«Die duale Berufsbildung der Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Mit diesem System gelingt es optimal, Bildung und Arbeitsmarkt aufeinander abzustimmen. Mit Stolz verzeichnen wir in der Schweiz eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit und nachgewiesenermassen junge Menschen, die beruflich international wettbewerbsfähig sind. Damit das auch in Zukunft so bleibt, lancierte der Bund dieses Jahr das Projekt «Berufsbildung 2030 – Vision und strategische Leitlinien».
Dennoch ergeben sich aus politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen heraus immer auch Spannungsfelder. So etwa die Folgenden:
Übergang von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II
Nach Abschluss der obligatorischen Schule kennt die Schweiz keine Schlussprüfung. Stellvertretend hierfür gibt es «Stellwerk», eine webbasierte, individuelle Standortbestimmung für Schüler im 8. Schuljahr. Bestünde eine, könnte sie für Betriebe kaum als Entscheidungsgrundlage bei der Anstellung von Lernenden dienen, da die Lehrvertragsunterzeichnung in der Regel vor diesem Zeitpunkt erfolgt. Die Sekundarstufe II wird oftmals durch Defizite in den Grundkompetenzen Rechnen und Schreiben aus der Vorstufe belastet. Die Zeit für eine diesbezügliche Nachqualifikation besteht im Rahmen einer beruflichen Grundbildung in der Regel nicht. Aus meiner Sicht müsste deshalb die Einführung eines mehrstufigen, gesamtschweizerischen Kompetenznachweissystems überprüft werden. Ziel wäre es, dass Defizite rechtzeitig erkannt und entsprechende Massnahmen noch während der obligatorischen Schulzeit ergriffen werden könnten.
Berufsbildung für alle und hohe Reputation
Das Recht auf eine berufliche Grundbildung für (fast) alle Menschen ist eine Zielsetzung des Bundes (95%) und wird sozialpolitisch motiviert auch immer wieder gefordert. Die Berufsbildung ist weitgehend selektionsfrei. Voraussetzung ist ein Lehrvertrag mit einem Arbeitgeber, der zur Ausbildung berechtigt ist.
«Die Berufsbildung ist weitgehend selektionsfrei»Seit Jahrzehnten fordert der Schweizerische Gewerbeverband die Gleichwertigkeit der akademischen und der beruflichen Bildung, was zwischenzeitlich in der Verfassung auch verankert werden konnte. Damit sind der Status und die Anerkennung in Gesellschaft und Arbeitsmarkt gemeint sowie die finanzielle Gleichstellung seitens der öffentlichen Hand. Es stellt sich natürlich die Frage, ob man dieses Ziel tatsächlich einmal erreichen kann und will. Kommt das Erfolgskonzept Miliz-System an seine Grenzen?
Durch das duale System des parallelen Curriculums der Bildung in Betrieb und Schule ist für eine erfolgreiche Ausbildung eine optimale Abstimmung gewährleistet. Es wird gelernt, was in der Wirtschaft (Branche) gefragt ist, denn die Ausbildner sind in erster Linie dem Wettbewerb ausgesetzte Berufsleute und Fachkräfte und in zweiter Linie Ausbildner (Miliz-System).
