ratslinke nun 50 Wochen Elternurlaub fordert, schwant mir Böses. Ich wüsste gar nicht, wie wir das als KMU stemmen könnten. Auch ich möchte meine persönliche Alltagserfahrung einbringen. Im Parlament sitzen noch immer zu viele, die noch nie in ihrem Leben einen Kaffee verkaufen mussten. Ich möchte deshalb den einen oder anderen Parlamentarier gerne mal einladen, um an einem Sonntag bei uns mitzuarbeiten. Das Gastgewerbe ist sehr streng, macht aber auch viel Freude. Ich werde mich gegen höhere Sozialabgaben wehren, denn damit steigen unsere Lohnkosten. Rechnen Sie mal hoch, wie viele zusätzliche Kaffees wir verkaufen müssen, um all diese linken Forderungen zu erfüllen. In welchen Punkten stimmen Sie, Andri Silberschmidt, mit Esther Friedli überein?
AS: Was die Anliegen des Gewerbes betrifft, werden wir viele Übereinstimmungen haben. Das gilt auch für die Altersvorsorge. Erhebliche Unterschiede haben wir jedoch, wenn es um die Beziehungen der Schweiz zum Ausland geht. Es wäre ohnehin falsch, für sämtliche Bereiche einen Block mit der SVP zu bilden. Erfolgsversprechender ist für mich, wenn wir als FDP für unsere Anliegen Mehrheiten suchen. Das kann auch mal mit der SP oder den Grünliberalen sein.
EF: Ich würde es begrüssen, öfter mit der FDP zusammenzuspannen. Im Kanton St. Gallen sind wir in verschiedenen Themen auf die Freisinnigen zugegangen. Leider haben sie uns immer wieder im letzten Moment enttäuscht. Neuestes Beispiel: Wir waren für Steuersenkungen, der Freisinn nicht. Wie organisieren Sie sich ab Dezember, wenn Sie im Nationalrat politisieren?
EF: Wir werden das Personal aufstocken müssen, und die Hauptverantwortung unseres Restaurants geht von mir an Toni über (Toni Brunner, ihr Partner, Anmerkung der Redaktion). Allerdings beabsichtige ich, so viel wie möglich im Restaurant zu arbeiten. Wir haben das Haus der Freiheit in Ebnat-Kappel montags und dienstags geschlossen. Dann ist Hauptbetrieb in Bern. Das lässt sich gut kombinieren. Am Wochenende möchte ich im Restaurant anpacken. Sie arbeiten also täglich, haben sich dieses Jahr nur gut eine Woche Ferien gegönnt. Was tun Sie zum Ausgleich?
EF: Ich bin gerne mit Tieren zusammen, gehe spazieren und bewege mich in der Natur, obwohl ich nicht so sportlich bin. Andri Silberschmidt, Sie sind bereits vor den Wahlen als Präsident der Jungfreisinnigen zurückgetreten und haben Ende Oktober 2019 auch ihren Job bei der ZKB aufgegeben. Rechneten Sie mit dem Einzug ins Parlament?
AS: Nein. Mir ging es darum, nach zehn Jahren beim gleichen Arbeitgeber und nach meinem abgeschlossenen Master mein Leben mit neuen Impulsen zu bereichern. Ich dachte, wenn mir ein guter Wahlkampf gelingt, könnte ich es als erster Ersatz schaffen. Dass es jetzt geklappt hat, ist umso schöner. Was sind Ihre wichtigsten politischen Ziele?
AS: Ich habe zwei Hauptthemen: Erstens die Sicherung der Renten. Dies soll nicht in erster Linie über mehr Steuern und Abgaben geschehen, sondern auch über die Bereitschaft, länger zu arbeiten. Zweitens möchte ich das Unternehmertum stärken. Menschen, die Verantwortung übernehmen, in dem sie den Leuten einen Job anbieten und so Risiken auf sich nehmen, sollten gefördert werden.
EF: Ich vertrete mit dem Toggenburg die ländliche Schweiz. Angesichts der Urbanisierung wird der ländliche Raum immer mehr vergessen. Wir sind beispielsweise auf ein Auto mit Allradantrieb angewiesen. Ich kann nicht einfach aufs Tram umsteigen. Eine allfällige Verteuerung von Benzin und Diesel hätte für uns massive Auswirkungen. Wir auf dem Land dürfen nicht wegen der Klimadiskussion bestraft werden. Es heisst auch, Kühe seien die grossen CO2-Verursacher. Wir aber leben mit der Natur und sind auf sie angewiesen. Wollen wir denn, dass unsere Nahrungsmittel nur noch im Ausland produziert werden? Wo muss die Politik zugunsten der Branche den Hebel ansetzen?
