Hotellerie

Visionen zur Hotellerie von Paul E. Muller, Generaldirektor von Manotel

Johanne Stettler – 27. September 2018
Der General­direktor der ersten unabhängigen Hotelgruppe in Genf rät, sich anzupassen, um ­beständig zu sein.

«Ich möchte den Gästen, die eine Nacht in einem der Betriebe buchen, nicht nur eine Übernachtung bieten, sondern ein regelrechtes Erlebnis.» Dieser Satz bringt die Philosophie von Paul E. Muller, seit 17 Jahren an der Spitze der Manotel-Gruppe, so ziemlich auf den Punkt. Der gestandene Hotelier mit seinem rundherum avantgardistischen Blick auf die Hotellerie bildete sich an der Ecole Hôtelière de Lausanne aus, bevor er Erfahrungen bei internationalen Adressen sammelte, namentlich in Kanada, Belgien, auf den Bahamas und in Frankreich. Der 64-Jährige war bis vor Kurzem Präsident der Genfer Hoteliers und Präsident der Fondation Genève Tourisme & Congrès, er ist verheiratet und Vater dreier Kinder. 

GastroJournal: Weshalb haben Sie die Konzepte der Hotels hinterfragt, als Sie 2001 zur Gruppe stiessen?
Paul E. Muller: Als ich als Generaldirektor eingestellt wurde, verfolgten wir die Idee, die Hotels zu renovieren, um sie auf höherem Niveau zu positionieren. Ziel von Anfang an war, den Gästen eine neue Hotel­erfahrung zu ermöglichen. Dazu orientieren wir uns an den Boutique-Hotels, die damals in den Vereinigten Staaten sehr angesagt waren. Unsere sechs Betriebe befinden sich im selben Perimeter, und das Risiko, einem «Kannibalismus» zu verfallen, war erhöht. Wir entschieden uns deshalb, jedem Hotel ein eigenes Thema zuzuordnen, das in Bezug auf den Standort des Gebäudes, seine Infrastruktur und seine Organisation steht. Eine erste Renovation konnte von 2002 bis 2004 durchgeführt werden. Muss man sich denn ständig von Neuem infrage stellen?
Ja, das ist notwendig, um den aktuellen Bedürfnissen nachzukommen, aber auch, um auf kommende Tendenzen zu achten. Die Erwartungen der Gäste ändern immer schneller. Die Leute machen Erfahrungen, die sie zuvor nicht kannten. Als ich Kind war, war es nicht selbstverständlich, in einem Hotel zu übernachten. Heute steigt man in einem Hotel ab, wie wenn man in ein Restaurant geht. Ein Hotelier muss diesen Wandel berücksichtigen.