«Ausbildner sind in erster Linie dem Wettbewerb ausgesetzte Berufsleute»Die dynamische Entwicklung und der Wettbewerbsdruck in der Wirtschaft, die erhöhten inhaltlichen, systemischen und administrativen Anforderungen an die Ausbildung sowie das veränderte familiäre Umfeld der Lernenden sind Faktoren, welche die Ausbildung im Betrieb äusserst anspruchsvoll machen. Diese müssen weitgehend von Miliz-Ausbildnern geleistet werden. Es stellt sich die Frage, wie in Zukunft die notwendige Ausbildungsqualität im Rahmen des dualen Systems sichergestellt werden kann. «Kampf» um Anteile an der Gesamtausbildungszeit
Die Stärke der dualen oder präziser der trialen Berufsbildung liegt im Einbeziehen von drei verschiedenen Lernorten: dem des Betriebs, dem der Berufsfachschule und dem der überbetrieblichen Kurse. Um die Arbeitsmarktfähigkeit der Absolventen zu erhöhen, aber auch um die Attraktivität der Berufe in Zukunft zu sichern, sind die berufsspezifische Methodenkompetenz sowie die branchenbezogene Allgemeinbildung zu erhöhen. Gerade hier spielt auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Im Umfeld des Betriebes fehlen oft die Zeit und teilweise auch die Kompetenz, um spezielle oder anspruchsvolle Lerninhalte zu vermitteln.
«In den nächsten Jahren weden alle Berufslehren analysiert und bewertet»Der Miliz-Ausbildner steht ja selber unter wirtschaftlichem Leistungsdruck. Würde allerdings der zeitliche Anteil der Lernorte zugunsten der Schule oder der überbetrieblichen Kurse zulasten des Betriebes verschoben, schmälerte dies die Attraktivität der Berufsbildung infolge verminderter Zahl von Arbeitstagen der Lernenden im Betrieb. Die Streichung von Lehrstellen könnte die Folge sein. Wie sind die gastgewerblichen Berufe auf die Zukunft hin fit zu machen?
In den nächsten Jahren werden alle gastgewerblichen Berufslehren sowohl einzeln als auch als Teil des Gesamtsystems mit seinen insgesamt zehn Grundbildungen analysiert und bewertet. Anschliessend werden sie im Laufe der folgenden rund fünf Jahre in Etappen überarbeitet und für die Zukunft fit gemacht. Zentral dabei ist die Wettbewerbsfähigkeit.
«Herausforderungen stehen immer auch Chancen gegenüber»Einerseits muss es gelingen, mit den richtigen Grundausbildungen einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und der ganzen Branche leisten zu können. Andererseits müssen die Berufe innerhalb des Arbeitsmarkts, zum Beispiel im Kampf um Nachwuchstalente, wettbewerbsfähig sein. Dies ist eine grosse Herausforderung, kommen doch unterschiedlichste Anforderungen und Ansprüche zusammen. Aus meiner Sicht gilt es, die Profile der einzelnen Berufe zu schärfen. Dies gelingt erstens mit der Ausrichtung aller Berufe auf eine konsequente Gästeorientierung, zweitens auf die Festigung des soliden Handwerks und drittens muss ein zukunftsorientiertes Verständnis für Prozesse und neue Technologien gefördert werden. Einzelne Eigenheiten der verschiedenen Berufsgattungen sollten im Vergleich differenziert betrachtet und bearbeitet werden. Digitalisierung als Chance für die Zukunft erkennen
Zum Schluss ein paar Gedanken zum Schlagwort «Digitalisierung». Die Diskussion rund um den Einsatz von Robotern auch in der Hotellerie und Gastronomie hat zumindest einen positiven Effekt: die Branche wird aufgerüttelt. Ob irgendwann mal Roboter die Gäste empfangen oder nicht, lassen wir doch besser unbeantwortet. Viel wichtiger scheint mir der unaufhaltbare Einzug von neuer Technologie und der damit verbundenen Digitalisierung zu sein. Und dies betrifft bei weitem nicht nur die Produktion in der Küche, sondern den gesamten Prozess rund um die Gästebetreuung. Die Zerlegung der Prozesse zeigt erst die Möglichkeiten auf. Diese wiederum können zu grundlegend neuen Geschäftsmodellen führen; neue «Players» werden in die Branche drängen, Rollen werden neu verteilt werden. Die Zukunft gehört denjenigen, welche – mit den richtigen Kompetenzen ausgestattet – neugierig, umsichtig und mutig anpacken. Herausforderungen stehen immer auch Chancen gegenüber.»