EF: Die Nicht-Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative hat eine riesige Bürokratie zur Folge. Wenn wir Personal suchen, müssen wir zuerst alles erfassen, dem RAV melden, und dann ist die Arbeitsstelle für fünf Tage gesperrt. Hier braucht es flexiblere Lösungen, die den unterschiedlichen Verhältnissen in den Kantonen Rechnung tragen. Generell wehre ich mich gegen neue Vorschriften und Gebühren. Die Politik sollte Freiräume für Innovationen schaffen. Das Beispiel von Kaisin zeigt, dass es sich lohnt, vielfältige Gastronomiekonzepte zu unterstützen. Eine Herausforderung für kleine Gastrobetriebe ist auch die Umsetzung der neuen Lebensmittelrichtlinien. Mei­ne Erfahrung im Alltag: Jene Kunden, die wirklich Allergien haben, sind meist am unkompliziertesten. Was ist das speziellste Erlebnis, das Sie in Ihrer Karriere als Gastgeberin hatten?
EF: Als Gastgeber ist man irgendetwas zwischen Pfarrer und Psychiater. Ich habe gerne ein offenes Ohr, kann aber nicht alle Probleme lösen. Das zeigt, dass die Gastronomie nicht nur für die Wirtschaft einen grossen Beitrag leistet. Sie ist auch für das Sozialleben in der Gesellschaft sehr wichtig. Ohne Restaurants wird die Vereinsamung der Menschen verstärkt. Bei uns haben sich am langen Tisch viele Leute kennengelernt. Daraus sind Freundschaften und Geschäftsbeziehungen entstanden. Andri Silberschmidt, wie erleben Sie als Mitgründer und VR-Präsident der Kaisin die Bürokratie im Alltag?
AS: Tatsächlich ist die Personaladministration enorm arbeitsintensiv. Wir werden dieses Jahr über eine Million Franken Umsatz machen. Obwohl ich Betriebswirtschaft lernte, muss ich für den Mehrwertsteuerabschluss einen Buchhalter anheuern, was zusätzlich kostet. Die Grundhaltung sollte ändern: Einen Passantenstopper sollte man vors Restaurant stellen dürfen, und erst wenn sich die Einwohner ärgern, wird er wieder weggenommen. Es führt zu weit, für alles immer die Stadt um Erlaubnis fragen zu müssen. Dass beispielsweise die Beizen in der Stadt länger offen haben wollen, entspricht einem Bedürfnis der Mehrheit der Einwohner. Das kann man nicht wegdiskutieren. Sie haben auf dem Land ganz andere Probleme, Esther Friedli.
EF: Ja, genügend Personal zu finden, ist für uns eine riesige Herausforderung. Wir wollen Mitarbeitende aus der Region einstellen. Das ist uns gelungen, aber nur verbunden mit grossen Aufwänden. Wir erleben einen Wandel in der Gastronomie, bei dem die Gäste vermehrt zu Hause bleiben und dort ihren Kaffee trinken. Deshalb versuchen wir, unseren Kunden ein erweitertes Wohnzimmer zu bieten, mit Gastfreundschaft, Herzlichkeit und guter Stimmung. Unser Essen ist gut bürgerlich. Das Fleisch beziehen wir vom Metzger in Nesslau. Was ich in der Politik predige, möchte ich auch vorleben. Deshalb kaufen wir lokal ein, also beispielsweise keine ausländischen Milchprodukte. Wir bieten zudem 15 verschiedene Biersorten aus dem Kanton St. Gallen an. Dazu haben wir unseren eigenen Bauernhof mit Eringer Kühen. Das wird von unseren Kunden geschätzt. _____________________________________________________________ ★ Esther Friedli (42) zieht neu in den Nationalrat, für die SVP des Kantons St. Gallen. Die Freundin des langjährigen SVP-Nationalrats Toni Brunner (41) studierte Politikwissenschaft und Kommunikation und arbeitete als Generalsekretärin des St. Galler Bildungsdepartements. 2016 wechselte das einstige CVP-Mitglied als Parteilose in die SVP. Vor zwei Jahren übernahm Friedli die Leitung des Landgasthofs Sonne in Ebnat-Kappel SG und verantwortet zusammen mit Brunners Bruder Andi (46), der das Downsyndrom hat, als Gastgeberin rund 550 Stellenprozente. ★ Andri Silberschmidt (25) zieht neu für die FDP des Kantons Zürich in den Nationalrat. Das GastroSuisse-Mitglied ist damit der jüngste Parlamentarier der kommenden Legislatur. Zuvor war er vier Jahre lang Präsident der Jungfreisinnigen und arbeitete bis Ende Oktober 2019 zehn Jahre lang für die ZKB. Silberschmidt sitzt zudem im Gemeinderat der Stadt Zürich sowie als Verwaltungsratspräsident in der Kaisin AG, bei der er zu 25 Prozent beteiligt ist. Sie ist auf Poké Bowls spezialisiert und ist an drei Standorten in Zürich und einem in Basel vertreten.