«Anpassung ist das ­Mindeste, ideal ist ­Antizipation»
Wie kann ein Hotelier sich den Erwartungen der Gäste anpassen?
Dank Zugang zu Informationen wissen wir, was woanders vor sich geht, und wir können uns von gros­sen Trends inspirieren lassen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Konzept, das an einem Ort gut funktioniert, auch zwingend anderswo gewinnbringend ist. Man muss lernen, zu «dosieren», nicht zu kopieren, aber Elemente zu übernehmen, die auch bei sich funktionieren könnten. Ich empfehle auch, eigene Erfahrungen zu sammeln, um zufällig auf Reisen auf schöne Ideen zu stossen. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Schweizer Hotellerie?
Die Branche durchlebt Veränderungen, insbesondere mit dem Aufkommen grosser Marken auf ihrem Territorium. Namentlich ­Accorhotels prägt das Landschaftsbild immer stärker. Wenn man die Geschichte zurückverfolgt, wird selbstverständlich klar, dass finanzielle Schocks der Hotellerie schaden. Hinzu kommt, dass einige nicht die Weitsicht hatten, Rückstellungen zu tätigen, um ihren Betrieb anzupassen. Ich komme auf meine vorherige Aussage zurück, dass die Vision zukunftsgerichtet sein muss und sich nicht auf die Gegenwart beschränken darf. Anpassung ist das Mindeste, ideal ist Antizipation. Das Aufkommen von Airbnb lässt uns keine andere Wahl. Wie kann man sich als unabhängige Hotelgruppe von grossen internationalen Ketten abheben?
Man muss sich in erster Linie differenzieren, ansonsten ist es nicht möglich, konkurrenzfähig zu sein. Das ist nicht nur eine Frage der Grösse, sondern auch des Reservationsvolumens. Accorhotels beispielsweise schliesst mit grossen Unternehmen globale Verträge ab, damit alle ihre Mitarbeitenden in Hotels der Gruppe übernachten. Als unabhängige Hotelgruppe ist es uns nicht möglich, diesbezüglich zu konkurrenzieren. Hingegen fahren wir bis jetzt mit unserer Philosophie gut, den Gästen für einen leicht angepassten Tarif eine echte Erfahrung zu bieten. Muss man Ihrer Meinung nach die Preise drücken?
Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder Sie begünstigen in Ihrem Hotel den Belegungsgrad, indem Sie bei einem tieferen Durchschnittspreis eine breitere Klientel anziehen, oder Sie halten Ihren Durchschnittspreis und bieten einen gewissen Standard, der seinen Preis hat. Es gibt keine gute oder schlechte Strategie. Sie muss in erster Linie dem Hotelier entsprechen. Ich erwähne als Beispiel das Hotel Beau-Rivage in Genf, das seinen gerechtfertigten, erhöhten Mindestpreis beibehält. Auch wenn die Zeiten schwierig sind, akzeptieren die Verantwortlichen, dass die Bettenauslastung rückläufig ist. Sie halten ihre Preise, um ihr Standing zu garantieren. Das ist sehr mutig und äussert begrüssenswert.
«Für die Generation Y ist die Lebensqualität so ­wichtig wie das Geld»
Ist es heutzutage noch möglich, ein unabhängiger Hotelier zu sein?
Ja, aber der Arbeitsalltag muss sich einem Wandel unterziehen. Denn die Zeiten, als von morgens bis abends und auch noch nachts gearbeitet wurde, sind vorbei. Wer junge Leute gewinnen will, muss dafür sorgen, dass ihre Arbeitszeiten ausgeglichen sind, wie auch in anderen Berufen. Für die Generation Y ist die Lebensqualität ebenso wichtig wie das Geld, das sie verdient. Welchen Blick richten Sie auf die Genfer Hotellerie?
Das wirtschaftliche Umfeld ist nicht mehr so gewinnträchtig wie früher. Seit 2016 nahm der durchschnittliche Zimmerpreis ab. Neue Betriebe eröffneten, und andere werden bald folgen. Ich finde es beruhigend, dass Marken wie Ritz Carlton hier noch ansässig sind. Das ist ein Zeichen, dass die Destination nicht krank ist und sie ihr Image als Geschäfts­destination aufrechterhält. Auch gilt es, die Konkurrenz von Airbnb von nun an zu berücksichtigen. Macht Ihnen das Angst?
Auf diese Frage antworte ich gewöhnlich, dass «die Angst nicht vor der Gefahr zu schützen vermag». Man muss sich ganz einfach infrage stellen. Das ist die unerlässliche Bedingung, um ohne zu grosse Besorgnisse voranzukommen. Und hier lauert manchmal die Schwierigkeit, denn wir üben diesen Beruf mit Leidenschaft aus. In der Schweiz wird oftmals mit dem Finger auf den Gästeempfang gezeigt. Sind die Kritiken berechtigt?
Nein, nicht wirklich. Ich denke, wir verfügen mit Genf, Lausanne, Glion und der Swiss Education Group über die besten Hotelfachschulen der Welt. Die Ausbildung, die hier vermittelt wird, ist bemerkenswert. Zudem bin ich der Ansicht, dass in der Schweiz auf natürliche Weise eine Kultur der Gastfreundschaft vorhanden ist. Und das Gras ist anderswo auch nicht grüner. In meinen Ferien besuchte ich die Nachbarländer, und dort sah ich Verschiedenstes, sehr Gutes wie auch weniger Gutes. Für mich ist die Schweiz ein aussergewöhnliches Land mit einer einmaligen Lebensqualität. Wer ein bisschen gereist ist, muss ehrlich gesagt lange suchen, um eine solche Umgebung zu finden. Die Gruppe Manotel und ihre sechs Betriebe Seit Paul E. Muller 2001 zu Manotel stiess, investierte die Gruppe insgesamt über 120 Millionen Franken in ihre Hotelbetriebe. Manotel ist die erste unabhängige Hotelgruppe des Kantons Genf mit sechs Hotels im 3- und 4-Sterne-Segment mit über 610 Zimmern. Das Unternehmen beschäftigt 300 Mitarbeitende. Jedes der sechs Hotels verfügt über seine eigene Identität und unterscheidet sich in seinem Stil von den anderen. «Tradition in Bewegung» im «Royal», «Design im Dienste der Gastlichkeit» im «Auteuil», «Arty. Cosy. Trendy.» im Hotel N’vY, «Einladung zur Reise» im «Kipling», «Feng-Shui Harmonie im Herzen der Stadt» im «Jade» und «Die Berge in der Stadt» im «Edelweiss». www.manotel.com